Der Film Y entwickelt sich jedoch unverhofft zum Kultfilm, und deswegen lizensiert X den Film noch einmal für weitere 10 Jahre. Jetzt muss er sich jedoch entweder mit Z über einen weiteren Vertrag einigen oder eine neue Synchro anfertigen lassen. Er darf aber definitiv nicht einfach die alte Synchro verwenden. Wie gesagt: Passiert heute eher selten, war früher aber gar nicht so ungewöhnlich und ist auch der Grund, warum es einige Filme mit mehreren Synchros gibt, die bisweilen auch von TV-Sendern in Auftrag gegeben wurden, weil sie zwar die Lizenz an dem Film Y erworben haben, die Synchro-Rechte jedoch wieder an das Synchro-Studio geflossen sind und man sich nicht einigen konnte. Interessant wird es auch dann, wenn Firmen dann im Laufe der Jahre pleite gegangen sind, denn wer besitzt denn dann nun die Rechte? An solchen Fragen ist schon die eine oder andere Veröffentlichung gescheitert, es ist teilweise kurios.
Ich gehe jedoch davon aus, dass Netflix da keine halben Sachen macht, und daher Herr im Haus bei den Synchros ist.
Lohnt sich dieser Mehraufwand, fragt man sich dann im Netflix Deutschland HQ, um vielleicht 10 Neukunden durch einen synchronisierten "Wandering Earth" anzulocken? Oder wie groß ist die Gefahr, dass bestehende Kunden durch eine fehlende Synchro vergrault werden? Vermutlich ist die Gefahr nicht besonders hoch, denn auch das ist das Prinzip Netflix: "Wandering Earth" wird dann von einigen Leuten nicht geschaut, aber die suchen sich dann irgendetwas Anderes aus dem Konvolut. Netflix hat ja erst einmal keinen Mehrverdienst, ob Film X jetzt 2000x oder 200.000x oder 2 Mio. Mal geguckt wurde.
Auch da bin ich bei dir, doch in etwa an diesem Punkt nervt mich das System Netflix auch immer mehr. Ich möchte da aber grundsätzlich aber erst einmal in drei Kategorien unterscheiden, weil es für mich einen Unterschied macht.
Variante 1: Netflix-Eigenproduktionen
Auch wenn ich dann aus den genannten Gründen immer noch eine Synchro erwarten würde, kann Netflix da machen, was sie wollen. Es sind Eigenproduktionen und wenn sie kein Interesse daran haben, dass möglichst viele Leute ihre Sachen sehen, dann ist es halt so. Ich halte es aus mehreren Gründen für grundsätzlich falsch, dass sie ihre Eigenproduktionen nicht für jedermann freigeben, aber faktisch ist es halt deren Modell und es wird in den meisten Fällen keine separate Auswertung geben. Ich habe als Konsument also so oder so keine Wahl. Das ist so, als wenn Stallone Rambo 6 finanziert, dann aber beschließt, ihn niemals zu veröffentlichen. Das ist dann blöde, aber ich kann mich drehen und wenden wie ich will: Ich werde ihn nicht sehen und er wird niemals das Licht der Leinwand erblicken. Das muss ich akzeptieren, ich habe keine Wahl.
Variante 2: Vertriebs-Aufsplittung bei eingekauften Projekten
Netflix kauft die Streaming-Rechte, überlässt eine parallele oder auch zeitlich versetzte VÖ auf DVD/BD jedoch einem anderen Anbieter. Das werden die niemals freiwillig tun, doch es mag Produktionen geben, wo die Produzenten der Meinung sind, dass sie durch eine Aufteilung der Rechte (Kino, Streaming, DVD/BD, TV) mehr Geld verdienen können und Netflix eben nicht jeden Preis zahlen will. Dann soll es mir auch egal sein, was Netflix macht, weil es ja eine VÖ auf DVD/BD geben wird - mit einer Synchronisation, mit Bonusmaterial, mit einer entsprechenden Wertschätzung was die Präsentation und Ausstattung betrifft. Ich habe also die Wahl und die Möglichkeit, ausweichen zu können.
Variante 3: Vertrieb-Netflix-Alone bei eingekauften Projekten
Netflix hält alle Rechte an einer Produktion, die sie nicht selbst finanziert und entwickelt haben, so wie im vorliegenden Fall. Unter der Voraussetzung, dass Netflix keine VÖ auf DVD/BD gestatten, obwohl Interessenten da wären, stört es mich massiv. Einerseits, weil es eben so ist, wie du es beschreibst. Tolle Sachen gehen bei Netflix häufig unter, der Film ist dann ein Wegwerfprodukt, den man eventuell findet oder nicht. Eine besondere Präsentation, Liebe zum Produkt oder zum Fan? Wozu auch. Vielleicht wird es mir empfohlen, vielleicht nicht. Eine Synchronisation? Pfeifen sie drauf. Bonusmaterial - sollte es sich anders verhalten, möge man mich korrigieren - hält man für überflüssig. Und dafür soll ich Netflix feiern? What? Dafür, dass sie einen Film wegsperren, ihn einfach auf einen Haufen schmeißen und es ihnen egal ist, ob oder von wem er gesehen wird, und es parallel Anbieter gegeben hätt, die den Film veröffentlichen wollten? Nochmal: What? Für was soll ich die dann feiern?
Ich will aber auch da diffenrenzieren. Es gibt sicherlich Filme, die nie den Weg nach Deutschland finden werden. Sie sind zu klein, zu nischig, für einen normalen Publisher zu riskant, als dass da jemals jemand zugreifen würde. Ich habe das ganz häufig mit Dokumentation. Es gibt da z.B. eine Doku über Larry Cohen, die ich unglaublich gerne sehen würde, von der ich aber befürchte, dass sie hier nicht erscheint. Bringt Netflix die nur mit dt. UT, bin ich tatsächlich froh, denn ansonsten würde ich die gar nicht zu Gesicht bekommen.
Aber: Das ist nicht zwangsläufig die Regel. Im vorliegenden Fall weiß ich, dass es mindestens zwei Interessenten für den Film gab, die ihn zu gerne für den DACH-Markt aufgekauft hätten, es aber eben nicht möglich war. Dann wäre der Film synchronisiert erschienen, es gäbe Bonusmaterial, es hätte ihn in verschiedenen Ausführungen gegeben, man hätte ihn entsprechend positioniert und beworben. All das fällt Stand der Dinge jetzt flach und das stört mich massiv. Mir fehlt es hier klipp und klar um die Wertschätzung für den Film an sich, aber auch um fehlenden Respekt vor dem deutschen Markt und dem Konsumenten an sich. Vielleicht beschließt Netflix irgendwann, ihn gar nicht mehr im Programm zu haben. und dann? Dann ist er für alle Zeiten verloren.
Und: Wenn kleine Independent-Label einen über 30 Jahre alten Film als zusätzliche BONUSFASSUNG neu synchronisieren lassen, damit die Fans den Stammsprecher einer bestimmten Figur bekommen, dann möge mir doch bitte niemand kommen, dass Netflix aus wirtschaftlichen Gründen keine Synchro anbietet. Natürlich ist dem so, aber ich muss das weder gut finden, noch so etwas fördern. Das ind doch deutliche Hinweise, in welche Richtung man das Ganze transportieren will. Mehr, mehr, immer mehr Filme und Serien, aber bitteschön mit so wenig Aufwand wie möglich. Und mit Aufwand meine ich jetzt natürlich nicht das Budget.
Die Folgen dieses sich immer schneller drehenden Karussells sind doch schon sichtbar. Majors fahren die Produktion von Bonusmaterial z.B. massiv zurück, Audiokommentare gibt es z.B. eklatant weniger als früher. Aus deren Sicht verständlich, das kostet Kohle und die Generation Streaming scheint ja keinen Wert darauf zu legen. Natürlich hat jeder das Recht, so etwas grundsätzlich abzulehnen und als langweilig zu bezeichnen, doch ich halte es für eine ziemliche Katastrophe, dass zukünftige Generationen eben nicht oder zumindest nur sehr eingeschränkt die Möglichkeit haben werden, eine Art Filmschule zu Hause besuchen zu können. Es gibt wahnwitzig tolle AK und Featurettes, die mir in vielerlei Dingen die Augen geöffnet haben, weil ich bestimmte Dinge so nie eingeordnet, oder mich nie für die Prozesse hinter dem Film interessiert hätte. All das fällt gerade etwas in sich zusammen, und ich denke auch nicht, dass sich das noch einmal ändert. Ich halte das im Gesamtpaket für äußerst schmerzhaft und langfristig gesehen tatsächlich auch für gefährlich, weil es in meinen Augen diese "Wegwerf-Mentalität" nur befeuert. Und genau das tut Netflix: Durch diese Form der Auswertung, durch diese Reduktion degradiert es Filme immer mehr zur Wegwerfware. Und ich sehe tatsächlich nicht, wofür ich Netflix gerade in diesem vorliegenden Fall aus den genannten Gründen feiern sollte.
Ich feiere sie dafür, dass sie STRANGER THINGS gemacht haben, nachdem es sonst keiner machen wollte, ja. Aber auch da: ich glaube bis auf 2 oder 3 Länder gibt es da keinen Release für den Heimkinomarkt. Bitter.