In den letzten Monaten gab es recht wenige Filme, an die ich ganz grosse Erwartungen hatte. Wenigstens wenige Grossproduktionen. Wolfman liess ich mir ausreden und Shutter Island hab ich mir endlich angeschaut.
Achtung, kleinere Spoiler könnten enthalten sein
Zuerst mal kann ich sagen, dass ich nicht enttäuscht bin. Der Film ist nicht das erhoffte Meisterwerk, hat aber eine über weiteste Strecken herrliche Atmosphäre, teils grossartige Schauspielleistungen und sehr gute Unterhaltung zu bieten.
Ich glaube, man merkt dem Film an, dass die Beteiligten Spass daran hatten sich hier auszutoben. Es wird tief in der Kiste gekramt. FilmNoir, Gruselfilmclassics, grosses Drama - alles wird richtig mit der grossen Kelle angerührt. Man könnte schon fast von Edelkitsch reden. Das soll nicht negativ gemeint sein. Der Film lebt von einer grossartigen Visualisierung und einer atmosphärischen Stilisierung. Schauspierlisch haben mich die Altstars überrascht. Sydow zeigt sich in den paar kurzen Auftritten von seiner besten Seite, in dem er zwielichtig und dopelbödig spielt und Kingsleys Figur war die, welche mich am meisten auf ihre Seite riss.
Man mag es zwischen den Zeilen schon gemerkt haben, es gibt aber auch Schattenseiten. DiCaprio hat mich ab und zu enttäuscht. Sein gebrochener Charakter und das Augenbrauenspiel, mit dem er jede Szene unterlegt hat, waren mir zu dick aufgetragen.
Was vielleicht Schattenseite der tollen Aufnahmen, der teilweise phänomenal schön gestalteten Shots ist, teilweise wirkten auf mich die Aufnahmen auch wie Einzelbilder. Will heissen häufig haben mich die harten Schnitte vor allem von Nahaufnahmen hin zu Aufnahmen aus der Distanz gestört. Der Fluss stimmte meiner Meinung nach nicht immer.
Ebenfalls als Nachteil empfand ich teilweise die merkwürdige Gespaltenheit in der Erzählart. auf der einen Seite stösst uns die Inszenierung dauernd darauf, dass das alles eben nicht so ist, wie es scheint. Die Symbole sind geradezu so eindeutig, wie in etwa sich die Sache auflösen wird, dass eigentlich schon nach einigen Minuten den meisten der grobe Twist klar sein wird. Und dann kommen trotzdem in der zweiten Hälfte diese komischen Dialogszenen v.a. mit Rachel, die einem auf einmal wieder vormachen wollen, es sei doch alles wie im Horrofilm mit Verschwörung und düsteren Verbrechen, obwohl der gute Zuschauer, doch längst weiss, wo es langeht.
Insbesondere diese Höhlenszene ist ein grosser Tiefpunkt. Ewig lang zieht sich der Dialog mit Rachel hin, ist weder gut geschrieben, noch kann er einen mehr aus dem Busch locken - wieso also dieses Affentheater? Daraufhin folgt direkt nochmal ein recht langer und recht dürftiger Dialog mit dem Offizier.
Überhaupt hätte dem Film ab und zu eine Straffung gut getan. Gerade weil man die Lunte ja schon so früh gerochen hat, ermüdet all die schöne Visualisierung irgendwann ein wenig, wenn das Tempo jeweils wieder absackt oder neuerlich falsche Fährten gelegt werden, die man eh schon durchschaut hat.
Ebenfalls gestört haben mich die Konzentrationslagerszenen. Es ist immer so ne Sache, wenn man dieses Thema als reines Stilmittel benutzt und dazu auch noch in solch überstilisierte beinahe morbidschöne Bilder tüncht. Man kann sich streiten, ob das nötig gewesen wäre und man hier nicht, mit etwas weniger besser gefahren wäre.
Es gibt zwei drei Szenen im Film, die erahnen lassen, dass hier mit einem intelligenteren Skript ein echtes Meisterwerk drin gewesen wäre. V.a. die Szenen zwischen Kingsley, Sydow und DiCaprio in dessen Wohnung oder in der Szene, wo DiCaprio und Partner die Sitzung der Klinikleiter stören. Diese Szenen sind richtig schön doppelbödig. Man weiss nicht recht, ist es DiCaprio, der Kingsley und Consorten verhört oder umgekehrt. Man sieht die Blicke und je nach dem, ob man die Lunte schon gerochen hat oder nicht, interpretiert man die Blicke der Figuren anders. Das ist richtig intelligentes, feines und doppelbödiges Kino, das aber nur in wenigen Szenen erreicht wird.
Wie erwähnt zieht meiner Ansicht nach das letzte Drittel den Film v.a. durch die zwei erwähnten Dialogszenen herunter, doch werden wir schliesslich mit einem sehr, sehr starken Finale und einer bitter-tragischen Schlusspointe belohnt, die auf den Punkt genau inszeniert sind.
Nochmal möchte ich betonen, der Film ist grösstenteils gut gelungen und bringt gute atmosphärische Kinounterhaltung mit Abzügen in der B-Note.
Von mir gibts 7/10 Punkte.