Welch wunderbares Werk!
Estevez, der hier als Autorenfilmer in Aktion tritt, widmet sich dem letzten Tag Robert F. Kennedys, ohne eben diesen als filmischen Charakter zum Mittelpunkt seines Werks zu machen. Nein, stattdessen lässt er Kennedy nur äußerst kurz und mittelbar - über authentische Video- und Tonmitschnitte - zu einem Teil des Films werden.
BOBBY ist keine politische Aufarbeitung, keine politische Analyse, nein, es ist ein Stimmungsbild einer ganz bestimmten und kurzen Epoche, welche mittels vieler kleiner Geschichten, die das Leben so schreibt, erfahrbar gemacht wird.
In den Mittelpunkt rückt Estevez dann auch folgerichtig einfache Menschen und keine abstrakten politischen Zusammenhänge. Menschen, die am Tag des Attentats im Ambassador Hotel waren und von denen einige im Zuge des Gewaltaktes schwer verletzt wurden.
Keine der Geschichten ist kitschig oder rührselig. Aber einer jeden Episode entspringt mindestens ein kleiner Moment, welcher von großer Menschlichkeit beseelt ist. Sei es die Geschichte einer jungen Frau, die bereitwillig vor den Traualtar schreitet, wenn sie auf diese Weise verhindern kann, dass ein Mitschüler an die Front geschickt wird oder eines Mexikaners, der wahre Größe zeigt oder eines älteren Herren, der die durch den Tod seiner Frau entstandene Leere mit langen Gesprächen zu füllen versucht, nur um nicht nach Hause zu müssen und weiter im Hotel verweilen zu können oder eines in der Materialität und Oberflächlichkeit gefangenen Pärchens, welches in einem berührenden Moment wieder zu- und nicht nur miteinander spricht oder eines schwarzen Koches, der über das Ablassen von Wut und Zorn philosphiert oder eines Hoteldirektors, welcher Integrität beweist, indem er seinen fehlgeleiteten Personalleiter entlässt, aber gleichzeitig seine Frau betrügt oder einer alternden, dem Alkohol verfallenen, Sängerin, die nicht nur sich selbst, sondern auch ihren Mann erniedrigt.
Es ist ein Film voll von kleinen, zwischenmenschlichen Szenen, die gerade dadurch Wirkung erzielen, dass sie so wunderbar beiläufig und auf keine Weise effekthascherisch von Estevez präsentiert werden.
Überdies schafft Estevez etwas, was sich für einen Filmemacher als besonders schwieriges Unterfangen gestaltet:
Er schafft es eine Stimmung zu transportieren, sie fühl- und erfahrbar zu machen, die wohl jener der damaligen Zeit sehr nahe kommen dürfte. Eine Stimmung des Aufbruchs, des Fortschrittsglaubens und der Hoffnung. Dennoch verklärt Estevez zu keinem Zeitpunkt und zeigt uns immer wieder die bestehenden Probleme und Konflikte, die es zu lösen bzw. aufzulösen gilt, indem er diese durch die Charaktere zur Sprache bringt. Eine fabelhafte Szene ist es beispielsweise, die zeigt, wie eine schwarze Telefonistin des Hotels auf der Wahlparty Kennedys Snacks mitgehen lässt, ja, sie geradezu mitgehen lassen muss, da ihr unzureichender Lohn sie dazu veranlasst, dasjenige mitgehen lassen zu müssen, was am Ende des Abends ohnehin weggeschmissen würde.
Schließen möchte ich meine kurze Aufarbeitung mit einem Ausschnitt aus einer Rede Robert F. Kennedys, die im Film aus dem Off vorgetragen wird und deren Inhalt in Zeiten, in denen der Nationalismus kontinuierlich zu erstarken scheint, nationalistische Parolen erneut ein Teil der Alltäglichkeit zu werden drohen, Fremdenfeindlichkeit und Überheblichkeit anderen Kulturen und Religionen gegenüber scheinbar wieder salonfähig wird und die Pflicht zur Hilfe, manchen Kreisen zufolge, nur für jene zu gelten hat, die denselben kulturellen Hintergrund teilen, mir bedeutend und aktueller denn je erscheint:
"Wann immer wir das Leben eines Menschen zerstören, dass er mühsam und stetig für sich und seine Kinder aufgebaut hat....Wann immer so etwas geschieht; dann ist das eine Entwürdigung für unsere gesamte Nation. Und dennoch scheinen wir die Zunahme von Gewalt immer mehr zu tolerieren. Einer Gewalt, die unsere menschliche Gemeinschaft missachtet und unseren Anspruch eine Zivilisation zu sein.
Zu häufig akzeptieren wir Arroganz und Anmaßung und das jemand auch vor Gewalt nicht zurückschreckt, um sich zu nehmen, was er will. Zu häufig finden wir Entschuldigungen für jene, die bereit sind ihr eigenes Leben auf den zerstörten Träumen anderer aufzubauen. Aber eines steht fest:
Gewalt erzeugt nur Gegengewalt, Unterdrückung führt zu Vergeltung. Nur eine Läuterung unserer Gesellschaft kann diese Krankheit aus unseren Seelen vertreiben.
Aber wenn wir die Menschen lehren ihre Brüder zu hassen und vor ihnen Angst zu haben, wenn wir ihnen sagen, dass der eine auf Grund seiner Hautfarbe oder seines Glaubens oder der politischen Überzeugung, die er vertritt, minderwertig ist, wenn wir die Lehre verbreiten, dass jene, die anders sind als wir, eine Bedrohung darstellen...
für die eigene Freiheit, für den eigenen Job, für das eigene Heim und für die Familie. Dann lehren wir damit auch, andere nicht als Mitbürger, sondern als Feinde zu betrachten, mit denen man nicht kooperieren darf, sondern die man bezwingen will, die man unterdrücken und beherrschen möchte.
Was schließlich dazu führt, dass wir unsere Brüder als Fremde betrachten. Fremde, mit denen wir zwar unsere Stadt teilen, aber nicht unsere Gemeinschaft. Menschen, die zwar durch einen gemeinsamen Wohnsitz mit uns verbunden sind, um die wir uns aber nicht bemühen. Wir lernen nur eine gemeinsame Angst zu teilen. Den gemeinsamen Wunsch uns voneinander zurückzuziehen. Wir teilen nur den gemeinsamen Impuls, auf Uneinigkeit mit Gewalt zu reagieren.
Unser Leben auf diesem Planeten ist zu kurz, die Arbeit, die vor uns liegt ist zu wichtig, als dass diese Haltung noch länger bestehen darf in unserem Land. Natürlich können wir sie nicht mit einem Programm oder Gesetz verbieten. Aber vielleicht sollten wir uns vor Augen halten, auch wenn es nur für eine gewisse Zeit ist, dass jene, die mit uns zusammenleben, auch unsere Brüder sind.
Dass sie denselben kurzen Augenblick des Lebens mit uns teilen. Dass sie - genau so wie wir - nichts weiter als die Möglichkeit suchen ein sinnvolles und glückliches Leben zu führen, um dadurch so viel Zufriedenheit und Erfüllung wie möglich im Leben zu finden. Mit Sicherheit kann dieses gemeinsame Band des Schicksals, dieses gemeinsame Band des Lebens, eine Lehre für uns sein. Wir können zumindest daraus lernen, die Menschen um uns herum - unsere Mitmenschen - einmal richtig zu sehen. Und ich bin davon überzeugt, dass wenn wir uns Mühe geben und uns gegenseitig unsere Wunden verbinden, dass wir dann in unseren Herzen auch wieder Brüder [...] sein können."