Lange keinen Film mehr gesehen, der so meinen Nerv getroffen hat.
Side effects ist ein Film, den ich so gar nicht auf dem Plan hatte. Bevor ich nach eine Empfehlung im Kino war, hatte ich keine Ahnung worum es auch nur ansatzweise in dem Film geht, geschweige denn, wer ihn gedreht hat. Alles was ich an Informationen hatte, war das, was das Poster bei einem schnellen Blick offenbarte. Side effects - one pill can change your life. Darunter kann man sich vieles Vorstellen - eine ausgeprägte Kritik an der Pharmaindustrie, eine Warnung an unsere Gesellschaft, die alles nur mit einer schnellen Pille lösen will, vielleicht aber auch eine Art Horrorfilm, in der ein neues Medikament Leute in Monster verwandelt und ihnen ihre Menschlichkeit nimmt oder doch eine Geschichte von Heilung, in der eine Pille Menschen zu etwas besseren Macht? Ich wusste nichts als der Film begann und wenn man diesen Streifen in seiner Ganzheit genießen will, dann sollte man es genau so handhaben - und vor allem jetzt aufhören weiterzulesen.
Auch wenn sich im folgenden die Spoiler auf das erste Drittel beziehen, so ist der Film wohl am effektivsten, wenn man so gut wie nichts darüber weiß - am besten nicht einmal das Genre in dem er sich bewegt.
Denn was Soderbergh in seinem vielleicht letzten Kinofilm abliefert, ist ein Psychothriller der Hitchcockschen Schule. Ein Film, der sich seinem Genre nicht nur bewusst ist, sondern die eigenen Genrekonventionen zelebriert und gänzlich auskostet. Soderberg versteht es, den unwissenden Rezipienten in verschiedene Richtungen zu führen, die sich alle als Trugschluß offenbaren. Was als Drama von einer Frau beginnt, die ihren Lebenswillen verloren zu haben scheint, entwickelt sich zunächst in eine Oberflächliche Kritik an einer Gesellschaft, die ihre persönlichen Probleme nur noch durch immer neuere Medikamente in den Griff bekommen kann und endet in einem Thriller über Verlangen, Gier und Intrigen: Der Zuschauer folgt dabei zunächst der Geschichte von Emily, gespielt von Rooney Mara. Ihr Mann, gespielt von Soderberghs Liebling Tantum, ist kurz nach ihrer Hochzeit für Insider Trading in den Knast gewandert. Sie verlor ihr Haus, ihre Lebensgrundlage und ihre große Liebe. Nach einer kurzen, grausamen Vorausschau auf das Drama, was sich anbahnt, knüpft die Erzählung an den Moment an, in dem ihr Mann entlassen wird und beide versuchen ihr gemeinsames Leben wieder in den Griff zu bekommen. Emily scheint dabei unter dem Druck zunehmend in Depressionen zu verfallen, was bereits nach kurzer Zeit zu ihrem ersten Selbstmordversuch führt.
Auftritt Jude Law, als aufstrebender Psychiater Jonathan Banks, der gleichzeitig mehrere Jobs für das Krankenhaus, die Polizei und in seiner eigenen Praxis wahrnimmt und stetig unter Strom steht - eine Situation die er nach eigener Aussage nur durch Chemie in den Griff zu bekommen scheint. Dr. Banks wird dabei zur Identifikationsfigur für den Zuschauer. Er versucht vor allem seinen Patienten zu helfen, lebt ein chaotisches Leben mit seiner Frau die er liebt und ihrem Sohn, um den er sich vorbildlich kümmert. Gleichzeitig ist er eine großer Freund der Pharmaindustrie - ob Beta-Blocker, Anti-Depressiver oder Aufputschmittel, er sieht es als normal an, die eigenen Probleme durch Medikamente in den Griff zu bekommen. Fortan begibt sich Emilie in seine Behandlung, woraufhin er Kontakt zu Dr. Seabert, gespielt von Zeta-Jones, aufnimmt und auf Emilys Wunsch immer neuere und experimentellere Anti-Depressiver verschreibt. Es ist eine Entwicklung, die stetig aber sicher eskaliert, als Emilys Nebenwirkungen immer extremer zu werden scheinen, auch wenn sich ihre psychische Situation verbessert. Diese Mischung aus psychischen Zusammenbrüchen, scheinbarer Besserung und radikalen Nebenwirkungen kulminiert in einem mysteriösen Mord, dessen Umstände unklar sind und der droht sowohl Emilys, als auch Dr. Banks Leben zu zerstören.
Wie bereits zu Beginn erwähnt, bedient sich der Film sowohl in der Erzählstruktur, als auch beim Spannungsaufbau, den klassischen Mitteln des Hitchcockschen Psychothrillers. Suspense ist das wichtigste und zentralste Mittel, mit dem Spannung erzeugt wird. Der Zuschauer begreift bereits vor den Figuren der Handlung, auf welches Unheil sie gerade zusteuern und die Spannung entsteht aus dem Zweifel, ob es tatsächlich so zutreffen wird wie man es erwartet hat. Der Mord im ersten Drittel des Films ist dabei eine der am geschicktesten gedrehten Szenen, die das Kino der letzten Jahre zu bieten hat. Der Suspense spannt dabei einen großen Bogen zur Vorschau der Ereignisse zu Beginn des Films, spielt mit den Motiven des Bootes, der gedeckten Tisches und des Küchenmessers und ist wohl in seiner Art eine der eindeutigsten Homagen an Hitchcocks Werk. Die so oft zitierte Bombe unter dem Küchentisch tickt unablässig in diesem Film.
Suspense ist allerdings nur eins der Mittel, mit denen Soderbergh spielt. Der Regisseur lässt es oftmals unklar, in welche Richtung sich der Film als nächstes Entwickeln wird, lässt den Zuschauer rätseln, welche Sichtweise der Ereignisse die richtige ist und setzt auf Überraschungsmomente, die allerdings nicht immer funktionieren wollen. Dafür steckt der Film zu tief in der klassischen Struktur eines Psychothrillers, auch wenn sich das thematische Genre mehrfach im Film zu ändern scheint. Dieser Wandel der Genres ist eine geschickter Kniff, der besonders funktioniert wenn man im voraus nichts über den Film weiß.
Soderbergh versteht es dabei, den Blick des Zuschauers zu lenken, manchmal auf wichtiges, das man zunächst nicht wahrnimmt und oftmals auf scheinbar wichtiges, was sich im Anschluss als falsche Fährte offenbart. Das Filmbild ist dabei, wie so oft in Filmen mit Twists, ein Trugschluss, zeigt nur dass, was es gerade zeigen will und macht den Zuschauer nicht zum allwissenden Hellseher. Klassisch ist dabei auch der plötzliche Wechsel der Hauptfigur. Dreht sich das erste Drittel um die Gefühlswelt und die Probleme von Emily, aus der Sicht von Emily, so wird Dr. Banks nach dem Mord zur alleinigen Hauptfigur des Films, behandelt seine eventuelle Mitschuld, seine persönlichen Probleme allein aus seiner Sicht. Der Zuschauer fühlt dabei Dr. Banks eigene Unsicherheit, ob er einen Fehler gemacht haben könnte, ob der persönliche Stress sein Urteilsvermögen beeinflusst hat.
Diese Gefühlswelt ist eindrucksvoll eingefangen. Das Licht in Emilys Szenen ist diffus, die Kameraarbeit geprägt durch lange, ruhige close ups. Oftmals spiegelt sich ihr Gesicht in verzerrenden Oberflächen, oder man filmt sie durch trübe Fenster und in kaltem Neon Licht, was den im Film so oft zitierten grauen Nebel der Depression auch bildlich in den Film übersetzt. Musikalisch wird das ganze von ruhigen, einfachen und melancholischen Melodien unterstützt. Auch wenn sich auch in diesem Film die gängige Farbwahl Blau und Orange wieder findet, so sind die Farben insgesamt stark unterkühlt, was den generellen Stil des Films widerspiegelt.
Was am Ende dabei rauskommt, ist ein Film, der einem klassischen Hitchcock kaum stärker Nachempfunden seien könnte. Mit einem Fokus auf Suspense, starken Motiven, wandelnden Sichtweise und Hauptfiguren, sowie überraschenden Wendungen ist er nach langen Jahren endlich wieder ein starker Psychothriller, der sich seiner selbst bewusst ist. Handwerklich durchweg fantastisch, mit starken Schauspielern und einer spannende Handlung, die einen bis zum Ende fesselt. Für einen Fan des Genres, für einen Fan von Hitchcock ein absolutes Fest und nach the Road endlich wieder ein Film der meinen Nerv voll und ganz getroffen hat.
8,5 / 10