Es ist - wie immer - schwierig. Denn hier fallen wieder naturgemäß 325 Dinge, Elemente, Einflüsse etc. übereinander. Diese Entscheidung bezüglich "Gone With the Wind" als Reaktion auf die aktuellen (hochintensiven und super wichtigen) Ereignisse in den USA ist einerseits nicht dumm, aber eben auch nicht wirklich "natürlich" entstanden und steht daher immer unter dem Generalverdacht bei großen Konzernen, dass es alles nur Selbstschutz und PR ist. Aber solche Dinge müssen sich nicht gegenseitig ausschließen.
Dass dann direkt "Birth of a Nation" als Vergleich herangeholt wird ist einerseits nachvollziehbar, denn dessen Status und permanente Bekanntheit/Huldigung als cineastischer Meilenstein steht auch seit längerem schon in der Kritik. Aber BoaN ist absolut unbestreitbar einer der hasserfülltesten, grausamsten und menschenverachtendsten Filme, die das Kino in 120 Jahren hervorgebracht hat. Nicht nur aus damaliger Sicht, sondern dauerhaft. Für immer. Ein ekelhafter Film. Die realpolitischen Folgen dieses Films sind bekannt und kaum diskutabel, von den inhaltlichen Unsäglichkeiten ganz zu schweigen.
Da ist "Gone with the Wind" ein gaaanz anderes Kaliber. Und klar, die überdurchschnittliche "Problematik" von Fall A negiert nicht die kleinere "Problematik" von Fall B. Auch diese darf man diskutieren. Ich weiß aber nicht, ob so ein paar Texttafeln wirklich vermitteln können, was diesen Film nun zu einem diskutierwürdigen Sachverhalt macht. Die Romantisierung des Bürgerkriegsamerikas aus Sicht des Südens und die damit einhergehende Legitimierung/Bagatellisierung der Sklavereigeschichte ist eine in meinen Augen recht schwierige Sache. Der Film ist nämlich eben nicht stumpf konservativ, veraltet und hasserfüllt, sondern hantiert eher beiläufig mit diesem fehlgeleiteten Status Quo und hat (als Film, der fast 30 Jahre vor dem Ende der Rassentrennung in den USA entstanden ist!) nicht das Interesse gehabt, das irgendwie zu relativieren. Dass das heute geschiet ist wichtig, ist aber eher Aufgabe von Begleitdokus, eines wachen Publikums, von Filmschulen oder von mir aus Film YouTube. Das meine ich nicht als Verbot, wer aufklären und unterrichten darf, sondern wo es machbar und nützlich ist. Wie gesagt, was können ein paar Texttafeln schon bewirken, außer wahrscheinlich zu kommunizieren, dass sich die heutigen Rechteinhaber von den Implikationen distanzieren.
Und die Romantisierung des Südens ist ja nur ein Aspekt. Eigentlich miteinhergehend sind diese lange vor und nach GWTW aktiven Stereotypen schwarzer Rollen; ganz zentral das "Mammy" Stereotyp, wo es herkommt, was es kommuniziert usw. Und konsequenterweise müsste man dann über Arbeitsrecht und Rollenangebote für dunkelhäutige Filmdarsteller in den USA in den 30ern und 40ern sprechen, warum der Oscar für Hattie McDaniel einerseits eine Sensation war und gleichzeitig Teil des Problems ist. Wie gesagt, es ist kompliziert.
Aber ja, sich der Idee zu nähern, diesen Überklassiker von seinem Sockel zu heben - nicht um ihn zu zerstören, sondern um ihn im Kontext seiner Entstehung und Entstehungszeit zu verstehen, ist generell eine gute Sache. So sie denn richtig angegangen wird und nicht PR-Mittel-zum-Zweck ist. Kenzie hat Disneys "Vergangenheitszensur" ja schon richtigerweise angesprochen. Das ist sicherlich die schlechtere Alternative. Und der animierte "Dumbo" weist nicht nennenswert weniger "Problematisches" auf als GWTW. Aber es gibt ja einen "Dumbo" und nur einer der beiden ist aktuell bei D+ guckbar. Das ist kein Zufall.
Wie gesagt, das wäre die ideale Reaktion der Filmwelt auf diese realen Umstände: die Bereitschaft, potentielle Fehler/Versäumnisse/usw. zu erkennen, darauf zuzugehen, sie zu verstehen und zu kommentieren. Nicht so sehr sie zu zensieren und aus der Welt zu schaffen als wären sie nie geschehen. Dazu gehört auch, dass man - Studios, Filmemacher, Darsteller und Zuschauer gleichermaßen - diesen Selbstschutz-Beißreflex häufig mal reduziert und abstellt, um vernünftig zuzuhören. Denn sich kritisch mit einer Sache auseinandersetzen heißt nicht, dass man den behandelten Gegenstand dann nicht mehr mögen geschweige denn konsumieren darf. Das schließt Sachen wie das erwähnte grausige "Yellow Face" aus "Breakfast at Tiffany's" mit ein, ebenso wie den galoppierenden Sexismus (mal groß, mal klein) des klassischen Hollywoods, aber auch zeitgenössische Vorwürfe von Whitewashing (Exodus, Ghost in the Shell) oder kultureller Aneignung.
Nicht jeder "Ha! Problematischen Sachverhalt entdeckt" Treffer ist gleich ein riesiger Skandal und sollte die Giftschrankverbannung des Films zur Folge haben. Aber Besserung tritt erst ein, wenn man sich mal hinsetzt, hinschaut, hinhört und womöglich erkennt: "Ja, stimmt, war blöd. Beim nächsten Mal wird's besser."