Jay schrieb:
Ich hab den Wolf jetzt endlich gesehen - und geb ihm 10/10. Bei Morgenstund schreib ich noch ein bisschen mehr dazu.
Der hat mir den Kugelschrauber aber sowas von verkauft.
Jetzt noch ein paar mehr Worte dazu, denn ich bin zuversichtlich, dass der Anfang 2015 in meiner Jahresliste stehen wird.
An den Wolf hatte ich hohe Erwartungen, aber ich war mir dennoch unsicher, ob Martin Scorsese der richtige für den Stoff sein würde. Das Buch hatte ich rund ein Jahr vorher gelesen, konnte mir aber nicht vorstellen, dass der 70jährige Scorsese die Energie des Irrsinns einfangen kann, der in Belforts Büros geherrscht haben muss. Hatte einen ruhigeren Film erwartet, der sich eingehender um Belforts Betrugs- und Verschleierungsversuche dreht, aber das? Exzess ohne Verharmlosung, Yuppie-Geddon im Erbe Gordon Gekkos, in Spring Breakers Madness.
Der Film ist eine großartige Beobachtung des Kapitalismuswesens. Mit Nonsens und auf Kosten anderer Geld machen und jenes dann exzessiv sinnlos und illegal ausgeben. Die vielen Parties und Trips und Nutten wiederholen sich ständig, aber diese Dauerwiederholung spielt eine große Rolle. Belforts Leben ist halt so leer, außer Geld machen und verprassen gibts da nichts anderes. Wenn man sich dann denkt, dass das ziemlich leer ist - richtig erkannt. Leo in seiner vielleicht besten Leistung seiner Karriere (Oscar!) personifiziert diese sinnlose Geldgeilheit einfach grandios. Er ist 3 Stunden lang ein unsympathischer Dauerkrimineller, der sogar seine Mutter für eine paar Lines verkaufen würde, aber er spielt es so charismatisch, dass man ihn nicht mit Abscheu betrachtet, sondern wie einen verrückten Stifler.
Ich kann das nicht verstehen, dass gerade in den Staaten viele empört sind und meinen, der Film moralisiere nicht deutlich genug. Natürlich macht er das nicht, aber das Scorsese noch nie gemacht und das braucht er auch nicht. Millionen scheffeln, sich eine Yacht kaufen und am laufenden Band mit allem durchkommen? Das ist verlockend und der Film ist auch richtig darin, zu zeigen, dass es den Yuppies immensen Spaß macht. Das sind ja auch keine heruntergekommenen Junkies, die sich in der Bahnhofstoilette einen neuen Schuss setzen, sondern Superreiche, die sich für unaufhaltsam halten. Da bedarf es auch keine Szene, in der Belfort über seine Taten nachdenkt und sich auf Rechtschaffenheit besinnt, denn nicht alle Protagonisten müssen Vorbilder sein. Im Gegenteil, manche sind das Gegenteil und Belfort ist so einer. Dem tut nichts leid und in dieser Geschichte aus seiner Perspektive werden nie Opfer gezeigt, weil die ihn nicht jucken.
Dass deren Spaß falsch ist und es nicht ok ist, andere dafür abzuzocken, darauf kann man auch selbst kommen. Dafür muss man nicht an die Hand genommen werden. Als Leo dann erwischt wird, ist er schon beunruhigt. Aber nicht weil er ihm dämmert, dass das, was er getan hat, falsch ist, sondern weil er sich ärgert erwischt worden zu sein. Diese Eingebung, was falsches getan zu haben, kommt einfach nie auf. In der besten Szene des Films lachen wir uns darüber kaputt, wie der völlig auf Quaaludes highe Leo über den Boden kriecht. Das ist lustig, aber tauschen will man da nicht mit ihm, weil es erbärmlich ist. Und auch lässt man gern die Yacht weg und fährt mit Kyle Chandler U-Bahn, wenn es bedeutet, dafür niemanden abzuziehen und in Flugzeugen nicht festgeschnallt werden zu müssen, weil man eine unausstehliche Gefahr für andere ist. Tyler Durden, Scarface, Gekko, natürlich sind solche Leute auch immer ungemein charismatisch, denn der Teufel kommt halt mit einem Lächeln und einem Handshake. Das Böse ist verführerisch und was diese Figuren an Macht, Freiheit und Selbstverwirklichung ausstrahlen, ist fraglos was, was man gern haben wollen würde. Nur kommen diese halt dann auch immer mit dem Preis von Opfern, die darunter leiden, oder einer baldigen Leere. Man kann sich die als Vorbilder nehmen, so wie viele Fight Club komplett falsch verstanden haben, aber wer das über harmlose Fantasie hinaus meint und sich insgeheim wirklich wünscht so zu sein, der muss schon eine fragwürdige Ignoranz für das Leben anderer mitbringen.
Belfort selbst ist es, der DiCaprio in seiner letzten Szene ankündigt. Belfort ist draußen und macht jetzt vielleicht legaler Geld als vorher, aber dass er trotz allem beliebt ist und geschätzt wird und als Karrierevorbild bezahlt wird, spricht doch mahnende Bände. Dass er für die Verfilmung seiner Story eine Million Dollar erhielt, telegrafiert dieser absurden Metageschichte auch noch ein mehrdimensionales LOL can you believe this?. Er ist ein sauguter Verkäufer und so lang es unseren Kapitalismus noch gibt, werden zwielichtige Leute wie er mit seinem Talent immer erfolgreicher, beliebter und geschützter sein als rechtschaffendere andere. Bei extrem viel Geld schwindet die Moral, worüber Marty und Leo einen (für mich) perfekten Film gemacht haben.