Mit einem ISS Ansatz hätte ich ja nicht gerechnet, wobei die Raumstation ja im Prinzip einen ähnlichen Effekt wie die Nostromo erzielen kann. Mir sind das zu Beginn ein paar Namen zu viel, allerdings bleibt die Übersichtlichkeit immer gewahrt. Das ist gut. Erzählerisch ist der Fokus auch etwas zu stark auf Dialoge ausgerichtet. Das bleibt fast die gesamte Geschichte über so. Ist vielleicht persönlicher Geschmack, aber mir ist das zu viel Gequatsche, zu wenig - bzw. zu wenig im Detail beschriebene - Handlung.
Wie das mit Zukunftsszenarien so ist, passt da nicht immer so alles zusammen. Mir ist das manchmal nicht futuristisch genug, auch in den Beschreibungen (Große Pause in der Schule). Einerseits erscheint es wie das ISS Leben von heute, andererseits führt man den lernenden Supercomputer ein, der einen technischen Standard vorgibt, der andere Dinge komisch erscheinen lässt. So ein paar Dinge erscheinen mir dadurch unlogisch. Oder zumindest nicht ausreichend durchdacht bzw. erklärt.
- Kann man im Jahre 2076 nicht auch andere Satelliten ansteuern, um Fotos von der Erde und anderen Großstädten zu machen? Und selbst wenn nicht, hat man von einer Raumstation aus doch etwas mehr im Blickfeld, als nur einen Streifen der USA.
- Dass der Fokus dann wieder auf Houston als einziges Hauptquartier einer internationalen Raumstation liegt, wirkt auch komisch. Klar, erster Ansprecher kann Houston von mir aus sein, aber dass sie jetzt nur damit Kontakt aufnehmen können finde ich komisch.
- Die Essensration hätte bei voller Besatzung nur noch einen Monat gereicht? Bin da natürlich kein Experte und es ist natürlich ein Science-Fiction Szenario, aber rein logisch betrachtet, wäre das reichlich knapp bemessen. Es gibt wahrscheinlich regelmäßig Flüge hinauf, alle 6 Wochen oder so. Aber gerade Proviant sollte nicht so knapp bemessen sein.
Der gewaltige Zeitsprung überrumpelt den Leser, was aber vielleicht gar nicht mal der schlechteste Effekt ist. Die kurzen Beschreibungen der Vorgänge auf der Erde sind nötig, könnten aber origineller sein. Vielleicht bin ich auch nur zu unflexibel, aber mir klingt das alles weiterhin zu sehr nach unserer Gegenwart, als nach postapokalyptischer Zukunft. Kindergärten, Schulen, Supermärkte und Drogenhandel? Nee, sorry, in meinen Augen passt das nicht und stilistisch stört es eher. Ob eine Raumstation 700 Jahre ohne Wartung durchs All eiern kann, ohne zu zerfallen, ist auch fragwürdig, kann man aber auch einfach mal so akzeptieren. Ein bisschen flexibel bin ich ja auch. Und klar, HAL, ich meine SMAD, ist ja da oben und regelt alles.
Aber auch in diesem Handlungsabschnitt gibt es ein paar Dinge, die man etwas genauer hätte erklären können (sollen?):
- Die Astronauten vertrauen auf die Aussage einer künstlichen Intelligenz, ob die Luft rein ist? Gibt es 2810 keine Messgeräte, die Luft überprüfen? Und gibt es keine digitalen Karten oder Pläne der ISS, die die Astronauten bei sich tragen können? Musste man sich die Gänge tatsächlich "einprägen"? Stattdessen trägt Barbara nur Pläne in der Tasche. Aus Papier, oder wie? Finde ich unpassend. Wie gesagt, es gibt einen denken Supercomputer, aber es soll nicht möglich sein, einen Lageplan der ISS auf einem portablen Gerät dabei zu haben? So was geht ja heutzutage schon auf dem iPhone.
Dann wird es aber interessant. Es geht zwar eigentlich primär um die KI und seine Langeweile, aber jetzt nimmt die Handlung Fahrt auf und das tut der gesamten Geschichte gut. Das ist spannend, ordentlich geschrieben und faszinierend. So ein paar Dinge gibt es auch hier, die ich gewöhnungsbedürftig finde. Das "Wir basteln uns im Traum neue Wesen" Simulationsprogramm klingt nach "Spore", erscheint hier aber nur als nötige Handlungskonstruktion, um SMAD eine Vorlage zu geben. Wie genau der Computer aus Leichenteilen das Alien bastelt, geht für mich zu sehr in die Fantasy, aber wir wollen mal nicht zu streng sein. Die paar Details gegen Ende in Richtung Gottkomplex und Gottkritik hätte es nicht gebraucht, aber störend sind sie auch nicht.
Die Frage ist jetzt nur, ob die Vorgeschichte in der Form nötig war. Die Crew der ISS 2076 interessiert quasi nicht mehr. Dass Valentin sich das Alien ausgedacht hat - von mir aus, aber der wurde zuvor ja auch nicht groß vorgestellt. Die gesamte Handlung von 2076 irritiert mehr, weil in dieser verkürzten Form die Verbindung der beiden Zeitlinien in der Form unnötig ist. Für 700 Jahre Entwicklung, eine tote Crew, Atomkrieg etc. fehlen die Details. Warum nich einfach 2810 in die Geschichte einsteigen und einfach kurz anschneiden, was dort und auf der Erde zuvor passiert ist.
Ich weiß, das klingt jetzt sehr negativ und positive Schlussbemerkungen klingen nie glaubwürdig, aber das Negative kritisiert man nun mal stärker. Die Ideen der zweiten Hälfte sind originell und faszinierend, der Stilfunktioniert auch, wenn er sich auch zu sehr auf Dialoge fokussiert. Da lässt sich definitiv was mit machen. Was man logisch und unlogisch, glaubwürdig und unglaubwürdig findet ist ja sicherlich eh subjektiv.