Der Film will dir keineswegs vorgaukeln, dass es damals tatsächlich eine echte, reale, mit übernatürlichen Satanskräften ausgestattete Hexe gegeben hat. Das ist das, was Conjuring ja machte, die vermeintlich reale Geschichten zu einem realen Geister-Chaos machen. Dieser Film erzählt keine wahre Geschichte im eigentlich Sinne. Es gibt keine einzelne, konkrete historische Quelle zu diesem Film, vielmehr wurde der Geist (also im Sinne von Zeitgeist) dieser Epoche und dieser Region durch eine Vielzahl echter Dokumente aufgenommen und zu einer eigenständigen Geschichte gesponnen.
Die frühe Enttarnung der Hexe als - im Rahmen des Film - real funktioniert auf unterschiedliche Art und Weise. Wäre die Hexe nicht real, wäre das Schicksal des Säuglings (wie soll er ohne Hexe überhaupt entführt worden sein?) lange Zeit unklar. Das ist eher eine Spannung aus der Ungewissheit heraus, doch dieser Film ist eher an einer konkreten existentialistisch-psychologischen Bedrohung interessiert. Der Mord am Säugling ist zudem ein früher visueller/emotionaler Schocker für den Zuschauer, der bei uns die Anspannung hochschrauben soll, damit wir die erhöhte Atmosphäre innerhalb der Familie besser nachempfinden können. Außerdem werden wir durch die reale Hexe mehr oder weniger ideologisch an die Familie angepasst. Wir mögen nicht diesen religiösen Wahnsinn haben, aber wenn wir wissen, dass die Hexe real ist, bringt uns das in die Nähe der Familie, die davon ausgeht, dass die Hölle real ist, dass die Verlockungen des Satan überall sind, dass nicht zu erklärende dunkle Bedrohungen am Werk sind. Wäre die Wahrhaftigkeit von Hexe und Satan im Schwarzen Phillip ein finaler Twist, würde man zu viele Zuschauer dazu einladen, nach dem Twist zu suchen und sich dann - man kennt das ja bei solchen Filmen - toll zu fühlen bzw. den Film dann blöd zu finden, wenn man durch den Twist nicht adäquat überrascht wurde. Außerdem würde das Ende mit Thomasin, dem Mädchen, ganz anders funktionieren. Unser Blick ist von Beginn an darauf geschärft, den Einfluss des Übernatürlichen als vermeintlich wahr anzunehmen und zu beobachten, wie insbesondere Thomasin sich verändert. Thomasin steht im Zentrum eines Kampfes und wird von zwei Seiten (Hexe/Satan vs. Eltern/Religion) beeinflusst und zu einem Charakterwandel getrieben. Mit dem Ende ist "The Witch" mehr Psychodrama als Horrorschocker und das wäre anders, wenn wir erst unmittelbar vor dem Hexenlagerfeuer erfahren hätten, dass alles real ist.
Zudem dreht es sich ja dennoch ganz zentral um den selbstzerstörerischen Wahn der Gläubigen, wie du sagst. Das so genannte Böse übt einmal konkret Einfluss aus und setzt damit einen Prozess in der Familie in Gang, die Thomasin an den Rand drängt und die Familie zerfallen lässt. Insbesondere Vater und Mutter werden mehr von ihrem innerlich verabsolutierten Glauben gelenkt und beeinflusst, als von Satan. Ihr gottesfürchtiger Wahn lässt sie so handeln, wie sie handeln. Und ich finde es ausgesprochen reizvoll sehen zu können, wo das Böse eingreift und wo verinnerlichte christliche Mechanismen in den Menschen in Gang gesetzt werden.