Styx

Presko

Don Quijote des Forums
Styx

Regie:
Wolfgang Fischer
Darsteller: Susanne Wolff, Gedion Oduor Wekesa

Der Film handelt von der Notärztin Rike (gespielt von Susanne Wolfr), die sich in ihrem Urlaub auf einen Segeltörn von Gibraltar zur Insel Ascension im Südatlantik begibt, einer 88 km2 grossen tropischen Insel, jener paradiesischen Insel im Südatlantik, auf der Charles Darwin 1854 einen Garten Eden angelegt hatte und mit dem britischen Biologen und Botaniker Joseph Dalton Hooker schliesslich ein sich selbsterhaltendes und selbstreproduzierenden Ökosystem schuf.
Doch ihre abenteuerliche Reise übers Meer hin zum Naturparadies entwickelt sich ganz anders als geplant. Denn nach einem schweren nächtlichen Unwetter entdeckt sie mitten auf dem Atlantik einen havarierten und hoffnungslos mit Flüchtlingen überfüllten Fischdampfer, von dem aus ihr die Menschen verzweifelt zuwinken und zurufen. Rike reagiert sofort und informiert umgehend die Küstenwache, welche ihr versichert, dass Hilfe unterwegs sei und sie dazu auffordert, sich von dem in Seenot geratenen Schiff fernzuhalten.
Leichte Spoiler zum weiteren Verlauf:
Als auch nach mehreren Stunden keine Hilfe auftaucht, nimmt Rike selbst Kurs auf den Frachter. Doch als sie sich nähert, muss sie mitansehen, wie Passagiere über Bord gehen und vor ihren Augen ertrinken. Nur ein etwa 14-jähriger Junge schafft es bis an ihre Yacht heran. Rike kann den vor Erschöpfung bewusstlosen Jungen mit letzter Kraft in ihr Boot hieven. Aus Angst, dass noch mehr Menschen ins Meer springen könnten, entfernt sie sich wieder von dem Fischkutter und versorgt erst einmal den geretteten Jungen. Als dieser zu Bewusstsein kommt, fordert er die Ärztin immer wieder verzweifelt auf, den Menschen auf dem Kutter zu helfen. Er erzählt ihr, dass das Schiff, auf dem sich auch seine Schwester befinde, ein Leck habe und untergehen wird.
Rike sieht sich mit einem Dilemma konfrontiert, aus dem sich kein einfacher Ausweg finden lässt.

Regisseur Wolfgang Fischer hat neun Jahre an dem Film gearbeitet. Gedreht wurde mehrheitlich auf offenem Meer: Ein Filmteam aus zehn Personen 42 Tage lang auf einem Elf-Meter-Boot bei sich ständig verändernden Wetterverhältnissen - ein irres Projekt.

Der Titel Styx kommt aus der griechischen Mythologie, wo Styx der Name eines Flusses ist, welcher die Grenzen zwischen der Welt der Lebenden und dem Reich der Toten darstellt.

Dank dem Dreh auf dem offenen Meer hebt sich der Film durch seine Authentizität stark von anderen Filmproduktionen ab wie etwa dem ebenfalls auf einem Segelschiff spielenden "All is Lost" mit Robert Redford. Das Schlagen der Wellen, die Verzweiflung der Heldin, ihre Kraftanstrengungen, das alles wird für die Zuschauer richtig spürbar.
Für einen Film, der über lange Zeit nur eine Protagonistin hat, die dann auch noch lange stumm bleibt, ist es natürlich von zentraler Bedeutung, die richtige Darstellerin zu finden. Die deutsche Susanne Wolff ist da ein Glücksgriff. Unprätentiös verkörpert sie glaubhaft diese starke, entschlossene Frau, die mit ihrem eigentlich klar ausgerichteten moralischen Kompass in eine Situation gerät, wo sie in körperlicher wie moralischer Weise an ihre Grenzen stösst.

Nachdem wir sie zu Beginn des Films kurz in ihrem Arbeitsalltag gesehen haben, beobachten wir sie dabei, wie sie sich auf ihren Segeltörn vorbereitet. Zig Liter Wasser schleppt sie auf ihre Segelyacht und mutet ein wenig wie eine moderne Kriegerin in Kampfmontur an, wenn sie in ihrer professionellen Sportseglermontur das Schiff lenkt, die Segel hisst und gegen Wind und Wetter antritt. Dann wieder sehen wir sie in Harmonie mit der Natur, wie sie auf offenem Meer auf dem Deck ihrer Yacht liegt und in ihren Naturbüchern blättert oder dem weiten Horizont entgegenblickt. Diese Frau weiss um die Gefahren, die ihr auf dem Weg lauern und hat sich entsprechend ausgerüstet. Die Natur stellt hier sowohl Sehnsuchtsort als auch ständige Bedrohung dar.

Im Gegensatz dazu die Flüchtlinge, deren Situation auf dem Schiffkutter sich die meiste Zeit nur erahnen lässt. Ein heruntergekommener, wahrscheinlich seeuntüchtiger Dampfer, Menschen in zerschlissenen Kleidern, ohne Nahrung und medizinische Versorgung, während sich Rike für alle Eventualitäten ausgerüstet hat. Für alle Eventualitäten ausser jener, einem Flüchtlingsschiff mit über hundert in Not geratenen Menschen mitten auf dem Atlantik zu begegnen.

Obwohl Fischer erzählt, dass er im Grunde ein klassische Abenteuergeschichte machen wollte, ist es eben doch der Aktualitätsbezug mit den aufgeworfenen Fragen nach dem richtigen Handeln in so einer Situation, die ihn neben den inszenatorischen Stärken so eindringlich macht.
Rike selbst will helfen, daran lässt der Film keine Zweifel aufkommen. Für die Ärztin ist die Hilfe für Menschen in Not ein Imperativ, der nicht zur Diskussion steht. Doch welche Handlungsmöglichkeiten stehen ihr als Individuum offen? Was passiert, wenn ihre Versuche zu helfen, unbeabsichtigte Konsequenzen haben, die womöglich weiteres Leid verursachen? Sie mag zwar ein einzelnes Leben mit dem Einsatz all ihrer Ressourcen retten, doch bleiben hundert weitere Menschen, die auf Hilfe angewiesen wären, zurück.

Aus ihrer Arbeit als Notärztin ist sich Rike gewohnt, in einem System zu agieren, in welchem alle Beteiligten derselben Logik folgen, und das Retten von Leben an die erste Stelle setzen. Nun findet sie sich allerdings plötzlich in einem System wieder, das einer anderen Logik gehorcht. Das Retten von Leben steht dabei hinten an. Es ist die Logik der Festung Europa. Eine Logik, in der das Helfen und Retten an der hintersten Stelle steht und erst zum Zug kommt, wenn es nicht mehr anders geht. Und diese Einsicht wird sich Rike im Verlaufe des Films stellen müssen.
 
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