TheRealNeo schrieb:
Na weil dadurch die einzelne Episode an Wert verliert und man es dann auch nicht mehr so eng sieht, ob eine Episode für sich noch eine Dramaturgie aufweist, die irgendwie funktioniert.
Warum verliert eine Episode dabei an Wert? Es ist weiterhin dieselbe Episode. Wenn ich also 3 oder 4 Filme an einem Tag gucke verlieren die auch an Wert? Ich kann da natürlich nur für mich sprechen aber ich bin mir sehr sicher, das meine Aufmerksamkeitsspanne groß genug ist und ich gut genug aufpasse, um die Filme oder Serienfolgen in Gänze in mich aufzunehmen und zu verarbeiten. Da ist im Berufsalltag doch manchmal über einen noch längeren Zeitraum noch mehr Aufmerksamkeit gefragt.
Wenn ich also Der Herr der Ringe schaue, verliert "Die Gefährten" nicht an Wert, weil ich alle drei hintereinander schaue. Eigentlich gewinnt der Film sogar, weil er neben einer in sich recht geschlossenen Dramaturgie noch eine Übergeordnete, die ganze Saga betreffende Narrative aufweist. Wie eben auch viele Serien. Da bekommt man in zweierlei Hinsicht eine Geschichte erzählt.
Aber auch Filme oder Serienfolgen die in sich geschlossen sind verlieren nicht an Wert. Da kann man doch erst recht schön abgrenzen. Oder meinst du, all die Serienjunkies, die 2,3 oder mehr Folgen am Tag schauen, nehmen die Hälfte gar nicht wahr?
Kann man also z.B. ein Buch auch nur richtig genießen, wenn man nicht mehr als 50 Seiten am Stück ließt? Meiner Erfahrung nach und natürlich auf mich bezogen, ist das genaue Gegenteil der Fall. Richtig eintauchen kann man erst nach einiger Zeitinvestition. Dann schaltet das Hirn erst richtig in den immersiven Modus.
Natürlich gibt es Serien, die weniger auf die Dramaturgie der Folge achten, da der ganze Aufbau auf die Staffel ausgerichtet ist. Eben mehr wie in einem Roman. Das kann man mögen oder nicht, aber selbst dort, oder vor allem dort, verliert die Folge doch höchstens an Wert, wenn man in dieser spezifischen Erzählstruktur nur eine einzige Folge, also nur ein Fragment schaut. Da würde bing watching erst recht Sinn machen.
Eigentlich schaue ich sehr selten viele Stunden einer Serie am Stück. Manchmal kommt es aber vor. Wie beispielsweise als ich in einer einzigen Nacht die erste Staffel Westworld geschaut habe. Ich war so da drin, das ich später davon geträumt habe. Zudem habe ich mit einem Freund über diverse Twists und Anspielungen gesprochen, die ihm, obwohl er die Show schon kannte, gar nicht aufgefallen waren. Kein Wunder, ich hatte die Anspielungen und Fäden sich in wenigen Stunden vertäuen sehen. Er wartete von Punkt A bis Punkt Z viele Wochen.
Also ganz egal ob eine Dramaturgie innerhalb der Folge, innerhalb der Staffel, innerhalb der Serie oder wie im klassischen Epos eine Mischung aus all diesen Sachen - ist Bing Watching irgendwie nicht hinderlich. Da wird gar nichts ausgehebelt. Eine Diskussion übrigens auch nicht. Sie wird nur umfangreicher und damit schwieriger. Klar fallen kurze Posts in der Form von "Cool, dass XY nicht gestorben ist" oder "War wieder ganz gut. Freue mich auf nächste Woche!" weg und deswegen ist ein Austausch vielleicht weniger lebhaft. Das ist wohl so aber damit kann ich leben.
Ich sehe die Qualität einer Show sehr eng.
Einzelne Folgen im Wochentakt oder sonstwie zu schauen hat auch seine Vorteile. Binge Watching aber eben auch. Man kann das ja durchaus auf sich selbst beziehen und den Aufbau einer Serie gemäß der eigenen Wünsche kritisieren. Aber doch nicht die Sehgewohnheiten Anderer, wenn das Medium unter anderem dafür ausgelegt ist.