Kinos haben wieder auf, der neue Eastwood startet. Mit anderen Worten Pflichtbesuch.
Nun ist es natürlich einerseits so, dass ich großer Eastwood-Fan bin, andererseits aber auch so objektiv wie möglich sein möchte. Und dann muss man konstatieren, dass Eastwood schon lange keinen richtig guten Film mehr abgeliefert hat. In meinen Augen war das GRAN TORINO, und der ist von 2008. Alles was danach kam war guter bis sehr guter Durchschnitt, wobei ich tatsächlich glaube, dass er - bewusst oder unbewusst - noch einmal nach einem Oscar lechzt. Und das tat seiner Auswahl nicht gut.
Der Trailer zu RICHARD JEWELL nährte dann aber wieder die Hoffnung, dass Eastwood zu alter Stärke gefunden hat. Allerdings vermittelt der Trailer nun rückblickend betrachtet einen falschen Eindruck. Es geht hier nicht um die Wahrheit, um Fakten oder den Kreuzzug eines kleinen Mannes gegen die Medien und den Staat. Daran ist Eastwood überhaupt nicht interessiert und wischt das alles sichtlich desinteressiert in einigen notwendigen, jedoch kurzgehaltenen Szenen zur Seite. Ihn interessieren die Charaktere. Ähnlich war es ja schon bei SULLY, der unter anderer Führung auch ein packendes Gerichtsdrama hätte sein können.
Was passiert mit einem einfach gestrickten Menschen wie Jewell, wenn er innerhalb weniger Tage vom Helden zum Attentäter mutiert? Welche Auswirkungen hat das auf ihn?
Wer also einen Spannungsfilm im Stile von EINE FRAGE DER EHRE erwartet, und etwas ähnliches suggeriert der Trailer ja durchaus: Bitte gehen sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen.
Wer jedoch einen im besten Sinne kleinen und fast schon intimen Film mit grandiosen Darstellern sehen möchte, sollte einen Blick riskieren. Rockwell ist toll wie immer, Bates wird zwar über weite Strecken verschenkt, hat jedoch ein, zwei Szenen, in denen sie brilliert. Doch wirklich herausragend ist Paul Walter Hauser, der eine absolute Galavorstellung abliefert und zumindest eine Oscar-Nominierung verdient gehabt hätte.
Eastwood inszeniert gewohnt schnörkellos, absolut sicher und mit einer Ruhe und Selbstsicherheit, die es heute im Kino nicht mehr häufig zu sehen gibt. Das ist die große alte Schule des Filmemachens, und es ist hinreißend zu sehen, wie mühelos ihm das gelingt. Das ist ein typischer Eastwood und seine Handschrift ist jederzeit zu sehen. Ursprünglich war mal Paul Greengrass als Regisseur vorgesehen, und dann wäre RICHARD JEWELL ein gänzlich anderer Film geworden - nicht zwangsläufig schlechter, aber definitiv anders.
Vielleicht könnte auch niemand anderes als Eastwood einen solchen Film heute überhaupt noch auf die Beine stellen und grünes Licht erhalten.
Aber wie in vielen anderen Eastwood-Filmen auch ist das Drehbuch nicht ausbalanciert und fokussiert genug. Einige Figuren sind viel zu klischeehaft und flach gezeichnet. Das würde in einem Film, der dramaturgisch ein höheres Tempo anschlagen würde gar nicht so stark ins Gewicht fallen. Doch gerade, weil Eastwood sich auf die Figuren fokussiert, ihnen Platz lässt, das Tempo gemächlich ist und er keine Spielereien einbaut, fallen die fehlende Fokussierung und die mangelnde Ausarbeitung der Charaktere auf. Dazu werden unnötig Nebenstories angedeutet, die weder zu irgendetwas führen, noch später aufgegriffen werden.
Die Darsteller und Eastwoods routinierte Regie egalisieren einige, aber nicht alle Schwächen des Skripts und einmal mehr wünscht man sich, dass der alte Mann mehr Wert auf ein funktionierendes Skript, das zu seinem Ansatz passt, legen würde. Aber das wird man wohl nicht mehr erleben.
Unter dem Strich ist RICHARD JEWELL somit sicherlich kein sehr guter Film geworden - aber Eastwoods bester seit einigen Jahren. Und das will bei der Qualität seiner Filmographie schon einiges heißen.
7/10