Deathrider
The Dude
Tanner’s Hill
„Es regnet Burger!“ Das waren Miguel Cartugas erste Gedanken als sich eine rote Flocke auf seinem glattrasierten Schädel in dem linken Auge seines eintätowierten Totenkopfs niederließ. Die Wucht der Explosion hatte ihn aus seinem Hightech- Rollstuhl befördert. Als er seine Augen öffnete sah er zunächst wie die aufgewirbelte Erde der hügeligen Weide am südlichen Ende der englischen Kleinstadt Tanner‘s Hill ein überdimensionales Gefilde von blauen elektromagnetischen Wellen zum Vorschein brachte. Die rautenförmige Anordnung der Laserstrahlen erinnerte ihn an seine Lieblingsszene aus Resident Evil. Nur dass diese hier einen Durchmesser von einem halben Meter hatten und uneben verliefen. Als er links neben sich eine halb geröstete Niere liegen sah, wurde Cartuga der Illusion beraubt, dass es sich um Fiktion handelte. Die Strahlen schienen bis in den klaren Nachthimmel zu ragen. Ihr genauer Verlauf war nicht zu erkennen. Als der Staub sich legte waren nur noch ein paar Rauten zu sehen, ehe die Letzten verschwanden. Das schnelle Klicken zweier Revolver erhielt nun seine vollste Aufmerksamkeit. Er drehte sich um und sah zwei Männer, die sich 4 Meter von ihm entfernt befanden. Sie richteten ihre Waffe aufeinander und zielten auf das Gesicht des jeweiligen gegenüber. Der mollige Teenager in grauer Jogginghose und blauem Kapuzenpulli stellte sich als Cartugas Nachbar Kyle Chambers heraus. Der Mann im schwarzen Priestergewand, der sich mit ihm duellierte, war Prescott von Pommeroy, der junge Stadtseelsorger.
„Glückwunsch Neo, du hast mich!“, sagte Kyle zu dem Mann. „Ich weiß ihr denkt jetzt, dass ich für die ganzen Todesfälle verantwortlich bin! Aber ich bin nur der Lockvogel. So ist es spannender, sagen sie! Wenn du ehrlich bist Neo, weißt du gar nicht warum du mich töten sollst!“ Kyle’s wie im Rausch vorgetragener Monolog war von einer unbeschreiblichen Arroganz in Symbiose mit Größenwahn und ungeheurer Selbstsicherheit geprägt. Die Tatsache, dass der korpulente Junge leicht lispelte wirkte bizarr, machte die schier ausweglose Situation für Cartuga dennoch nicht wesentlich besser. „Gimli! Du denkst wir sehen dich nicht hinter dem Strohballen! Du glaubst doch nicht, dass du etwas mit dem Baseballschläger in deiner Hand ausrichten kannst, nachdem Neo und ich gestern mit 2 Revolvern ausgestattet wurden?“, rief Kyle. Greg Robertson, der kleine bärtige Bibliothekar mit einem Monokel in seinem rechten Auge kauerte hinter einem der Strohballen auf der Weide. „Was wird hier gespielt und wieso nennst du mich Gimli?“ „Warum habt ihr zwei eine Waffe?“, fragte der Mann, der sich zittrig erhob und auf die beiden Gestalten zuging. Nun waren sie zu viert. „Ich bin der Maulwurf. Er ist mein Jäger. Wir haben als einzige hier Kontakt zur Außenwelt. Es ist schon ein kleines Handicap, wenn man weiß, dass man explodiert, sobald man jemanden von euch umbringt und sich monatelang wie Kimble auf der Flucht befinden muss. Glaubt mir, ich hätte euch sonst schon alle eliminiert. Fuck! Aber ich darf nicht. Zum Glück endet die Staffel morgen nach einem Jahr!“, sagte der sich in Ekstase befindende Teenager. Er legte seinen Revolver auf den Boden und holte eine kleine blaue Dose aus dem Rucksack, der auf seinem Rücken geschnallt war. Auf ihm und auf der Dose war der Name Face Bull in roter Schrift abgedruckt. Kyle genehmigte sich einen großzügigen Schluck. „Aaaaa. Mhm. Deliziös!“ Er nahm die Dose und streckte sie lange in den Himmel, als ob er sie jemanden präsentieren wollte. „Sehr gutes Zeug!“ Er streckte den Daumen seiner anderen Hand in die Luft und zeigte danach nickend auf die Dose.
Cartuga versuchte sich unterdessen zu erinnern was passiert war. „Schüsse. Es fielen Schüsse. Burger schob mich mit seinem Rollstuhl panisch den Berg hoch. Aus einem Gebüsch sprang ein majestätischer Hirsch, der von der Gefahr zu fliehen schien. „Siehst du! Siehst du! Ich wusste es. Es war eine Lüge. So was wie eine Grenze gibt es nicht. Wir sind hier nicht in einem Stephen King- Roman!“, rief der ca. 2 Meter große stämmige schwarze Mann jubelnd mit einem optimistischen Funkeln in seinem Augen. Burger ließ den Rollstuhl auf einer flachen Ebene der Weide los. Er rannte die Weide an der Seite herunter und folgte euphorisch dem Paarhufer, der in der Dunkelheit am anderen Ende der Weide in ein Waldstück verschwunden war. Burger schaffte es 10 Meter weit, ehe sei voluminöser Körper wie ein Feuerwerkskörper explodierte.
Cartuga rieb sich die Augen, als er durch Kyle’s Monolog wieder aus seinen Gedanken gerissen wurde. Er blickte wieder auf die beiden Männer. Er kannte ihre Namen, aber nicht ihre Absichten. „Drück ruhig ab! Ich feuere aber noch eine Kugel in deine Schläfe. Aber dann sind wir beide tot und der Latinokrüppel, der fette Zwerg, das Kind und die Frau ziehen ins Finale ein!“ Beide Männer blickten auf Cartuga, der kläglich dabei scheiterte seinen Rollstuhl aufzurichten und trotz seiner muskulösen Oberarme wie ein hilfloser Säugling wirkte. „Oder wir erledigen die drei und machen den Sieg mit Gimli unter uns aus.“ Cartuga wusste nicht wovon Kyle sprach. Kyle, der sympathische Schwiegersohnverschnitt von nebenan. Der Junge, den er schon so lange kannte… „Wie lange kenn ich Kyle eigentlich schon?“, fragte er sich. Cartuga war verwirrt. „Und was mach ich hier in Tanner’s Hill? Wie lange wohne ich eigentlich schon hier? Wie alt bin ich? Habe ich eine Familie?“ Cartuga fand keine Antworten auf seine Fragen. Je länger er über seine Existenz nachdachte, desto schlimmer wurde es. „Ach wie süß! Schau ihn dir an! Er versucht sich zu erinnern wer es ist.“ Kyle lachte hämisch während er siegessicher auf die Schläfe von Pommeroys starrte und seinen Revolver wieder in die Hände nahm. „Sully, hör auf zu grübeln! Ich sags dir! Siehst du diese Stadt? Siehst du dein Shirt?“ rief er in Cartugas Richtung, während er von Pommeroy noch anvisierte. „Nenn mich nicht Sully, du Fettsack!“ unterbrach Cartuga ihn mit leicht heiserer Stimme. „Erklärs mir! Wieso nennst du ihn Sully?“, schrie Robertson neugierig noch aus kleiner Distanz. „Siehst du es nicht, Gimli?“ sagte Kyle zu dem bärtigen kleinen Mann. „Ich wette Neo weiß nun Bescheid“, fügte er mit einem Grinsen an.
„Wir sind Spielfiguren und wir wurden nach unserem Aussehen ausgesucht. „Er meint damit du siehst aus wie die männliche Hauptrolle aus Avatar….Genau deswegen bist du hier. Hier sind überall moderne Minikameras, die du nicht sehen kannst. Die Leute sehen uns auch bei Nacht perfekt. Und glaub bloß nicht, was da am Himmel leuchtet seien Sterne“, sagte Neo mit nüchterner Stimme. „Und wer sind die Spieler? Aliens oder wer?!“, schrie Cartuga in ungläubiger Ratlosigkeit an, während er sich vor Schmerzen auf dem nasskalten Gras krümmte. – „Ich bitte dich. Wir sind hier nicht bei Stephen King. Das sind Laser, die von Wissenschaftlern hergestellt wurden. Face Bull hat schließlich genug Kohle um so was bauen zu lassen! Wir sind hier nicht auf Pandora. Du wirst dich nie in ein großes blaues Wesen verwandeln und hier gibt es auch keine Riesenkuppel. Wie oft soll ich das noch wiederholen?! Diese Lösung ist unspektakulärer und menschlicher als du denkst! Guck dir doch deinen Pulli an. Wer sponsert das alles hier?“, fragte Kyle exzentrisch. „Guck genau hin! Fällt dir wirklich nichts auf?“ Cartuga blickte an sich herunter und starrte auf die rote Aufschrift auf seinem blauen Pullover. Dort thronte in fettgedruckten Buchstaben das Wort: Face Bull.
„Leute überall in der Stadt ist Werbung davon zu sehen und ihr Narren ward nicht in der Lage einen kausalen Zusammenhang herzustellen?“ Kyle lachte weiter. Selbst mit all den Drogen, die in euch rein gepumpt wurden, hättet ihr das doch merken müssen!? „Face Bull- Interaktive Energie. Ich wünschte die beiden Unternehmen hätten nie fusioniert. Das war der Anfang vom Ende!“
Cartuga verstand immer noch nicht. „Wer zur Hölle seid ihr?“ “Siehst du das nicht? Ich sehe aus wie Neo aus Matrix, du wie Sully aus Avatar, Greg wie Gimli aus Der Herr der Ringe, Claire wie Bella aus Twilight, Peter wie der kleine Macaulay Culkin, Burger wie ein junger Anthony Anderson und dieses Arschloch hier sieht aus wie Matt Damon mit 20 Kilo zu viel. Fat Damon würde ich sagen!“ Kyle krümmte sich vor Lachen. „Der war wirklich köstlich. Danke Neo. Ich liebe Wortspiele. Aber lieber ein fetter Damon als ein verkrüppelter Latino- Worthington mit coolem Tattoo oder ein schwuler Priester. Zumindest in diesem Spiel ist das mein Motto. „Wir sind Spielfiguren. Wir aktivieren Konzepte in den Köpfen der Zuschauer. Die Konzepte, die Face Bull noch nicht aus ihren Hirnen gesaugt hat. Sie beziehen sich auf die wenigen Synapsen, die noch funktionieren. Die primitive boulevardeske Notversorgung unserer banalen Popkultur. Die Zuschauer lieben das! Fast alle Einwohner der Stadt sind tot. Das juckt niemanden. Alle schauen im Internet zu wie dieser gigantische Komposthaufen namens Tanner’s Hill sich von alleine abbaut. Sie schreiben über uns. Unser Freunde und unsere Familie haben uns vergessen. Und Face Bull nutzt uns alle Werbefläche. Nur der Gewinner erhält 5 Millionen und ist in Staffel 2 dabei. Und morgen ist das Finale. Wir personifizieren die Friss oder Stirb- Gesellschaft. Es ist fast schon lyrisch! Morgen ist das Finale mit 4 Leuten! Denkt dran! Zwei müssen uns heute noch verlassen. Ich bin ja für den Krüppel, das Kind und die Frau. Das sind generelle Sympathieträger, gegen die wir keine Chance haben! Die sollten wir ausschalten, Neo! Und falls wir uns morgen nicht gegenseitig töten, bestimmt ein Zuschauervoting, wer sterben soll.“