SAFE HOUSE: Versuch einer Aufarbeitung
"... Nicht endender Verzicht
Kann Stein aus Herzen machen.
O reicht es denn noch nicht?"
Diese Zeilen des wohl bedeutendsten irischen Lyrikers - nämlich William Butler Yeats -, der überdies auch den Literaturnobelpreis erhielt, entstammen seinem Gedicht OSTERN 1916 und werden von Tobin Frost (Denzel Washington) in einer zentralen Szene rezitiert.
Unbedeutend ist dies nicht. Denn in jenem Gedicht widmete sich Yeats den irischen Freiheitskämpfern des titelgebenden Aufstands, in welchem eben jene für die Unabhängigkeit Irlands von Großbritannien kämpften. Obzwar dieser Aufstand missglückte, kann man ihn durchaus als entscheidenden Wegbereiter jener Entwicklung sehen, die letztlich zur Unabhängigkeit Irlands führte. Sämtliche federführenden Protagonisten der Republican Brotherhood, die am Osteraufstand beteiligt waren, wurden von den Briten hingerichtet. Begründung: Landesverrat.
Auch dies zu beachten scheint nicht unwichtig zu sein, wenn man sich SAFE HOUSE annähern möchte.
Ich habe SAFE HOUSE seinerzeit im Kino gesehen und habe ihn, soviel gestehe ich an dieser Stelle ein, nicht wirklich ernst genomen. Habe ihn geschaut, aber nicht gesehen. Anders kann ich mir nicht erklären, dass ich ihn zwar als nett, aber auf Grund der (vermeintlichen) Belanglosigkeit als vergessenswert einstufte. Kurz: Ich habe SAFE HOUSE völllig verkannt. Vor ein paar Wochen lief er allerdings im Fernsehen und ich blieb dran. Welch glückliche Fügung, da ich SAFE HOUSE sonst ggf. nie wieder gesehen hätte.
SAFE HOUSE ist wohl einer der effektivsten und intensivsten Actionthriller des bisherigen 21. Jahrhunderts. Washington spielt den abtrünnigen und kultivierten Geheimdienstler Tobin Frost. Ihm Gegenüber steht der junge und unerfahrene Weston (Obzwar Reynolds seinerzeit schon 36 Jahre alt war, füllt er die Rolle bestens aus, da er sehr viel jünger wirkt als er wirklich war), der sich von einem Moment auf den anderen mit einer sein ganzes Leben umwälzenden Situation konfrontiert sieht.
Ich habe in den letzten Jahren nur wenige Werke gesehen, die stimmigere Actionsequenzen boten. Regisseur Espinosa - der übrigens fast entlassen wurde, aber auf Grund von Denzel Washingtons Mitspracherecht, was den Regisseur betrifft, doch bleiben durfte - versteht es schlicht, wie Action funktioniert. Die Action gliedert sich geschmeidig in den Film ein und ist stets notwendige Konsequenz der Umstände, welche die Charaktere durchleben müssen und kein aufgesetztes Gimmick, kein lästiger Fremkörper, der nur dazu da ist, um mit Schauwerten zu protzen.
Die SAFE HOUSE inhärente Bitterkeit, der zarte Nihilismus und die prinzipielle Hoffnungslosigkeit, die sich aus dem illusionslosen Bild gebiert, welches das Werk von der Praxis von Geheimdiensten und Regierungsabteilungen zeichnet, stellt überdies eine interessante Brücke zu Filmen aus den Siebzigerjahren wie etwa DIE DREI TAGE DES CONDOR dar. Diese Regierungsskepsis, war in den Filmen des NEW HOLLYWOOD oftmals sehr präsent. Kennedy wurde 1963 erschossen, im Jahre '68 wurden Martin Luther King und Robert F. Kennedy ermordet. Überdies weitete sich der Krieg in Vietnam immer mehr aus und im Jahre 1972 rückte die Watergate-Affäre in den Mittelpunkt, welche im Jahre 1974 zu dem bis dato einmaligen Vorgang führte, dass ein Präsident der USA sein Amt niederlegte.
SAFE HOUSE kam Anfang 2012 in die Kinos. Obschon die größten Enthüllungen über die Praktiken einer gewissen Regierungsbehörde, welche Edward Snowden im Jahre 2013 mit der Welt teilen sollte, noch Zukunftsmusik waren, war dennoch bereits einiges im Argen:
Auf die Anschläge des 11.09.2001 reagierte die amerikanische Regierung mit dem sog. Patriot Act. Im Februar des Jahres 2003 trug Colin Powell die große Lüge vor den Weltsicherheitsrat, dass es Beweise dafür gebe, dass Hussein Massenvernichtungswaffen besäße. In der Folge kam es im März 2003 zum zweiten Irakkrieg. Im Jahre 2004 kam ans Licht, dass Powells "Tatsachen" auf unsicheren und vagen Geheimdienstinformationen basierten und im Ergebnis falsch waren. Im Jahre 2010 rückte dann Wikileaks in den Mittelpunkt der politischen Berichterstattung. Insbesondere die Veröffentlichung von Depeschen US-amerikanischer Botschaften sorgten für Aufsehen. Ich erinnere mich noch an Kolumnen, die - sinngemäß - mit den folgenden Worten anfingen: "Von diesem Zeitpunkt an, kann keiner von uns mehr sagen, er hätte nichts gewusst." Der zentrale Whistleblower jener Zeit war Bradley Manning; respektive Chelsea Manning, welche Wikileaks die meisten Dokumente zuspielte. Neben den eben genannten Depeschen auch umfangreiche Dokumente über die in Guantanamo stattfindende Folterpraxis.
Eine erschreckend authentische Folterszene weist dann auch SAFE HOUSE auf. Frost wird einer Waterboarding-Prozedur unterzogen. Espinosa inszeniert diese kurze Szene auf unheimliche Weise eindringlich und man ist bestürzt, ob der Tatsache, dass dergleichen zur gängigen Praxis der CIA nach dem 11.09.01 gehört(e). Die Authentizität dieser Szene kommt übrigens nicht von ungefähr: Washington unterzog sich nämlich wirklich dem Waterboarding, ganz ohne Double, um der Szene die größtmögliche Authentizität zu verleihen.
Überhaupt besticht SAFE HOUSE vor allem durch seine authentische Inszenierung. Der dokumentarische Stil des Films erinnert an Costa-Gavras Z oder Friedkins FRENCH CONNECTION. Seien es kleine, nebensächlichen Szenen, in welchen man Zeuge wird, wie Washington sich die Haare abrasiert und dies keine Perücke zu sein scheint oder jene Szenen, die in und um ein Fußballstadion herum angesiedelt sind. Espinosa scheint on location gedreht zu haben. Die Atmosphäre ist authentisch, ja geradezu elektrisierend und zog mich immer tiefer in das Geschehen hinein. Eine andere Szene, die in einer Barackensiedlung spielt und ebenfalls ein Höchstmaß an Authentizität aufweist, ist meinem Gedächtnis ebenfalls nicht verlorenen gegangen.
Zurück zur Inszenierung der Action: Die Actionsequenzen sind durchweg fabelhaft von Espinosa inszeniert worden. Schon die Prologsequenz mit Washington ist ein kleiner Höhepunkt, da Espinosa Hochspannung erzeugt und gängige Actionfilmklischees konterkariert, indem er den in dieser Episode Verfolgten - nämlich Washington - nicht wegrennen lässt, sondern ihn die ganze Sequenz über nur gemächlich, da die Ruhe bewahrend, schlendern lässt. Der Gejagte spaziert statt zu rennen. Die große Stärke des Films ist ohnehin, dass Espinosas Action niemals over the top daherkommt. Die Infiltration des titelgebenden Safe Houses zu Anfang des Films gehört m. E. zu den spannendsten und vollendetsten Actionsequenzen der letzten Dekade.
Hervorheben will ich außerdem die Rohheit, welche mit den Actionsequenzen einhergeht. M. E. besteht der Kardinalfehler eines ernsten - oder auch größtenteils mit einem ernsten Grundtenor daherkommenden - Actionfilms darin, den Tod als etwas Nebensächliches zu inszenieren. Ihn als etwas Unproblematisches zu inszenieren, was ja nicht belasten soll. Ganz so als scherte der Tod weder den Regisseur, noch solle er den Zuschauer auf irgendeine Weise bewegen.
In SAFE HOUSE ist das Töten ein dreckiges Geschäft und das Nehmen eines Menschenlebens nichts, was unproblematisch, leicht und ohne Konsequenzen bleibt oder auf befremdliche Weise durch fragwürdige, eine Trivialisierung befördernde, Ästhetisierungen verharmlost wird.
Hier ist der Hauptdarsteller in einer Episode gezwungen einen Unschuldigen anzuschießen, hier wird gezeigt, wie ein Zivilist bei einem Gefecht, welches in der Öffentlichkeit stattfindet, sein Leben verliert und der Hauptprotagonist (Reynolds) wird damit konfrontiert. Er nimmt es wahr. Die Szene ist kurz, aber wirkmächtig. Auch kommt es vor, dass bekannte Darsteller einen schnellen, schmucklosen Tod sterben und sprichwörtlich im Dreck krepieren. In SAFE HOUSE gibt es keine pathetischen Abgänge, keinen glorreichen Tod.
Auch die Faustkämpfe lösen schon vom Zugucken Schmerzen aus. Es wird gesabbert, gestöhnt, sich gekrümmt und des Öfteren auf ungelenkige Weise zugeschlagen. Da werden auch einmal Scherben aufgesammelt und dem Gegner durch's Gesicht gerieben, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Denn jeder Vorteil geht mit der Erhöhung der Chance einher, lebend aus dem Kampf herauzukommen. Espinosa fröhnt keiner hippen coolness. Die Kämpfe in SAFE HOUSE sind nicht cool, sondern hart, schonungslos, herausfordernd, aufreibend und manches Mal geradezu nervenaufreibend.