Clive77
Serial Watcher
Meikes liebstes Kleidungsstück war eine Jeanshose. Slim Bootcut in dayrip Blau. Die hohe Taille versteckte ein paar überflüssige Kilos und betonte ihren trainierten Hintern. Da es eine Schlaghose war, akzentuierte sie ihre hochhackigen Schuhe - meistens braune Cowboy Stiefel. Durch den frechen Look fühlte sie sich unabhängig. Es gab ihr das Selbstbewusstsein in jeder Situation cool und gelassen zu reagieren. Jeder hatte irgendwie ein liebstes Kleidungsstück, aber Meike liebte ihre Hose so sehr, dass sie Ihr sogar einen Namen gab: Jeanny. Sie wurde zu einem Teil von Meikes Identität und fortan sah sie niemand mehr ohne diese Hose. Egal ob bei Schnee oder Sonnenschein, Jeanny war immer mit dabei.
Doch eines Tages stolperte Meike bei einem Spaziergang im Wald. Sie fiel auf die Knie, rutschte mit der Jeans über den Kies. Zuerst durchzuckte sie der Schmerz, doch als sie sah, wie es um ihre Hose stand, wurde das blutige Knie nebensächlich. Das Knie würde heilen, doch was war mit Jeanny? Sie war zerrissen, dreckig und blutig.
Zuerst dachte sie daran, dass sie wohl eine neue Hose benötigte, doch es zerriss ihr das Herz. Das konnte sie nicht tun. Diese Hose war ihr viel zu wichtig. Schnell kam sie zu dem Entschluss, dass sie lernen musste, Hosen zu flicken oder anderweitig aufzuwerten. Es würde bestimmt nicht die letzte Macke bleiben, aber das musste nicht bedeuten sich von ihr zu trennen! Im Gegenteil. Mit diesen Fehlern konnte sie Zeichen setzen, konnte zeigen, dass sie den Mut und das Selbstvertrauen hatte, selbst jetzt noch zu ihrer Jeans zu stehen. Zu sehr definierte Maike sich selbst über diese Jeans. Wer wäre sie noch ohne sie?
Zuhause setzte sie sich sofort daran ihre Jeans zu bearbeiten, googelte nach Ideen, schaute sich Youtube Videos an, bevor sie sich dazu entschied aus Jeanny eine Ripped Jeans zu machen. Das war noch im Trend, die Leute kauften sich mit Absicht Hosen mit Löchern, da würde Jeanny doch nicht gegen anstinken. Und so begann es.
Im Laufe der Zeit musste Meike immer wieder Kleinigkeiten ausbessern. Kleine Verbrennung durch Feuerwerkkörper? Kein Problem, wurde geflickt. Ein Tropfen bleichendes Chlor? Einfach mit Schleifpapier nachgerieben, schon entstand ein Used-Look. Nieten nachziehen. Knöpfe annähen. Meike tat, was notwendig war, um Jeanny am Leben zu halten. Und so wie sich die Jeans wandelte, veränderte sich auch Meike. Kleider machen ja bekanntlich Leute.
Am Anfang war Maike noch die Coole, die ihre Hose verbesserte, nachhaltig lebte und der Modeindustrie ihr Geld nicht in den Rachen schob. Sie hörte häufiger Kommentare wie „Ich würde das auch so gerne können, aber ich habe zwei linke Hände“, oder „das ist so cool, dass du dir nichts vorgeben lässt“.
Doch irgendwann, ohne, dass es für Meike einen ersichtlichen Grund gab, kippte die Stimmung. Ihre Mutter begann zu fragen, ob Maike Geldsorgen hätte. Ihre Freunde schlugen immer häufiger vor, sich doch eine neue Hose zu kaufen. Auf der Arbeit fingen die Kollegen an zu tuscheln, sobald Maike außer Hörweite war. Selbst ihr Chef bat, sich für Geschäftstermine einen Rock anzuziehen. Sie war nicht mehr die coole Rebellin, die mit ihrem Style beeindruckte. Sie wurde zu einem Sonderling, die argwöhnisch betrachtet wurde. Zweifel säten in Maikes Herz, doch sie blieb stur.
Mit der Zeit wurden die Unsicherheiten größer und irgendwann so stark, dass Maike es nicht mehr schaffte zur Arbeit zu gehen. Die Kündigung folgte recht schnell. Ihre Freunde hatte sie auch Ewigkeiten nicht mehr gesehen, hielt nur noch online Kontakt. Jeanny derweil glich nur noch einem Flickenteppich, war bisschen zu eng an ihrer Taille, da sie zugenommen hatte. Sie saß nicht mehr so gut, der Look sah auch nicht mehr so lässig aus. Doch das war Maike egal. Sie blieb Zuhause, verließ die Wohnung kaum, solange sie ihre Jeans anbehalten konnte und vertrieb sich die Zeit mit Streamingdiensten.
Dann, an einem Montagabend, vibrierte Maikes Handy. Eine Erinnerung von Facebook: 30 Jahre Freundschaft mit Martina. Meike wischte über die Bilder, erinnerte sich an die alten Zeiten. Als sie draußen waren, als sie gelacht hatten, wie sie gemeinsam einkaufen waren, ja sogar gemeinsam Jeanny gefunden hatten. Wie sie beide Pläne für ihr Leben geschmiedet hatten, alles erreichbar schien. Nie hätte sie sich vorgestellt, dass sie später einmal wochenlang alleine in ihrer Wohnung sitzen würde. Wehmütig dachte sie an ihr altes Leben zurück.
Sie stellte sich vor ihren Spiegel und blickte sich in die Augen. Wunderte sich, wie viele Falten sich in ihrem Gesicht austobten, Schluchten tief wie der Grand Canyon. Sie hatte vergessen, dass sie inzwischen alt geworden und nicht mehr das junge Mädchen war, welches sie von ihrem Social Media Profilbild aus anlächelte. Gedankenverloren schaute sie sich das alte Foto an, betrachtete ihren wohlgeformten Körper in Jeanny. Kurz erschrak sie, schaute in den Spiegel, betrachtete das Foto erneut, dann wieder in den Spiegel. War das wirklich Jeanny? Die Jeans war so häufig geflickt worden, dass anscheinend vom ursprünglichen Stoff nichts mehr übrig geblieben war. Durch die ganzen Änderungen hatte die Hose nichts mehr mit dem Original gemeinsam. Doch wenn das auf dem Foto noch Jeanny war, was trug sie dann an ihrem Körper? Panisch riss sich Meike die Hose runter, schmiss sie in die Ecke, verließ hastig das Schlafzimmer. Ein Schrei entwich ihrem Mund, verhallte einsam zwischen den Wänden. Tränen stiegen ihr in die Augen, ihr Herz klopfte wie wild.
Wer war sie?
Ohne Zeitgefühl irrte Maike durch die Wohnung, auf der Suche nach der Antwort. Wer war sie denn, wenn Jeanny gar nicht mehr existierte? Sie hatte es sich so sehr angewöhnt, sich über die Jeans zu definieren, dass sie nicht wusste, was sie über sich denken sollte. Wenn jede einzelne Faser von Jeanny mittlerweile ausgetauscht war, war es dann noch dieselbe Hose?
War sie noch dieselbe Maike?
Doch eines Tages stolperte Meike bei einem Spaziergang im Wald. Sie fiel auf die Knie, rutschte mit der Jeans über den Kies. Zuerst durchzuckte sie der Schmerz, doch als sie sah, wie es um ihre Hose stand, wurde das blutige Knie nebensächlich. Das Knie würde heilen, doch was war mit Jeanny? Sie war zerrissen, dreckig und blutig.
Zuerst dachte sie daran, dass sie wohl eine neue Hose benötigte, doch es zerriss ihr das Herz. Das konnte sie nicht tun. Diese Hose war ihr viel zu wichtig. Schnell kam sie zu dem Entschluss, dass sie lernen musste, Hosen zu flicken oder anderweitig aufzuwerten. Es würde bestimmt nicht die letzte Macke bleiben, aber das musste nicht bedeuten sich von ihr zu trennen! Im Gegenteil. Mit diesen Fehlern konnte sie Zeichen setzen, konnte zeigen, dass sie den Mut und das Selbstvertrauen hatte, selbst jetzt noch zu ihrer Jeans zu stehen. Zu sehr definierte Maike sich selbst über diese Jeans. Wer wäre sie noch ohne sie?
Zuhause setzte sie sich sofort daran ihre Jeans zu bearbeiten, googelte nach Ideen, schaute sich Youtube Videos an, bevor sie sich dazu entschied aus Jeanny eine Ripped Jeans zu machen. Das war noch im Trend, die Leute kauften sich mit Absicht Hosen mit Löchern, da würde Jeanny doch nicht gegen anstinken. Und so begann es.
Im Laufe der Zeit musste Meike immer wieder Kleinigkeiten ausbessern. Kleine Verbrennung durch Feuerwerkkörper? Kein Problem, wurde geflickt. Ein Tropfen bleichendes Chlor? Einfach mit Schleifpapier nachgerieben, schon entstand ein Used-Look. Nieten nachziehen. Knöpfe annähen. Meike tat, was notwendig war, um Jeanny am Leben zu halten. Und so wie sich die Jeans wandelte, veränderte sich auch Meike. Kleider machen ja bekanntlich Leute.
Am Anfang war Maike noch die Coole, die ihre Hose verbesserte, nachhaltig lebte und der Modeindustrie ihr Geld nicht in den Rachen schob. Sie hörte häufiger Kommentare wie „Ich würde das auch so gerne können, aber ich habe zwei linke Hände“, oder „das ist so cool, dass du dir nichts vorgeben lässt“.
Doch irgendwann, ohne, dass es für Meike einen ersichtlichen Grund gab, kippte die Stimmung. Ihre Mutter begann zu fragen, ob Maike Geldsorgen hätte. Ihre Freunde schlugen immer häufiger vor, sich doch eine neue Hose zu kaufen. Auf der Arbeit fingen die Kollegen an zu tuscheln, sobald Maike außer Hörweite war. Selbst ihr Chef bat, sich für Geschäftstermine einen Rock anzuziehen. Sie war nicht mehr die coole Rebellin, die mit ihrem Style beeindruckte. Sie wurde zu einem Sonderling, die argwöhnisch betrachtet wurde. Zweifel säten in Maikes Herz, doch sie blieb stur.
Mit der Zeit wurden die Unsicherheiten größer und irgendwann so stark, dass Maike es nicht mehr schaffte zur Arbeit zu gehen. Die Kündigung folgte recht schnell. Ihre Freunde hatte sie auch Ewigkeiten nicht mehr gesehen, hielt nur noch online Kontakt. Jeanny derweil glich nur noch einem Flickenteppich, war bisschen zu eng an ihrer Taille, da sie zugenommen hatte. Sie saß nicht mehr so gut, der Look sah auch nicht mehr so lässig aus. Doch das war Maike egal. Sie blieb Zuhause, verließ die Wohnung kaum, solange sie ihre Jeans anbehalten konnte und vertrieb sich die Zeit mit Streamingdiensten.
Dann, an einem Montagabend, vibrierte Maikes Handy. Eine Erinnerung von Facebook: 30 Jahre Freundschaft mit Martina. Meike wischte über die Bilder, erinnerte sich an die alten Zeiten. Als sie draußen waren, als sie gelacht hatten, wie sie gemeinsam einkaufen waren, ja sogar gemeinsam Jeanny gefunden hatten. Wie sie beide Pläne für ihr Leben geschmiedet hatten, alles erreichbar schien. Nie hätte sie sich vorgestellt, dass sie später einmal wochenlang alleine in ihrer Wohnung sitzen würde. Wehmütig dachte sie an ihr altes Leben zurück.
Sie stellte sich vor ihren Spiegel und blickte sich in die Augen. Wunderte sich, wie viele Falten sich in ihrem Gesicht austobten, Schluchten tief wie der Grand Canyon. Sie hatte vergessen, dass sie inzwischen alt geworden und nicht mehr das junge Mädchen war, welches sie von ihrem Social Media Profilbild aus anlächelte. Gedankenverloren schaute sie sich das alte Foto an, betrachtete ihren wohlgeformten Körper in Jeanny. Kurz erschrak sie, schaute in den Spiegel, betrachtete das Foto erneut, dann wieder in den Spiegel. War das wirklich Jeanny? Die Jeans war so häufig geflickt worden, dass anscheinend vom ursprünglichen Stoff nichts mehr übrig geblieben war. Durch die ganzen Änderungen hatte die Hose nichts mehr mit dem Original gemeinsam. Doch wenn das auf dem Foto noch Jeanny war, was trug sie dann an ihrem Körper? Panisch riss sich Meike die Hose runter, schmiss sie in die Ecke, verließ hastig das Schlafzimmer. Ein Schrei entwich ihrem Mund, verhallte einsam zwischen den Wänden. Tränen stiegen ihr in die Augen, ihr Herz klopfte wie wild.
Wer war sie?
Ohne Zeitgefühl irrte Maike durch die Wohnung, auf der Suche nach der Antwort. Wer war sie denn, wenn Jeanny gar nicht mehr existierte? Sie hatte es sich so sehr angewöhnt, sich über die Jeans zu definieren, dass sie nicht wusste, was sie über sich denken sollte. Wenn jede einzelne Faser von Jeanny mittlerweile ausgetauscht war, war es dann noch dieselbe Hose?
War sie noch dieselbe Maike?