Provokation ist bei Lars von Trier sicherlich ein nicht zu unterschätzender Faktor, aber ich frage mich immer, welche (wenigen) Filme die Leute gesehen haben, die von Trier einzig auf Provokation reduzieren und nicht sehen (wollen), was er eigentlich in den Filmen leistet. Selbst in "Antichrist", der ja in Sachen Provokation zu den dreistesten von Triers gehört, sind die meisten krassen Momente ja nicht einfach nur Selbstzweck. Über die Nutzlosigkeit der S/W Penetration in Nahaufnahme aus der Anfangsszene habe ich mich ja schon ausgelassen, aber ansonsten dienen die meisten übrigen Momente schon dem generellen Thema. Mal mehr, mal weniger subtil. Und natürlich ist die Genitalverstümmelung Provokation, aber die Szene ist nicht einfach so als Schocker da hineingeworfen. Als Symbol - so platt man das auch finden mag - passt es und macht Sinn.
Auch das Massaker am Ende von "Dogville", der Rassismus in "Manderlay" oder die theaterhafte Inszenierung der Exekution bei "Dancer in the Dark" - all das geschieht nie einfach nur so und ganz bestimmt nicht aus schelmischer Schadenfreude. Der Lars lacht sich ganz bestimmt nicht ins Fäustchen, weil er - hihi - den spießigen Zuschauern wieder irgendeinen Hammer vorgesetzt hat. Mit dem Rudelbumsen bei "Idioten" vielleicht, aber den hat ja kaum einer gesehen, gell? Man schaue sich seine Frühwerke an, "Europa", "Element of Crime", wie er da auf kreative, ungewöhnliche und originelle Art und Weise Genre-Elemente mit europäischer Politik und der Autorenfilmästhetik verbunden hat. Und man schaue sich "Breaking the Waves", "Dancer in the Dark", "Dogville" oder "Melancholia" an und achte mal darauf, wie viel mehr von Trier in seine Figuren und in evozierte Emotionen investiert, als viele seiner Kollegen. Aber klar, an eine in Nahaufnahme abgeschnittene Klitoris erinnert man sich halt eher, als wenn Nicole Kidman durch zerschmissene Porzellanfiguren seelische Gewalt angetan wird, die sich bis weit aus dem Fernseher/der Leinwand hinaus mitfühlbar macht.
"Nymphomaniac" klingt auf den Plot reduziert schon nach überdurchschnittlicher Provokation. Das ist ja Sex betreffenden Themen noch immer sehr einfach. Aber ich würde trotzdem erstmal den Film abwarten, ehe ich da ein Urteil fälle. Und dieses Poster ist ja in gewisser Weise ja Anti-Provokation. Ein Nymphomaniac Poster könnte ganz schnell auch ganz einfach aussehen. Aber von Trier ist natürlich inzwischen auch zu bekannt oder berühmt. Deswegen wird der auch hier gesprochen. Außerdem steht er als Mann bei einem Thema wie hier generell im Tatverdacht der thematischen Ausbeutung. Sein Frauenbild ist ja seit jeher heiß diskutiert. Käme z.B. Catherine Breillat als bekennende Feministin und anerkannte Provokateurin mit einem Thema wie diesem an (in gewisser Weise hat sie solche Themen in "Romance XXX" oder "Meine Schwester" bereits im ansatz erforscht), würden die meisten nur mit der Schulter zucken und der Rest würde sich objektiv und offen damit auseinandersetzen.