HurriMcDurr
Well-Known Member
Die Bestien mit den roten Augen
Die Ereignisse jener Nacht trugen vor mehreren Jahren zu, genau genommen in einer Zeit, als Navigationssysteme in Autos noch nicht selbstverständlich waren, schon gar nicht in einem klapprigen Ford Fiesta. Aus diesem Grund waren wir auf einem mehrseitigem Ausdruck einer Route angewiesen, die wir aus dem Internet ausgedruckt hatten. Und ja, ich war dafür verantwortlich, die Karten richtig zu lesen und auf den Weg zu achten. Eine Entscheidung, die nicht bei mir lag, will ich dazu noch anmerken.
Wir waren zu Dritt auf dem Weg zu einem geräumigen Jugendhaus in der Nähe von Bad Kissingen. Einmal im Jahr fand dort ein großes Treffen unseres Forums statt, bei dem man dann all die Leute, mit denen man sich das Jahr über unterhalten hat, persönlich treffen konnte. Es wurde stets für ein abwechslungsreiches Programm gesorgt, Filme wurden vorgeführt, Videospiele gespielt, Diskussionen geführt oder auch Spiele organisiert. Im Grunde aber artete es schon am ersten Abend stets zu einem großen Massenbesäufnis aus. Ich wusste das jedoch damals noch nicht.
Interessant war auch, dass man eine gänzlich andere Vorstellung von den Leuten hatte, wenn man nur ihre Nicknames und Avatare kennt. Na gut, unser Fahrer, Pink_Undead war in etwa so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte, aber zu sehen, dass April O´Neil ein untersetzter Zwanzigjähriger namens Lukas und mit Milchbart war, kam für mich schon überraschend. Ich glaube unsere Unterhaltungen im Forum waren danach nie wieder so wie früher.
Wir waren bereits etwas über eine Stunde unterwegs, als wir noch ein weiteres Forenmitglied auflasen. Meine Begeisterung hielt sich weiter in Grenzen, als ich hörte, dass es sich um FordPrefect handelte, mit dem ich im Forum bereits die eine oder andere hitzige Diskussion geführt hatte.
Während wir vor der Haustür von FordPrefect warteten, sinnierten Marvin, so hieß Pink_Undead übrigens im wahren Leben, und Lukas über die Songs, die wir bisher während der Fahrt gehört hatten.
„Wer solche Texte schreiben kann, muss in seinem Leben furchtbar viel durchgemacht haben“, sagte er und war dabei sehr ergriffen. Ich konnte seine Meinung nicht teilen, da ich an den besagten Texten nichts Besonderes fand. Aber ich mochte den Rhythmus der Lieder, die gingen wirklich gut ins Ohr.
Plötzlich wurde die Tür neben mir aufgerissen und FordPrefect stieg mit einem freundlichen Lächeln und einem „Hi Leute, tut mir echt leid, dass ihr warten musstet“ ein.
Zuerst fielen mir ihre wunderbaren Augen auf, die in einem unglaublich reinem Grün erstrahlten. Als sie sich neben mich setzte, schenkte sie mir ein warmes Lächeln. Ich kann es nicht mit Gewissheit sagen, aber da mein Kopf plötzlich sehr warm wurde, befürchte ich, dass ich knallrot angelaufen war.
Eigentlich wollte ich es furchtbar eloquentes sagen, eine geistreiche Bemerkung, die sie zum Lachen bringen und uns beide miteinander ins Gespräch bringen würde, aber stattdessen brachte ich nur ein „H-hey, w-was geht ab?“ heraus. Dann senkte ich meinen Blick. Und nun bemerkte ich auch ihr am meisten hervorstechendes Merkmal. Sie hatte den wohl vollkommensten Busen, den ich jemals in meinen bis dahin kurzem Leben erblicken durfte. Perfekt geformte runde Brüste, die sich groß unter dem eine Nummer zu kleinem rosa T-Shirt abzeichneten.
Mein Zeitgefühl ließ mich in diesem Augenblick vollkommen im Stich, darum weiß ich nicht, wie lange ich ihr auf die Brüste gestarrt hatte, aber als mir bewusst wurde, dass zuviel Zeit vergangen war um es als Versehen durchgehen zu lassen, hob ich vorsichtig den Kopf und sah, dass sie mich mit erhobener Augenbraue und einem frechen Grinsen auf den Lippen, das einfach nur Erwischt sagte, anschaute.
Zwar befanden wir uns bereits wieder auf der Autobahn, aber bei voller Fahrt die Tür zu öffnen und herauszuspringen erschien mir durchaus ein Möglichkeit, über die es sich lohnte nachzudenken.
Die Fahrt selbst verlief ohne irgendwelche Besonderen Vorkommnisse. Sonja und ich kamen trotzdem recht bald ins Gespräch und führten einige Diskussionen aus dem Forum nun im Auto fort. Irgendwie machte es nun aber auch bedeutend mehr Spaß.
Mir gefiel nicht sonderlich, dass Lukas sich ebenfalls außerordentlich gut mit ihr verstand, aber leider bin ich, sobald ich unter Menschen gehe, nicht sonderlich redegewandt, und so konnte ich mit seinen Sprüchen und Anekdoten nicht mithalten, und Marvin hatte keinerlei Scheu direkt auszusprechen, was er dachte. Eines der ersten Dinge, die er Ansprach waren Sonjas ansehnliche Oberweite und wie sie diese noch besser zur Geltung bringen konnte. Ich weiß nicht, wie er es geschafft hatte, aber damals konnte er immer wieder Themen dieser Art ansprechen ohne es wirklich platt wirken zu lassen.
Nachdem wir zuerst Göttingen und einige Zeit darauf auch Kassel durchquerten, wurde uns langsam gewahr, dass wir die Zeitangaben auf der ausgedruckten Route nicht würden einhalten können.
Der Ort hieß Aura an der Saale und war ein nahezu verschwindend kleines Dorf südlich von Bad Kissingen. Dort gab es scheinbar nur eine Straße und zwei Briefkästen. Die Hauptattraktion musste die wöchentliche Leerung eben dieser besagten Briefkästen sein. Auf jeden Fall wurde es bereits dunkel, als wir den Ort erreichten, was vermutlich auch zu einem großen Teil dazu beigetragen hatte, dass die Dinge so geschahen wie sie letztendlich geschahen.
Meine Fähigkeiten als Navigator hatten uns sicher, mit drei Stunden Verspätung, an unseren Bestimmungsort geführt, was keine große Kunst war, da es bis dort nur geradeaus ging. Doch als es darum ging das Jugendhaus zu finden wurde die Sache kniffelig.
Neben den besagten zwei Briefkästen gab es nämlich noch eine weitere Attraktion in diesem Ort, nämlich die Ruine Aura, eine niemals fertiggestellte Wallfahrtskirche, die nun ein beliebtes Ziel von Touristen war.
Eben diese Ruine mussten wir passieren um zum Jugendhaus zu gelangen. Kurz hinter der Ortseinfahrt Aura an der Saale führte eine schmale Sandstraße durch einem finsteren Wald eine Anhöhe hinauf. Leider war unsere Karte aus dem Internet nicht sonderlich aussagekräftig, und so waren wir uns nicht sicher, ob wir auch wirklich den richtigen Weg nahmen.
Die Straße war dunkel und ehrlich gesagt auch sehr unheimlich. Nach einiger Zeit kamen wir zu einem Schrein, in dem eine einzelne Kerze brannte und diesem Szenario eine sehr unheimliche Atmosphäre gab. Es ist schwer in Worte zu fassen, aber mir läuft noch immer eine Gänsehaut über den Rücken, wenn ich daran zurückdenke. Sonja, Marvin und Lukas fühlten sich ebenso unbehaglich.
„Können wir bitte schnell weiterfahren? Das Ding macht mir Angst“, sagte Sonja und Marvin fuhr den Wagen weiter, nicht ohne fasziniert noch einen Blick auf den unheimlichen Schrein zu werfen.
„Das ist ja wie ein billiges Klischee in einem Horrorfilm“, sagte Marvin scherzhaft, aber niemand lachte drüber.
„Das ist nicht komisch, wirklich nicht“, stellte Sonja besorgt fest und warf noch einen Blick über die Schulter zum Schrein, der als einzige Lichtquelle hinter uns in der Dunkelheit leuchtete.
„Aber so fängt es doch meistens an“, setzte Marvin nach. „Man sieht was unheimliches, fährt weiter und als nächstes geht das Auto in der Einöde kaputt. Kurz darauf wird man von einem Wahnsinnigen mit einer Kettensäge zerstückelt.“
Sonja schlug von hinten gegen Marvins Rückenlehne. „Ich hab gesagt, das ist nicht witzig“
Marvin kicherte und steuerte das Auto langsam die Straße weiter hinauf. Es war eine beängstigend finstere Nacht, und alles, was nicht durch die schwachen Autoscheinwerfer mehr schlecht als recht beleuchtet wurde, versank in absoluter Finsternis. Die Straße führte über ein großes Feld oder auch einer großen Wiese an der Ruine vorbei, die sich finster vor dem Sternenhimmel abhob. Als wir eine Weggabelung erreichten stoppte Marvin kurz den Wagen. Ein Wegweiser lag neben einer Schöller-Fahne, die auf dem Boden vor sich hin rottete.
„Was sagt denn die Karte?“, fragte er und schaltete die Innenraumbeleuchtung ein.
„Der Karte nach hätten wir schon längst da sein müssen“, sagte ich, nachdem ich den Ausdruck eingehend studiert hatte. Offenbar waren wir längst am Jugendhaus vorbeigefahren, doch niemand uns hatte etwas gesehen. Um uns herum waren nur Felder. Wir befanden uns vielleicht zweihundert Meter über dem Ort, vielleicht auch mehr, ich kann es nicht genau sagen, jedenfalls konnte man die fernen Lichter des Ortes sehen. Bei uns jedoch herrschte nur Finsternis.
Lukas rief mit seinem Mobiltelefon bei Nicole, sie war eine der Organisatorinnen des Forentreffens, an um nach dem Weg zu fragen. Kurz darauf bedankte er sich bei ihr, legte auf und sagte nur „rechts rum.“
Marvin bog rechts ab, folgte der Straße bis zu einem Waldrand und erreichte dann irgendwann eine Straße, der er folgte. Und plötzlich gelangten wir an eine Weggabelung mit einem am Boden liegenden Wegweiser mit einer Schöller-Fahne daneben. Wir versuchten es erneut und wieder landeten wir am selben Punkt.
Zu sagen, dass Marvin nervös wurde, wäre untertrieben. Wir stiegen alle aus und sahen uns um. Marvin hatte inzwischen seinerseits Nicole angerufen aber ebenfalls keine hilfreichen Angaben erhalten.
„Ich will doch nur wissen, wo wir hier sind, verdaaaammt!“, schrie er ins Telefon und ich war mir nicht ganz sicher, ob ich mich darüber amüsieren oder langsam anfangen sollte vor ihm Angst zu bekommen.