Zwei Tage, eine Nacht
Drehbuch und Regie
Jean-Pierre Dardenne
Luc Dardenne
Darsteller
Marion Cotillard
Fabrizio Rongione
Christell Cornil
Trailer
https://www.youtube.com/watch?v=yvS7_X8vDqA
Sandra arbeitet in einer Firma zur Herstellung von Solarmodulen. Wegen Depressionen war sie länger krank geschrieben gewesen. Kurz bevor sie an ihre Arbeit zurückkehrt, organisiert der Chef unter der Belegschaft in der Firma eine Abstimmung. Die Belegschaft müsse sich entscheiden, ob man die jährliche individuelle Prämie von je 1000 Euro ausbezahlt möchte, oder ob Sandra ihren Job behalten darf. Beides könne sich die Firma nicht leisten. Die Belegschaft kann mit diesem Wissen nun für oder gegen die Prämie stimmen. Eine klare Mehrheit stimmt für die Prämie, was Sandras Kündigung bedeutet. Sandra und eine Kollegin können den Chef später überzeugen, die Abstimmung noch einmal zu wiederholen, weil ein Vorarbeiter die Belegschaft vor der Abstimmung mit Drohungen unter Druck gesetzt hat. Ihr Ehemann und ihre Freundin überreden Sandra, welche noch zwei kleine Kinder hat, ihre Kollegen in den zwei Tagen vor der Abstimmung aufzusuchen und sie zu bitten, bei der Abstimmung gegen die Prämie zu stimmen, damit sie ihren Job behalten kann und somit, dass sie auf ihre Prämie verzichten. Für Sandra beginnt eine erniedrigende Odyssee.
Zwei Tage, eine Nacht ist die vielleicht stärkste Kapitalismuskritik in Filmform, die es bisher gegeben hat. Mit einer sehr simplen Ausgangslage zeigen die Dardennbrüder auf, wie tief die ökonomisierung bereits unser ganzes, soziales Leben, unser Beziehungsnetz durchdrungen hat und zu welchen Perversionen es führt. Dabei ist die Ausgangslage wirklich extrem simpel. Eine Frau geht von Person zu Person und sagt immer mehr oder weniger das gleiche Sprüchlein an und wartet auf die Reaktion ihres Gegenübers. Die einen reagieren mit Mitleid und rechtfertigen sich dafür, auf ihre Prämie angewiesen zu sein. Andere reagieren mit Wut, dass Sandra sie so unter Druck setzt und halten ihr Egoismus vor, wieder andere wollen ihr unbedingt helfen. All diese Zusammentreffen bergen kleinere und grössere Beobachtungen über das gegenwärtige Leben. Zudem ist Sandra eine hochspannende und sympathische Figur. Auf der einen Seite tief verunsichert und verletzlich, auf der anderen Seite durchaus auch stark und stolz. Die Beziehung zu ihrem Ehemann ist ebenfalls komplex dargestellt. Ihre Krankheit hat auch das Beziehungsgefüge zwischen ihnen ins Wanken gebracht. Immer wieder beschuldigt Sandra ihn, sie zu bemitleiden. Die Kameraarbeit ist hevorragend. Wir sind ganz nahe dabei und spüren den Druck, der auf Sandra lastet. Das alles würde nicht funktionieren ohne eine starke Hauptdarstellerin und Marion Cotillard hat mich total überrascht. In Hollywood konnte sie bisher in meinen Augen noch nie als echte, starke Charakterdarstellerin auftrumpfen, aber unter den Dardennes läuft sie zur Höchstform auf und leistet eine beeindruckende One-Woman-Show ab.
Ich bin ziemlich begeistert von dem spannenden, klugen Film.
9/10 (Tendenz nach oben)