Clive77
Serial Watcher
Klaus starrte auf die Digitalanzeige seines Radioweckers. Er lag jetzt schon seit gut zwei Stunden wach im Bett. So war das immer, wenn er am Sonntag bis mittags im Bett lag und dann abends früh einschlafen wollte, um am Montagmorgen fit für die Schule aus dem Bett zu springen. Und der Montagmorgen war wichtig. Mathe war noch nie seine große Stärke gewesen und direkt um 8 Uhr stand eine zweistündige Klausur an. Die letzte in diesem Schuljahr und gleichzeitig seine letzte Chance, um den Notenschnitt auf ein „ausreichend“ anzuheben. Andernfalls würde er sitzen bleiben und er hatte keine Ahnung, wie er das seinen Eltern erklären sollte.
Das ganze Wochenende hatte er gepaukt, sich alte Klausuren angesehen, den Stoff bis zum Erbrechen durchexerziert. Er fühlte sich jetzt fit genug, um eine Kurvendiskussion problemlos durchzuführen. Dennoch kamen ihm Zweifel, ob er tatsächlich mit einer guten Note bestehen oder ob ihn morgen früh ein Blackout ereilen würde. Wie damals als die Vektorrechnung dran war und er auch meinte, sich gut genug mit dem Stoff auseinandergesetzt zu haben. War das damals ein Reinfall. Als es soweit war und die Aufgaben verteilt wurden, merkte er schnell, dass sich das zuvor angelernte Wissen bei aller Anstrengung einfach nicht abrufen ließ. Panisch und nervös hatte er probiert, wenigstens etwas zustande zu bringen. Aber erst hinterher – als die Klausur bereits abgegeben und schon alles zu spät war – viel ihm wie Schuppen von den Augen, dass er kaum eine Aufgabe richtig gelöst hatte. Er hatte nicht nur Skalarprodukt und Kreuzprodukt verwechselt, sondern auch falsch in Erinnerung gehabt wie sie anzuwenden waren – und damals waren das die wichtigsten Funktionen zur korrekten Lösung der Klausur.
Ähnliches durfte ihm morgen bei der Kurvendiskussion nicht passieren. Immer wieder ging er in Gedanken durch, was er sich am Wochenende so ausgiebig verinnerlicht hatte. Extrempunkte, Wendepunkte, Sattelpunkte sowie erste und zweite Ableitungen und deren Vorzeichenbedeutung. Dabei wanderten seine Augen von Zeit zu Zeit wieder auf die Digitalanzeige seines Weckers.
23.55.23 Uhr, 23.55.24 Uhr, 23.55.25 Uhr, 23.55.26 Uhr. Die Zeit strich dahin. Für gewöhnlich überraschte ihn der Schlaf zwischen 0 Uhr und 1 Uhr. Aber er merkte schon, dass er wegen der Klausur besonders nervös war und ihm die Traumwelt noch länger verwehrt bleiben würde. Er befürchtete, dass er morgen früh um 6.30 Uhr, wenn sein Wecker klingeln würde, unausgeschlafen sein und selbst wenn ein Blackout ausbliebe wegen zu großer Müdigkeit unnötige Fehler machen würde. So lag er noch eine ganze Zeit lang wach, grübelte über die bevorstehende Klausur nach, nahm sich vor, doch endlich einzuschlafen und starrte weiter auf die Anzeige seiner Uhr.
Wie immer wusste er nicht, wann er die Digitalanzeige aus den Augen verloren und der Schlaf ihn übermannt hatte. Sein Radiowecker zeigte nun 2.15 Uhr an und Klaus versuchte erneut, wieder einzuschlafen. Er schaute dabei weiterhin auf die Uhr und wurde immer nervöser. Plötzlich schien die Anzeige einen Sprung zu machen und es war 4.32 Uhr. Er schüttelte kurz den Kopf und sah noch einmal genauer hin: 4.32.46 Uhr, 4.32.47 Uhr, 4.32.48 Uhr, ...
Wo waren die zweieinviertel Stunden abgeblieben? Hatte er wirklich geschlafen? Aber
warum wachte er jetzt schon wieder auf? Es blieben ihm nur noch knapp zwei Stunden, bis sein Wecker klingeln und er aufstehen müsste.
04.41.34 Uhr, 04.41.35 Uhr, 04.41.36 Uhr, 06.41.37 Uhr, 06.41.38 Uhr, ... Moment, was
war jetzt schon wieder passiert? Plötzlich fehlten ihm wieder zwei Stunden und sein Wecker schien nicht geklingelt zu haben. Hatte er etwa vergessen, ihn zu stellen? Panisch reckte Klaus sich und wollte aufstehen, aber sein Körper gehorchte ihm nicht. Wie in Trance fühlte er, wie ihm die Zeit davon lief. Er drehte seinen Kopf in Richtung Uhr. Die Anzeige wurde plötzlich schneller. Die Zeit schien geradezu zu rennen, immer schneller und schneller. 6.45 Uhr, 7.00 Uhr, 7.30 Uhr, 8.00 Uhr – jetzt sollte die Klausur beginnen - 09.00 Uhr, 10.30 Uhr – und er konnte nur tatenlos zuschauen, lag bewegungsunfähig und vor Panik schwitzend in seinem Bett.
Klaus verzweifelte. Er versuchte ein lautes NEIN in Richtung seines Weckers zu brüllen, aber als er den Mund endlich offen hatte, brachte er keinen Ton hervor. Dafür hörte er ein lautes Piepen und richtete sich im Bett auf. Er schaute auf die Uhr: Die Anzeige zeigte ihm 6.30.05 Uhr an. Er drückte einen Knopf am Wecker und das Piepen verstummte. Was für ein Alptraum. Jetzt aber nichts wie aufgestanden, versuchen, die Panik von kurz zuvor abzulegen und ab zur Schule.
Auf dem Weg zur Bushaltestelle dachte er noch einmal über den merkwürdigen Alptraum nach. Vielleicht war der Traum eine Warnung und er sollte sich hüten, dass ihm die Zeit nicht davon lief? Aber wahrscheinlich war er bloß so nervös wegen der anstehenden Klausur und sein Unterbewusstsein versuchte, ihm einen Streich zu spielen. Er zuckte kurz mit den Schultern und seine Gedanken schweiften wieder zur bevorstehenden Matheprüfung, die er unbedingt bestehen musste.
An der Bushaltestelle schaute er sich um. Heute war es rappelvoll und er erkannte
fast jeden Schüler, der hier stand. Die meisten kannte er nur von den vielen Morgenden, die er hier schon gewartet hatte. Andere gehörten zu denen, die er näher kannte. Alles vertraute Gesichter und er gesellte sich zu den beiden Klassenkollegen – Stefan und Mark - die gleich mit ihm zusammen die Matheklausur schreiben würden. Während sie auf den Bus warteten, sprachen sie über die bevorstehende Prüfung. Mark meinte, das Ding würde schon nicht zu schwer werden und er hätte sich sehr gut auf Statistik vorbereitet.
Klaus merkte, wie sich seine Augen weiteten und sein Puls in die Höhe schnellte. Statistik? Das war doch garnicht das Thema. Es sollte doch um Kurvendiskussionen gehen. Panisch fragte er Mark, wieso er sich auf Statistik und nicht auf Kurvendiskussionen vorbereitet hätte.
„Wieso Kurvendiskussionen?“, wandte Stefan ein, „die waren doch schon in der letzten Klausur dran. Gleich geht es um Wahrscheinlichkeiten.“
„Und wenn du dich auf Kurvendiskussionen vorbereitet hast, dürfte die Wahrscheinlichkeit, dass du bestehst, wohl eher gering sein“, lachte Mark. Stefan stimmte in das Lachen mit ein und Klaus merkte, wie ihm die Luft wegblieb.
Dann klingelte sein Wecker. Panisch starrte Klaus auf die Uhr. Sie zeigte ihm erneut 6.30.05 Uhr an. Schon wieder ein Alptraum? Bin ich jetzt wirklich wach? Hoffentlich, sonst drehe ich noch durch. Ich will endlich diese verdammte Klausur hinter mich bringen.
Erneut stellte er sich der morgendlichen Prozedur und machte sich auf den Weg zur Bushaltestelle.
Schließlich fuhr der Bus vor und es gab keine komischen Zwischenfälle. Stefan und Mark hatten ebenfalls für Kurvendiskussionen gepaukt und Klaus fühlte sich nach dem Gespräch mit den beiden gut gewappnet. Aber gerade als er einsteigen wollte, passierte schon wieder etwas Merkwürdiges. Es standen unglaublich viele Schüler an der Haltestelle und alle schienen sich auf einmal in den Bus zu drängen. Klaus wollte sich eigentlich nicht ins Gedrängel stürzen – ein Sitzplatz war ihm ohnehin nicht wichtig – aber der Bus schien plötzlich aus allen Nähten zu platzen und die üblichen Drängler und Schubbser sorgten dafür, dass er nicht einsteigen konnte.
„He, lasst mich auch in den Bus!“, schimpfte er und versuchte sich schließlich doch noch irgendwie hineinzudrängeln. Aber direkt vor seiner Nase schloss sich die Tür, der Bus fuhr ohne ihn los und er sah noch, wie Stefan und Mark ihm durch die Fenster zuwinkten und lachten.
„Keine Angst, Klaus. Der nächste Bus kommt schon um kurz nach 8 Uhr“, höhnte Mark ihm noch durch das geöffnete Fenster zu und gab anschließend ein sehr lautes Piepen von sich.
6.30 Uhr. Klaus wachte auf. Er hatte schon öfter diese Art von Alpträumen gehabt. Er nannte sie Kettenträume und sie kamen meist dann vor, wenn ein wichtiger Test am nächsten Morgen bevorstand. Für gewöhnlich wachte er zwei- oder dreimal hintereinander auf und war erst dann „wirklich“ wach. Vielleicht war dies nur ein weiterer Traum und der Radiowecker hatte noch gar nicht geklingelt. Er schaute auf die Anzeige: 06.31.15 Uhr, 06.31.16 Uhr, 06.31.17 Uhr. Die Zeit lief wie immer ab. Kein Schnellerwerden der Uhr.
Klaus seufzte. Anscheinend war er wirklich wach. Aber trauen würde er der Sache erst, wenn er im Bus war. Er wusste, dass in seinen Kettenträumen früher oder später irgendetwas nicht stimmte und dieses Etwas war meistens in allen Träumen ähnlich.
Als er im Bus saß und auf dem Weg zur Schule war, gab er einen weiteren Seufzer von sich. Das Thema der Klausur war tatsächlich Kurvendiskussionen, Mark und Stefan verhielten sich normal und er hatte sogar einen Sitzplatz im Bus bekommen. Erleichterung breitete sich langsam in ihm aus und er fühlte sich gut vorbereitet für den Tag.
Er schaute sich jetzt das erste Mal genauer im Bus um. Links von ihm saß ein Schüler und rechts von ihm standen Schüler. Er saß am Gang und betrachtete alle Gesichter genau. Er stand zwischen Fremden. Nicht ein Gesicht kam ihm bekannt vor, er konnte Mark und Stefan nirgends mehr sehen und erst jetzt merkte er, dass der Bus in eine völlig falsche Richtung fuhr. Er stand auf und arbeitete sich hastig nach vorne durch. Hatte er wirklich vor lauter Nachdenken über die komischen Träume den falschen Bus genommen? Warum hatten Mark und Stefan ihn nicht gewarnt?
Als er vorne angekommen war, fragte er den Fahrer, wohin der Bus fährt. Klaus blickte dabei in ein schmieriges, dickes Gesicht mit dunkler Sonnenbrille.
„Wir fahren nach Hause“, sagte der Fahrer und dann fingen einige Leuchten am Armaturenbrett an zu piepen und Klaus wachte auf: 6.30 Uhr.
Das ganze Wochenende hatte er gepaukt, sich alte Klausuren angesehen, den Stoff bis zum Erbrechen durchexerziert. Er fühlte sich jetzt fit genug, um eine Kurvendiskussion problemlos durchzuführen. Dennoch kamen ihm Zweifel, ob er tatsächlich mit einer guten Note bestehen oder ob ihn morgen früh ein Blackout ereilen würde. Wie damals als die Vektorrechnung dran war und er auch meinte, sich gut genug mit dem Stoff auseinandergesetzt zu haben. War das damals ein Reinfall. Als es soweit war und die Aufgaben verteilt wurden, merkte er schnell, dass sich das zuvor angelernte Wissen bei aller Anstrengung einfach nicht abrufen ließ. Panisch und nervös hatte er probiert, wenigstens etwas zustande zu bringen. Aber erst hinterher – als die Klausur bereits abgegeben und schon alles zu spät war – viel ihm wie Schuppen von den Augen, dass er kaum eine Aufgabe richtig gelöst hatte. Er hatte nicht nur Skalarprodukt und Kreuzprodukt verwechselt, sondern auch falsch in Erinnerung gehabt wie sie anzuwenden waren – und damals waren das die wichtigsten Funktionen zur korrekten Lösung der Klausur.
Ähnliches durfte ihm morgen bei der Kurvendiskussion nicht passieren. Immer wieder ging er in Gedanken durch, was er sich am Wochenende so ausgiebig verinnerlicht hatte. Extrempunkte, Wendepunkte, Sattelpunkte sowie erste und zweite Ableitungen und deren Vorzeichenbedeutung. Dabei wanderten seine Augen von Zeit zu Zeit wieder auf die Digitalanzeige seines Weckers.
23.55.23 Uhr, 23.55.24 Uhr, 23.55.25 Uhr, 23.55.26 Uhr. Die Zeit strich dahin. Für gewöhnlich überraschte ihn der Schlaf zwischen 0 Uhr und 1 Uhr. Aber er merkte schon, dass er wegen der Klausur besonders nervös war und ihm die Traumwelt noch länger verwehrt bleiben würde. Er befürchtete, dass er morgen früh um 6.30 Uhr, wenn sein Wecker klingeln würde, unausgeschlafen sein und selbst wenn ein Blackout ausbliebe wegen zu großer Müdigkeit unnötige Fehler machen würde. So lag er noch eine ganze Zeit lang wach, grübelte über die bevorstehende Klausur nach, nahm sich vor, doch endlich einzuschlafen und starrte weiter auf die Anzeige seiner Uhr.
Wie immer wusste er nicht, wann er die Digitalanzeige aus den Augen verloren und der Schlaf ihn übermannt hatte. Sein Radiowecker zeigte nun 2.15 Uhr an und Klaus versuchte erneut, wieder einzuschlafen. Er schaute dabei weiterhin auf die Uhr und wurde immer nervöser. Plötzlich schien die Anzeige einen Sprung zu machen und es war 4.32 Uhr. Er schüttelte kurz den Kopf und sah noch einmal genauer hin: 4.32.46 Uhr, 4.32.47 Uhr, 4.32.48 Uhr, ...
Wo waren die zweieinviertel Stunden abgeblieben? Hatte er wirklich geschlafen? Aber
warum wachte er jetzt schon wieder auf? Es blieben ihm nur noch knapp zwei Stunden, bis sein Wecker klingeln und er aufstehen müsste.
04.41.34 Uhr, 04.41.35 Uhr, 04.41.36 Uhr, 06.41.37 Uhr, 06.41.38 Uhr, ... Moment, was
war jetzt schon wieder passiert? Plötzlich fehlten ihm wieder zwei Stunden und sein Wecker schien nicht geklingelt zu haben. Hatte er etwa vergessen, ihn zu stellen? Panisch reckte Klaus sich und wollte aufstehen, aber sein Körper gehorchte ihm nicht. Wie in Trance fühlte er, wie ihm die Zeit davon lief. Er drehte seinen Kopf in Richtung Uhr. Die Anzeige wurde plötzlich schneller. Die Zeit schien geradezu zu rennen, immer schneller und schneller. 6.45 Uhr, 7.00 Uhr, 7.30 Uhr, 8.00 Uhr – jetzt sollte die Klausur beginnen - 09.00 Uhr, 10.30 Uhr – und er konnte nur tatenlos zuschauen, lag bewegungsunfähig und vor Panik schwitzend in seinem Bett.
Klaus verzweifelte. Er versuchte ein lautes NEIN in Richtung seines Weckers zu brüllen, aber als er den Mund endlich offen hatte, brachte er keinen Ton hervor. Dafür hörte er ein lautes Piepen und richtete sich im Bett auf. Er schaute auf die Uhr: Die Anzeige zeigte ihm 6.30.05 Uhr an. Er drückte einen Knopf am Wecker und das Piepen verstummte. Was für ein Alptraum. Jetzt aber nichts wie aufgestanden, versuchen, die Panik von kurz zuvor abzulegen und ab zur Schule.
Auf dem Weg zur Bushaltestelle dachte er noch einmal über den merkwürdigen Alptraum nach. Vielleicht war der Traum eine Warnung und er sollte sich hüten, dass ihm die Zeit nicht davon lief? Aber wahrscheinlich war er bloß so nervös wegen der anstehenden Klausur und sein Unterbewusstsein versuchte, ihm einen Streich zu spielen. Er zuckte kurz mit den Schultern und seine Gedanken schweiften wieder zur bevorstehenden Matheprüfung, die er unbedingt bestehen musste.
An der Bushaltestelle schaute er sich um. Heute war es rappelvoll und er erkannte
fast jeden Schüler, der hier stand. Die meisten kannte er nur von den vielen Morgenden, die er hier schon gewartet hatte. Andere gehörten zu denen, die er näher kannte. Alles vertraute Gesichter und er gesellte sich zu den beiden Klassenkollegen – Stefan und Mark - die gleich mit ihm zusammen die Matheklausur schreiben würden. Während sie auf den Bus warteten, sprachen sie über die bevorstehende Prüfung. Mark meinte, das Ding würde schon nicht zu schwer werden und er hätte sich sehr gut auf Statistik vorbereitet.
Klaus merkte, wie sich seine Augen weiteten und sein Puls in die Höhe schnellte. Statistik? Das war doch garnicht das Thema. Es sollte doch um Kurvendiskussionen gehen. Panisch fragte er Mark, wieso er sich auf Statistik und nicht auf Kurvendiskussionen vorbereitet hätte.
„Wieso Kurvendiskussionen?“, wandte Stefan ein, „die waren doch schon in der letzten Klausur dran. Gleich geht es um Wahrscheinlichkeiten.“
„Und wenn du dich auf Kurvendiskussionen vorbereitet hast, dürfte die Wahrscheinlichkeit, dass du bestehst, wohl eher gering sein“, lachte Mark. Stefan stimmte in das Lachen mit ein und Klaus merkte, wie ihm die Luft wegblieb.
Dann klingelte sein Wecker. Panisch starrte Klaus auf die Uhr. Sie zeigte ihm erneut 6.30.05 Uhr an. Schon wieder ein Alptraum? Bin ich jetzt wirklich wach? Hoffentlich, sonst drehe ich noch durch. Ich will endlich diese verdammte Klausur hinter mich bringen.
Erneut stellte er sich der morgendlichen Prozedur und machte sich auf den Weg zur Bushaltestelle.
Schließlich fuhr der Bus vor und es gab keine komischen Zwischenfälle. Stefan und Mark hatten ebenfalls für Kurvendiskussionen gepaukt und Klaus fühlte sich nach dem Gespräch mit den beiden gut gewappnet. Aber gerade als er einsteigen wollte, passierte schon wieder etwas Merkwürdiges. Es standen unglaublich viele Schüler an der Haltestelle und alle schienen sich auf einmal in den Bus zu drängen. Klaus wollte sich eigentlich nicht ins Gedrängel stürzen – ein Sitzplatz war ihm ohnehin nicht wichtig – aber der Bus schien plötzlich aus allen Nähten zu platzen und die üblichen Drängler und Schubbser sorgten dafür, dass er nicht einsteigen konnte.
„He, lasst mich auch in den Bus!“, schimpfte er und versuchte sich schließlich doch noch irgendwie hineinzudrängeln. Aber direkt vor seiner Nase schloss sich die Tür, der Bus fuhr ohne ihn los und er sah noch, wie Stefan und Mark ihm durch die Fenster zuwinkten und lachten.
„Keine Angst, Klaus. Der nächste Bus kommt schon um kurz nach 8 Uhr“, höhnte Mark ihm noch durch das geöffnete Fenster zu und gab anschließend ein sehr lautes Piepen von sich.
6.30 Uhr. Klaus wachte auf. Er hatte schon öfter diese Art von Alpträumen gehabt. Er nannte sie Kettenträume und sie kamen meist dann vor, wenn ein wichtiger Test am nächsten Morgen bevorstand. Für gewöhnlich wachte er zwei- oder dreimal hintereinander auf und war erst dann „wirklich“ wach. Vielleicht war dies nur ein weiterer Traum und der Radiowecker hatte noch gar nicht geklingelt. Er schaute auf die Anzeige: 06.31.15 Uhr, 06.31.16 Uhr, 06.31.17 Uhr. Die Zeit lief wie immer ab. Kein Schnellerwerden der Uhr.
Klaus seufzte. Anscheinend war er wirklich wach. Aber trauen würde er der Sache erst, wenn er im Bus war. Er wusste, dass in seinen Kettenträumen früher oder später irgendetwas nicht stimmte und dieses Etwas war meistens in allen Träumen ähnlich.
Als er im Bus saß und auf dem Weg zur Schule war, gab er einen weiteren Seufzer von sich. Das Thema der Klausur war tatsächlich Kurvendiskussionen, Mark und Stefan verhielten sich normal und er hatte sogar einen Sitzplatz im Bus bekommen. Erleichterung breitete sich langsam in ihm aus und er fühlte sich gut vorbereitet für den Tag.
Er schaute sich jetzt das erste Mal genauer im Bus um. Links von ihm saß ein Schüler und rechts von ihm standen Schüler. Er saß am Gang und betrachtete alle Gesichter genau. Er stand zwischen Fremden. Nicht ein Gesicht kam ihm bekannt vor, er konnte Mark und Stefan nirgends mehr sehen und erst jetzt merkte er, dass der Bus in eine völlig falsche Richtung fuhr. Er stand auf und arbeitete sich hastig nach vorne durch. Hatte er wirklich vor lauter Nachdenken über die komischen Träume den falschen Bus genommen? Warum hatten Mark und Stefan ihn nicht gewarnt?
Als er vorne angekommen war, fragte er den Fahrer, wohin der Bus fährt. Klaus blickte dabei in ein schmieriges, dickes Gesicht mit dunkler Sonnenbrille.
„Wir fahren nach Hause“, sagte der Fahrer und dann fingen einige Leuchten am Armaturenbrett an zu piepen und Klaus wachte auf: 6.30 Uhr.