Ben X
Mobbing, eine meistens auf Gruppendynamik zurückzuführende Verhaltensweise von vielen, die sich meistens auf eine einzelne Person fokussiert.
Ben ist diese Person. Er leidet am Asperger-Syndrom . Eine Form von Autismus, die als unheilbar gilt. Er ist nicht in der Lage seine Gefühle zu zeigen oder zu formulieren. Ebenso sind ihm zwischenmenschliche Aktivitäten, wie etwa Küssen, Lachen, Lächeln oder Weinen fremd. Um sie zu verstehen hat er permanent eine Videokamera bei sich und versucht so durch beobachten zu lernen.
Oder zu verstehen, denn er muss es verstehen.
Weil seine Umwelt ihn nicht versteht. Seit seiner frühsten Kindheit, war er ein Aussenseiter. Permanent dem Spott anderer ausgesetzt. Durch eine Verstrickung verschiedener Umstände, seien es Fehldiagnosen, menschliches Versagen oder Fehleinschätzungen, besucht er eine normale allgemeine Schule. Seine Noten sind ja schließlich in Ordnung.
Dieser Ort, Bens persönliche Hölle, stellt ihn jeden Morgen vor eine Prüfung. Er ist den Launen seiner Mitschüler, ins besondere denen der Klassen-Clowns Bogaert und Desmet, komplett ausgesetzt. Grade in diesen Szenen, entfacht der Film seine Stärke.
Als Zuschauer kann man diese Stellen nur ertragen, wenn man sich permanent vorruft, das es nur ein Film ist. Es entsteht ein Gefühl von Unbehagen, Fremd-schämen und viel Mitleid. Doch leider ist dies auch Realität.
Trotzdem findet Ben einen Ausweg, seinen Garten Eden. Jeden Tag besucht er die virtuelle Spielewelt Archlord. Dort ist er jemand, ein Level 80 Ritter. Darüberhinaus lernt er im Spiel ein Mädchen kennen, Scarlite. Mit ihr erlebt er Abenteuer, macht ihr den Hof, dort kann er leben. Er ist ein Held und kann sich sogar Artikulieren. Wahrscheinlich ist Scarlite der einzige Mensch, der mehr über Bens Innenleben weiß, als alle anderen.
Für seine Mutter, ist er ein Rätsel. Sie versucht ihn zu verstehen, hat viele Dinge in Kauf genommen um ihm ein optimales Leben zu schaffen. Aber der Autismus ist eine undurchdringliche Mauer für Sie und wohl auch der Grund, warum so viele falsche Entscheidungen was Ben angeht, getroffen wurden.
Der Film schildert permanent das Unverständniss und die Hilflosigkeit die Ben für seine/unsere Welt empfindet. Die visuelle Sprache die dafür eingestzt wird, eine Kombination von Bens Monologen, Vermischungen von Spiele Szenen und der Realität und teilweise gar dokumentarischen Kameraeinstellungen, hat man so noch nicht oft gesehen. Das das ganze im Mittelteil, auf einem tragischen Höhepunkt gipfelt, ist zwar vorausszusehen - weniger jedoch das eigentliche Finale. Der Regisseur Nic Balthazar hat seinen Film, mit den doch offensichtlich wenigen Mitteln, optimal inszeniert.
Natürlich kann er nicht mit den großen Produktionen aus Hollywood mithalten. Zumindest was die Bildgewalt angeht. Dennoch, Ben X ist ein intelligenter Film, der viel mehr ist, als einfach nur ein Drama um einen tragisch behinderten Jungen. An dieser Stelle sei die sensationelle Performance von Greg Timmermanns erwähnt, der die Hauptfigur Ben äußerst authentisch rüberbringt. Aber auch die Leistung von Titus de Voogdt, welcher den Tyrannen Bogaert mimt, ist bemerkenswert. Man hasst ihn wirklich, das sagt doch eigentlich schon alles.
Nein, Ben X ist mehr. Der Autismus steht meiner Meinung nach für die Unfähigkeit von jenen Unterdrückten sich ihrer vertrauten Umwelt anzuvertrauen. Sei es aus Schamgefühl, Stolz oder einfach nur Angst. Es ist nunmal so, das nicht nur geistig und körperlich behinderte Menschen Probleme mit vermeintlich stärkeren bzw. normalen Menschen haben.
Wenn sich in einer Gruppe fest definierte Zustände etabliert haben, werden diejenigen runtergemacht, die nicht in das besagte Schema passen. Dies können banale Dinge, wie etwa Kleiderfragen oder der Musikgeschmack sein. Aber auch kollektiver Drogenkonsum, die Hautfarbe, sexuelle Orientierungen oder politische Ansichten.
Menschen die in diesen Gruppen nicht in das Raster passen, werden gedemütigt. Das fängt unter Umständen schon im Kindergarten an. Da es leider oft so ist, das die eigenen Eltern einen nicht verstehen oder man, wie erwähnt, sich aus welchen Gründen auch immer nicht offenbaren möchte, müssen Auswege gesucht werden.
In Bens Fall ist es ein Videospiel. Tragische Realität wenn man sich mal überlegt das World of Warcraft mittlerweile 10 Millionen Mitglieder hat. Wir alle wissen, das es dort nicht nur Gelegenheitsspieler gibt. Sondern für viele auch eine alternative Welt, in der geheiratet, gelebt und gefeiert wird. Eine andere Rettung können durchaus auch Drogen sein, der Weg auf die Schiefe Bahn vielleicht oder auch Suizid. Nach dem Unfalltod ist in Deutschland Suizid mittlerweile die zweithöchste Todesursache. Jeden Tag nehmen sich in der BRD etwa drei Menschen unter zwanzig Jahren, das Leben. Natürlich sind die Gründe unterschiedlich und lassen sich bestimmt nicht nur auf Mobbing oder dem fristen als unverstandener und unbeachteter Jugendlicher zurückführen. Trotzdem ist es erschreckend und tragisch. Aber es gibt auch immer postive Geschichten. Nicht jeder ehemalige Aussenseiter ist für den Rest seines Lebens dazu verdammt in Einsamkeit zu verharren. Auch dieser Umstand macht den Film so stark und eindrucksvoll.
Er hat, im Gegensatz zu vielen anderen Filmen die in letzter Zeit so raus kommen, eine wichtige Message. Er bezieht Stellung für all die Missverstandenen und Unterdrückten unserer Gesellschaft. Vergisst dabei aber nicht zu unterhalten und spannend zu bleiben. Vielleicht werden die ein oder anderen Klassen bzw. Gruppenkönige ihr Verhalten bevor Sie das nächste mal auf das schwächste Glied der Kette einschlagen, überdenken.
Balthazar hat seine eigene Vorlage (das Jugendbuch "Nichts war alles, was er sagte") mit einem bemerkenswert akribischen Hang zur Perfektion, hervorragend umgesetzt. Natürlich gibt es Dinge zu bemängeln, welche aber wohl eher auf die verwendete Hardware und die damit verbundenen Kosten, zurückzuführen sind. Weil rein vom Handwerk, konnte ich nichts negatives finden.
Ben X ist einer der wichtigsten Filme der letzten Jahre und sollte gesehen werden. Ich denke ein Hollywood Remake, ist nur eine Frage der Zeit.
10/10