True Detective Staffel eins

Clive77

Serial Watcher
Es ist nun schon eine Zeit lang her, dass die erste Staffel von „True Detective“ mit seinen acht Episoden auf HBO ausgestrahlt wurde. In Deutschland läuft die Serie, die in der ersten Staffel eine abgeschlossene Geschichte behandelt, zurzeit noch auf Sky Atlantic und dürfte danach auch ihren Weg ins Free TV oder zu einem VoD-Anbieter finden, bevor sie schließlich auf DVD und BD erscheinen wird.
Hier nun ein kleiner Rückblick auf die Serie, die sowohl von Kritikern wie auch vom Publikum mit Lob nur so überhäuft wurde.

Anmerkung: Wie schon beim Artikel zur ersten Staffel von "Hannibal" gibt es auch hier einige Spoiler, auch wenn ich versucht habe, den Text so allgemein wie möglich zu halten und die Handlung nicht detailliert beschreibe.


Worum geht es überhaupt?
Kurz gesagt geht es in „True Detective“ um zwei Ermittler und einen Kriminalfall, der sich über knapp zwei Jahrzehnte erstreckt. Aber man würde die Reihe falsch einschätzen, wenn man sie auf einen lang gestreckten Krimi hinunter bricht.
In erster Linie geht es um Detective Rustin Spencer „Rust“ Cohle (Matthew McConaughey) und Detective Martin Eric „Marty“ Hart (Woody Harrelson), die im Jahre 1995 in Louisiana zusammen im Mordfall an der Prostituierten Dora Kelly Lange (Amanda Rose Batz) ermitteln müssen und deren Weltanschauung und Lebensart kaum unterschiedlicher sein könnte. Während Marty den Eindruck eines „normalen“ Ermittlers macht und in erster Linie mit seinen menschlichen Schwächen kämpft - zum Beispiel wenn es darum geht, Arbeit und Familie unter einen Hut zu bringen - hat Rust ein eher nihilistisches Weltbild, lebt alleine und zeigt oft selbstzerstörerische Züge. Aber beide sind gut in ihrem Job und ihre unterschiedlichen Anschauungen führen dazu, dass jeder auf seine Weise den Täterspuren nachgeht, so dass sie schließlich zur Lösung des offensichtlichen Ritualmordes vordringen. Oder doch nicht?
Der Mordfall selbst spielt zunächst eine Nebenrolle, um die Vorstellung und Entwicklung der beiden Ermittler beziehungsweise deren Verhältnis zu einander voran zu treiben. Die Spurensuche geht dabei nur langsam von statten, führt aber im Verlauf der acht Episoden zu einer groß angelegten Verschwörung und zu einem Täter, der den Magen des Zuschauers ausgiebig auf Stabilität testet.

Erzählweise
Die Geschichte von Rusty und Marty wird verschachtelt erzählt. Anfangs besteht die Rahmenhandlung aus einer Befragung der beiden in der Gegenwart (im Jahre 2012) zum 17 Jahre zurückliegenden Fall. Anhand dieser Befragungen beginnt die Serie ihre Ausflüge in die Vergangenheit, um uns den Werdegang der Figuren sowie den Mordfall vorzustellen. Neben McConaughey und Harrelson ist Louisiana ein weiterer Hauptdarsteller, wird der Bundesstaat doch hervorragend genutzt, um visuell beeindruckende Bilder zu liefern.
Sämtliche Skripte stammen dabei von Serienschöpfer Nic Pizzolatto und alle Episoden wurden von Cary Joji Fukunaga in Szene gesetzt. Neben dem hervorragenden Schauspiel der beiden (Haupt-)Protagonisten sorgen Kameraarbeit, Ton und Bilder für eine dichte Atmosphäre, die den Zuschauer von der ersten bis zur letzten Szene zu fesseln vermag. Selbst in den ersten drei Episoden, die mitunter etwas anstrengend wirken können, schaut man oft mit heruntergefallener Kinnlade zu.
Die Aufmerksamkeit des Zuschauers wird dabei von verschiedenen Seiten gefordert. So erzählen Rust und Marty bei einigen Ereignissen eine andere Geschichte als die, die uns parallel zu ihren Interviews gezeigt wird. Auch versteckt sich eine große Portion Symbolik und Mystik in den Bildern, die wir zu sehen bekommen. Gegen Mitte der Reihe könnte man sogar vermuten, dass sich die Serie auf übernatürlichen Pfaden weiter bewegen wird. Pizzolatto lehnt die Symbolik dabei an „The King in Yellow“ - eine Kurzgeschichtensammlung von Robert W. Chambers - an und die teils philosophischen Ausführungen von Rust tragen weiter dazu bei, dass die Reihe mehr Tiefe bekommt als jeder andere Krimi der Woche. Nach der fünften Episode ist man drauf und dran, sich noch einmal alle bisherigen Folgen anzuschauen und nach den Hinweisen zu suchen, die man vielleicht verpasst hat.
Neben den Ereignissen in 1995 gibt es eine zweite „Station“ bei den Rückblicken, die im Jahr 2002 zu finden ist. Hier findet eine Art Schnitt zwischen den beiden Protagonisten statt und der mutmaßlich bereits gelöste Mordfall mit seinen einfachen Verstrickungen wird erneut aufgegriffen, um den Weg und Werdegang bis zur Gegenwart in 2012 aufzuzeigen und den Kreis der Ermittlungen und der Interviews zu schließen. Spätestens ab hier wird auch die eher ruhige Erzählweise der ersten Staffelhälfte endgültig beiseite gelegt und das Tempo angezogen.

Beeindruckend von vorne bis hinten
Es gibt viele Dinge, die in der Serie perfekt gelungen sind. Das größte Lob geht dabei sicher an die schauspielerischen Leistungen von McConaughey und Harrelson, die ihre Rollen jederzeit authentisch und mit Bravour verkörpern. Aber auch der restliche Cast weiß zu überzeugen und die Maske hat in Bezug auf die verschiedenen Zeitebenen tolle Arbeit geleistet. Als Zuschauer kann man sich jederzeit in die Figuren und auch die jeweilige Zeit hinein versetzen (wobei das im Falle von Rust vielleicht eher ungesund ist).
Die ruhige Art, mit der die ersten Episoden aufwarten, mag sich stellenweise anstrengend anfühlen. Doch wenn dann der Knoten platzt und die Ereignisse sich plötzlich überschlagen (was in der vierten Episode der Fall ist), kann der Zuschauer diese Szenen (böse Zungen würden vielleicht von einer „Belohnung für’s Durchhalten“ sprechen) umso mehr genießen und wird mit einer Intensität geschlagen, die ihresgleichen sucht. Ein erwähnenswertes Highlight ist dabei eine etwa sechsminütige Actionsequenz ohne jeglichen Schnitt. Atemberaubend.
Spannend ist die erzählte Geschichte allemal und vermag es dabei, dem Zuschauer ordentlich an die Nieren zu gehen. HBO ist bekannt dafür, auch vor drastischen Bildern kein Halt zu machen und „True Detective“ macht davon teilweise auch Gebrauch. Trotzdem werden die härtesten Momente der Reihe der Fantasie des Zuschauers überlassen - was ohnehin effektiver sein dürfte als eine Exploitation von Kindesmissbrauch und/oder -mord.
Apropos HBO und Pay-TV: Nackte Haut gibt es selbstverständlich auch zu sehen. Dabei hat man allerdings nie das Gefühl, dass die Macher lediglich eine Art „Tittenquote“ erfüllen wollen oder müssen. Die (wenigen) Szenen fügen sich in das Geschehen ein und wirken nicht deplatziert oder gar unnötig.
Wenn es doch etwas zu bemängeln gibt, sind es höchstens Kleinigkeiten. Ein entscheidender Hinweis gegen Ende wird von Marty ein wenig „zu zufällig“ bemerkt, als dass man es ihm abkauft. Außerdem wird der Fall zwar abgeschlossen, aber einige der Missetäter werden nicht zur Rechenschaft gezogen - wie es auch im wahren Leben oft vorkommen mag (insofern lässt sich das vielleicht auch nicht kritisieren).
Das Finale, auf das sämtliche Episoden hinarbeiten, liefert einen unheimlichen sowie spannenden Abschluss. Nicht zuletzt, weil man bis zum Ende mit dem Ableben der beiden Protagonisten rechnen kann, denn ein Happy End ist keinesfalls garantiert.

Fazit: Bisher DAS Serienhighlight 2014. Wobei es mit „Fargo“ mindestens einen weiteren Neustart dieses Jahr gibt, der sich konstant auf einem ähnlich hohen Niveau befindet. „True Detective“ bringt jedenfalls alles mit, was „Qualitätsfernsehen“ ausmacht: Hochkarätige Darsteller, eine packend intensive Atmosphäre, erstklassiges Drehbuch und ausgezeichnete Regie. Möge es die zweite Staffel - mit neuem Cast und neuem Setting - ähnlich hinbekommen.

10/10 Schwarze Sterne
 

Clive77

Serial Watcher
Ich schmeiß' mal noch ein paar ausgewählte Zitate von den gängigen Kritiker-Homepages zur letzten Folge (1x08: "Form and Void") hinterher, die ich gesammelt bei metacritic gefunden habe (nicht jedes Fazit dort war positiv, aber doch der überwiegende Teil):

A.V. Club, Erik Adams:
What I really love about "Form And Void" is that it doesn't matter who The Yellow King was or how he was discovered. It's not some unseen force that steps forward in the final minutes; it's not any of the too obvious suspects bandied about in the various True Detective theories. His identity comes out in the most mundane manner, a discovery made because Marty's brain makes the right connection at the right time.

IGN, Jim Vejvoda:
Right to the end, True Detective danced around cop drama tropes, sometimes embracing them but ultimately winning out thanks to the strength of its writing, characterizations, and direction. Even if there was never another season of True Detective after this one, the show would stand as one of the all-time great crime series ever produced for television.

TV Fanatic, Chris O'Hara:
A fitting conclusion to one of the best seasons of television I have seen in years.

Variety, Brian Lowry:
Frankly, the build-up to the finale practically ensured some would view it as a letdown. That's because writer Nic Pizzolatto and director Cary Joji Fukunaga had cooked up such a succulent brew of weirdness and eccentricity till now that anything providing closure was destined to feel slightly pale in comparison. ... [But] the way the filmmakers left the mismatched, reunited pair was perfectly satisfying.

Das sollte erstmal reichen. :biggrin:
 

00Doppelnull

Statussymbol.
Sehr schöne Kritik. Wirklich eine grandiose Serie und wenn beide Hauptdarsteller absolut überragend spielen, so hat mich doch die gesamte Stimmung der Serie noch mehr beeindruckt. Dieser Wechsel zwischen Melancholie und ständige Anspannung, in einer Welt die irgendwie völlig fremd wirkt obwohl es unsere eigene ist. Sehr stark gemacht. Du hast Recht, wenn du sagst dass sich Fargo auf dem gleichen Niveau bewegt und Fargo hat dazu den Bonus deutlich leichter zugänglich zu sein. Ich finde es sehr schwierig True Detective irgendwem zu empfehlen, einfach weil oftmals nichts passiert. Es geht um die Figuren, um die menschlichen Beziehungen untereinander und ist durchaus anstrengend zu gucken. Nicht so herrlich schräg und zeitweise lockerleicht wie Fargo, auch wenn es um ähnlich harte Themen geht. Humor fehlt hier fast völlig, gute Laune sowieso, aber wer damit klar kommt hat mit True Detective wohl wirklich das Highlight der Season gefunden. Sehr sehr gute Serie, sehr interessantes Konzept und ich bin gespannt, wen sie für die nächste Staffel casten. Wird schwer zu toppen sein.
 

Garrett

Meisterdieb
Viele Dank für die hilfreiche Zusammenfassung. Ich sehe immer die Werbung und denke mir nur "Ok, und wo ist da der Haken?" - werd ich mir dann sicherlich mal ansehen.
 

Schneebauer

Targaryen
Ich finde die Trailer, die z.B. auf SKY laufen ziemlich irreführend. Da wird mehr Action versprochen als man bekommt.

Aber die Serie ist grandios. :top:
 

Envincar

der mecKercheF
Mir fehlt jetzt noch das Finale...aber bis dato einfach nur grandios und düster.
Matthew McConaughey wirkt so authentisch, dass man denkt er wäre schon immer so ein kaputter Cop gewesen. Woody spielt auch stark, bleibt gegenüber McConaughey allerdings blass (wäre wohl jedem so ergangen).
Ich befürchte ein wenig, dass man jetzt im Finale nur den Yellow King kassiert und die ganzen anderen Kinderschänder quasi davonkommen...das würde, wenn es denn so eintrifft, etwas unbefriedigend sein für mich :wacko:
 

Batou9

Well-Known Member
Ich bin völlig platt! Selten sowas gutes im Serienformat gesehen. Eigentlich ist es ein 480 Minuten langer Film. Matthew McConaughey liefert hier meiner Meinung nach seine beste Leistung ab. Einfach grandios gespielt. Die Serie zieht einen von der ersten Folge an in ihren bann. Und am Ende dacht ich nur WTF, was geht denn jetzt ab? Für nen Moment dachte ich David Lynch hätte seine Finger im Spiel, so abgefahren wirkte es. Wer 3 Wochenenden hintereinander einen psychisch unheimlich ehrlichen und den Zuschauer direkt ansprechenden Film sucht, der sollte sich die 8 Folgen der ersten Staffel unbedingt ansehen. Der Film spielt nicht nur mit philosophischen Daseinshinterfragungen, nein er liefert am Ende eine solch starke Antwort, dass ich wirklich platt bin. Matthew McConaughey und Woody Harrelson sind das beste Team, dass ich jemals in einer Krimiserie sehen durfte. Die Serie verteilt keine Blumen, sie will zu keinem Zeitpunkt besonders wirken, plättet aber gerade deshalb den Zuschauer. Hier geht es um bestialische Abgründe des Menschsein, um richtige Auseinandersetzungen mit der Warum Frage. Die Serie ist aber auch mit Vorsicht zu genießen. Diejenigen, die sich nach dem Serienmarathon schnell geflasht fühlen werden bis zum Ende von True Detective das genaue Gegenteil verspühren. Die Serie zieht unheimlich runter bzw. man bekommt das Gefühl, dass die Welt da draußen ein einziger Albtraum ist. So zumindest ließt man einige Kritiken von emotional dünnhäutigen Zuschauern. Die Serie bietet eine gewaltige Underdogsicht durch die Präsenz und hammerharte Denkweise von McConaughey. So als würde man einem Wiederauferstandenen zusehen, wie seine Mitmenschen langsam erkennen, mit wem sie es zu tun haben. Ich würde sagen, er ist die größtmögliche TV-Konzentration des Leids und des Loslassens vom Wahnsinn dieser Welt. Von Vernunft darf keine Rede sein, denn er zieht einen ziemlich runter mit seiner Ehrlichkeit. So wie er über die Realität, über das Dasein spricht, so stellt man sich nur jemanden vor, der alles verloren hat und unsagbares Leid erlebt hat. Es wirkt fast so, als sei er bereits gestorben, als schaue man einem Geist zu, der Woody Harrelson als Partner zur Seite gestellt wird. Gerade das macht diese Serie so interessant. Man weiß nichts über ihn, man erfährt jedoch sehr viel über ihn, soviel wie man selten über einen Protagonisten im TV erfährt. Kein dummes Gerede, sondern TV-Momente, in denen man sich völlig vergißt und wissen will, was diesen Menschen so sehr gekreuzigt hat. Und man erfährt es!!!!

Ich will nichts über die Story verraten, sie ist grandios.

Schade dass ich dieses Meisterwerk nicht ehr gesichtet habe. Ich dachte lange Zeit, dass es nur eine von vielen US-Mordkrimiserien ist, bis ich von einem Freund darauf hingewiesen wurde, dass es ein einziger Psychothriller ist, der einen intellektuell und philosophisch richtig herausfordert. Als Film hätte es nie funktioniert. Es braucht diese 480 Minuten Laufzeit. Und nichts davon ist gestreckt, keine dummen Zwischenfolgen, sondern eine straffe Schnurr. Es gibt ja gar Psychologen, die die Serie verteufeln und gleichzeitig bejubeln. Im Netz gibt es auch Podcasts, die sich mit den Querverweisen in unsere Realität beschäftigen, insbesondere dem Hinweis auf den gelben König und die Mystik der Serie. Hammerharter Tobak, der einem hier geboten wird.
 

Slevin

New Member
Die geniale Kameraarbeit nicht zu vergessen.
Ansonsten kann ich dir nur zustimmen, die Staffel ist ein Meisterwerk.
 

Schneebauer

Targaryen
Kann ich nur zustimmen! :top:

Auch wenn ich gestehen muss, dass man sich wirklich drauf einlassen muss. Hab die Serie anfangs etwas unterschätzt. So zum nebenbei laufen lassen ist das absolut nichts!
 
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