Zuletzt gelesenes oder gehörtes Buch

Presko

Don Quijote des Forums
Yael Inokai: Ein simpler Eingriff

Der Roman handelt von einer jungen Krankenschwester irgendwann in den 50er/60er-Jahren (wird nie explizit gesagt), welche ihren Chefarzt bei einer neuartigen Behandlungsmethode assistiert. Frauen, die an extrem starken Verhaltensauffälligkeiten leiden, werden dabei Areale im Gehirn „eingeschläfert“. Danach sollen diese Frauen wieder ein normales und der Gesellschaft nützliches Verhalten an den Tag legen. Doch der jungen Krankenschwester, die sich auch noch in eine Kollegin verliebt, kommen immer mehr Zweifel.

Ein recht geradlinige und nüchterne Erzählung über Hierarchien, medizinischen Fortschrittsglauben und gesellschaftliche Normierung, die über weite Strecken recht düster daherkommt, dabei aber nie plakativ oder reisserisch ist - oft sogar eher etwas unterkühlt. Umso stärker wirkt dann ein leichtes Aufkeimen von Hoffnung beim gelungenen Ende.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
William Faulkner - Der Springer greift an

Eine Reihe von Kurzgeschichten, in denen ein Bezirksanwalt und sein Neffe verschiedene Fälle lösen.

Es ist gut geschrieben, aber die Fälle sind so konstruiert und konfus aufgebaut, dass keinerlei Spannung aufkommt (was im Krimigenre von Vorteil wäre). Zudem erinnert mich dieses Ermittlerduo zu sehr an Doyles Sherlock Holmes und Dr. Watson, der es wiederum von Edgar A. Poe übernommen hatte. Der Neffe trägt überhaupt nichts zu den Ermitlungen bei, sondern ist nur dazu da, damit der eigentliche Ermittler ihm (und damit auch dem Leser) alles erklären kann.

Robert Aickman - Dunkle Pforten

Erzählungen aus dem Bereich "Weird Fiction", die in den 1950ern und 1960er entstanden sind.

Ich bin hellauf begeistert. Die Geschichten sind unvorhersehbar, atmosphärisch und unbehaglich, erstklassig geschrieben und am Ende ohne wirkliche Auflösung, was viel Raum für Interpretationen lässt. Die Charaktere sind sehr interessant und vielschichtig, vor allem die weiblichen (die bei Aickman meistens auch die Hauptfiguren sind).
Obwohl ich manche von den Storys schon kannte, habe ich sie sehr gerne ein zweites Mal gelesen, eben weil sie so undurchschaubar und voller Symbolik sind. Also klare Empfehlung von meiner Seite.
Hoffentlich wird das Buch erfolgreich genug sein, damit der Verlag auch die anderen geplanten Bände mit Erzählungen von Aickman herausbringen kann. Im Bereich der unheimlichen Literatur gehört er (neben Thomas Ligotti) zu meinen absoluten Favoriten.
 

Presko

Don Quijote des Forums
Tom Müller: Die jüngsten Tage

Wir begleiten in Tom Müllers Roman Jonathan auf seiner Reise zur Mutter seines verstorbenen Jugendfreundes. Jonathan erinnert sich während der Reise sn ihre gemeinsame Jugend während der Wendejahre, als alles möglich schien. Sie lebten den Sturm und Drang, wollten aus allen Konventionen ausbrechen, wahrhaft leben. Doch sie scheiterten zwangsläufig.

Ein zutiefst melancholisches Buch voller Ambivalenzen. Sprachlich fühlte ich mich stark an Bov Bjergs wunderbaren Roman Serpentinen erinnert. Stark!
 
Zuletzt bearbeitet:

Presko

Don Quijote des Forums
Helga Bürster: Eine andere Zeit

Die Schwestern Enne und Suse wachsen in den 1970ern in einem Dorf in Vorpommern auf, wo es kaum mehr gibt als die Fahrradfähre nach Usedom und das so abgelegen ist, dass Fremde schon einmal befürchten, »über den Rand zu kippen«. Suse ist oft krank und Enne muss zurückstecken, weil die Sorge und Zuwendung der Eltern vor allem Suse gilt, was das Verhältnis der beiden Schwestern nicht ganz einfach macht. Es gibt nur wenige Momente der Nähe zwischen ihnen.
Als 1989 Ungarn die Grenzen öffnet, nutzt Suse die Chance und verschwindet in den Westen. Sie lässt nie wieder von sich hören, die Familie rätselt jahrzehntelang darüber, was aus ihr geworden ist. Enne versucht sich in Berlin als Schauspielerin, aber der große Durchbruch bleibt aus und sie geht wieder zurück in ihr Heimatdorf. Dreißig Jahre nach Suses Verschwinden zieht eine geheimnisvolle Frau Pohl bei Enne gegenüber ein und die Gerüchte, wer das sein könnte, schießen ins Kraut …
Eine warmherzige Familiengeschichte. Sensibel, unterhaltsam aber auch oft humorvoll erzählt, in einem einfachen Schreibstil, der stark auf Dialoge setzt.
Das ist alles ganz nett, aber auch ein bisschen beliebig. Es fehlt das Besondere sei es im Bezug auf Stil oder Inhalt.
 

Presko

Don Quijote des Forums
Satoshi Yagisawa: Die Tage in der Buchhandlung Morisaki

Die Handlung lässt sich gut in zwei Teile aufbröseln.
Im ersten Teil geht es darum, wie die Mitzwanzigerin Takako, die sich nach einer Trennung und Jobverlust in ner Lebenskrise befindet, bei ihrem Onkel unterkommt, der ein Buchantiquariat führt. Hier freundet sie sich nicht nur mit ihrem Onkel an, sondern entdeckt auch ihre Liebe zur Literatur.

Im zweiten Teil geht es um ihre Tante, die ihren Onkel vor Jahren ohne Erklärung verlassen hatte und nun plötzlich unvermittelt wieder auftaucht - ohne jede Erklärung. Nun versucht Takako herauszufinden, was mit der Tante los ist.

Ein nettes liebevolles, sehr optimistisches Buch voller Harmonie. Schön geschrieben. Mich hats etwas kalt gelassen. Zu nett, zu, weiss nicht, zu gemütlich in seiner Liebenswürdigkeit. Ohne Ecken und Kanten.
 

Presko

Don Quijote des Forums
Robert Seethaler: Café ohne Namen

Der Roman handelt von Robert Simon, der im Wien der 70er ein kleines Café eröffnet, von seinen Mitarbeitern, seinen Gästen und von der Stadt, die sich aus den Trümmern des Krieges neu erhoben hat, wie es in der Beschreibung heisst.

Ich mochte den Roman mit seinem melancholisch-lakonischen Ton sehr, Seethaler baut eine wunderbare Atmosphäre auf, und vermittelt ein intensives Gespür für die Stadt und die Zeit, in der sein Roman handelt.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Jean Baudrillard - Das System der Dinge

In diesem Frühwerk von 1968 geht der Autor der Frage nach, wie die Weiterentwicklung der alltäglichen Gegenstände (wie z.B. Möbel und Autos) unser Leben mit verändert hat.

Sehr aufschlussreich und interessant geschrieben. Vielleicht auch inspiriert von "Die Dinge" von Georges Perec (das Buch wird hier auch ein paar Mal erwähnt) und passt zum damaligen Zeitgeist, zumal Baudrillard genau an der Pariser Universität unterrichtete, an der die Studentenaufstände 1968 begannen. Die Gesellschaftskritik, gemischt mit Antikapitalismus, ist aber auch heute noch aktuell.

Walerij Brjussow - Der feurige Engel

Die Handlung des Klassikers von 1907/1908 ist im Deutschland des 16. Jahrhunderts angesiedelt und erzählt die Geschichte eines Mannes, der aus Liebe zu einer Frau Teufelsbeschwörungen praktiziert.

Zu loben wäre, dass der Autor anscheinend gut recherchiert hat. Zumindest wirkte es authentisch durch die Ausdrucksweise und den Einsatz historischer Figuren und Ereignisse (z.B. der Bau des Kölner Doms). Als Nebenfiguren tauchen irgendwann auch Doktor Faust und Mephistopheles auf.
Alles Andere hat mich weniger überzeugt. Die Handlung ist für diese Thematik zu belanglos und uninteressant, es kommt weder Spannung noch Atmosphäre auf, alles zieht sich in die Länge. Beide Hauptfiguren waren mir unsympathisch und alles ist so voller Pathos und Liebeskitsch, dass ich mich gefragt habe, warum das Buch überhaupt in der guten Reihe "DuMont's Bibliothek des Phantastischen" erschienen ist. Die andere Werke dieser Reihe sind atmosphärisch und unheimlich, was man von diesem Buch nicht behaupten kann.
 

Puni

Well-Known Member
Kam dann doch tatsächlich mal wieder dazu, Bücher fertig zu lesen:

Ingrid Noll - Der Hahn ist tot

Ist die Geschichte über eine fünfzigjährige Alleinstehende, die sich ohne ersichtlichen Grund in einen etwas jüngeren Lehrer verliebt. Sie fängt an ihn zu stalken, und plötzlich ist seine Frau tot. Bei diesem Tod soll es aber nicht bleiben, denn die Protagonistin ist getrieben von Eifersucht und Selbstgerechtigkeit.
Kurzweiliger, flott geschriebener Roman, den man aufgrund seiner Zufälle nicht ganz ernst nehmen darf um "Spaß" daran zu haben. Vor allem das Innenleben ihrer Hauptfigur beschreibt Noll sehr interessant, und man kann sie einfach nur hassen. Aber auch die anderen Charaktere sind durch und durch hassenswert, dass es eine wahre Freude ist. Kein Roman für die Ewigkeit, aber ich hatte viel Spaß damit.

Ozamu Dazai - Gezeichnet

Sehr introspektiver Roman über einen Außenseiter in Tokio, der nie wirklich mit der Gesellschaft klar kam und sich in Alkohol, Drogen und Frauengeschichten verliert. Teils recht verstörend, auch wenn es nie wirklich explizit wird, mit sehr interessanten Gedankengängen. Und wie das oft mit so alten Romane ist auch für mich wieder erstaunlich, wie selbst vor achtzig Jahren Gedankengänge, Motive etc. auch in der heutigen Zeit mehr oder weniger schlüssig oder gar nachvollziehbar sind. Hat mich irgendwie fasziniert.

Und wie sollte es anders sein habe ich natürlich auch den neuen Roman meines deutschen Lieblingsautors gelesen bzw gehört:

Heinz Strunk - Der gelbe Elefant

Ein Sammelsurium aus Kurzgeschichten, mal düster, mal etwas heiterer, erzählt Heinzer hier wieder allerlei aus dem Leben. Interessante Gesellschaftsbeobachtungen gepaart mit Horror- bzw Fantasyanleihen machen durchweg Spaß. Mich würde sehr interessieren wie die Sachen auf jemanden wirken der Strunk nicht kennt, ich als Fanboy bin da natürlich wieder höchst zufrieden mit, mochte ja auch sein Tee-Männchen sehr gerne. :biggrin:
Lieblingsgeschichte, die nicht länger als drei Sätze ist:

Strange Jump
Rüdiger Schmidt bot bei seinem Freitod einen seltsamen Anblick, der aber irgendwie auch zum Lachen reizte, man konnte sich nicht dagegen wehren. Als er sich vom 13. Stock des HEW-Hochhauses stürzte, hielt er sich Gott weiß warum die Nase zu - wie Kinder vom Sprung des Einmeterturms. Genützt hat es ihm nichts.
 
Zuletzt bearbeitet:

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Robert Penn Warren - Das Spiel der Macht

Ein Klassiker von 1946, der im politischen Milieu der USA spielt. Der Ich-Erzähler gehört zum engsten Vertrautenkreis eines Gouverneurs, der es zum Senator schaffen will.

Der Erzählstil hat mir sehr gut gefallen. In der ersten Hälfte war die Handlung etwas sprunghaft, aber man konnte ihr noch folgen. Es geht um Korruption, Erpressung und andere Machenschaften, die in der US-Politik (und nicht nur dort) im Hintergrund laufen. 1946 gab es noch nicht viele Bücher dieser Art, daher ist es nicht überraschend, dass "Das Spiel der Macht" mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet wurde.

Vladimir Nabokov - Verzweiflung

Der Doppelgänger-Roman aus den frühen 1930er Jahren.

Sehr guter ironischer Schreibstil und interessante Charaktere. Die Handlung habe ich so ähnlich kommen sehen, was aber nicht schlimm ist, weil es trotzdem nicht langweilig war. Der Ich-Erzähler wendet sich auch immer wieder direkt an den Leser, und zwar auf eine unterhaltsame Weise.
"Verzweiflung" würde ich zu seinen besten Romanen (neben "Luschins Verteidigung") aus seiner Berliner Zeit zählen.

William S. Burroughs - Die Städte der Roten Nacht

Der erste Teil seiner späten Trilogie. Es geht um einen seltsamen Virus, einen Privatdetektiv, Sexmagie, Homos, Drogen und Piraten.

Hat mir auch beim zweiten Mal sehr gefallen. Die Handlung ist zusammenhängender als in den früheren Werken von Burroughs, wenn auch immer noch etwas sprunghaft. Diesmal konnte ich dem Ganzen besser folgen als beim ersten Mal. Den trockenen satirischen Humor wird wohl nicht jeder mögen oder überhaupt als Humor erkennen, aber ich musste gelegentlich schmunzeln. Originell, bizarr und teilweise sehr hart.
Sagt später nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.
 

Puni

Well-Known Member
Ian McGuire - Der Abstinent

Spielt in Manchester 1850 rum und geht um den irischen Polizisten O'Connor, der sich mit einer Untergrundzelle irischer Rebellen anlegt und dabei ins Visier eines irischen Söldners gerät.
Großes Hmm! von mir. Wäre das McGuires Erstlingswerk gewesen hätte mir das alles wahrscheinlich deutlich besser gefallen, weil die Erwartungen nach dem Meisterwerk Nordwasser nicht so verdammt hoch gewesen wären. Dabei ist Der Abstinent eigentlich nicht schlecht, sondern ähnlich wie sein Erstling atmosphärisch sehr dicht mit interessanten Charakteren und einigen Wendungen. So wirklich will die Geschichte in den ersten drei Vierteln der Geschichte aber nicht zünden, wir verbringen viel zu viel Zeit in Manchester und gerade, als es wirklich interessant wird, wirkt der Roman sehr gehetzt, dabei hätte ich liebend gerne nochmal 200 Seiten am Ende dran gehängt was mir bei Romane im Vergleich zu Filmen nicht gerade oft vorkommt. So ist Der Abstinent leider echt nur mittelgut mit viel verschenktem Potential. Schade.

Octavia E. Butler - Die Parabel vom Sämann

Der Roman hat mich wirklich umgehauen, dass ich gar nicht aufhören konnte zu lesen und wirklich traurig war als es vorbei war. Die Parabel vom Sämann ist eine Dystopie, die ähnlich wie Atwoods Oryx & Crake Reihe in gar nicht all zu weit entfernter Zukunft spielt. Die Regierung der USA ist dabei noch nicht zusammen gebrochen, dafür befinden wir uns in der Endstufe des Kapitalismus. Die Umwelt ist zerstört, Konzerne betreiben moderne Sklavenarbeit, jede Gemeinde die überleben will lebt ummauert, Polizei und Feuerwehr können nur gegen teure Gebühr gerufen werden und draußen herrscht das Gesetz des Stärkeren.
In dieser unwirtlichen Welt wächst Lauren mit ihrer Familie als Pfarrerstochter auf und fängt in Tagebuchform an, von ihren Erlebnissen zu erzählen. Dabei schafft sie ihre ganz eigene Religion, mit der sie, sobald es soweit ist, in die Welt ziehen will und eigene Gemeinschaften gründen will. Doch die harte, grausame Welt von draußen bricht auch irgendwann über sie und ihre Familie ein.
Wirklich immer wieder faszinierend, wie solche Dystopien aus den 80ern auch heute noch Bestand haben und wir ihnen näher sind als gedacht. Dabei ist die Parabel vom Sämann hart, teilweise verstörend wie McCarthys The Road und wird zu einer Odyssee des Überlebens, in der sich Lauren oft zwischen Überleben und Menschlichkeit entscheiden muss. Auch ihre neue Religion, die gar nicht so unplausibel klingt und eher pragmatisch als spirituell ist, spielt dabei eine große Rolle. Wirklich ein faszinierender Roman auf einem Level mit Atwood oder McCarthy der einen sehr oft direkt in die Magengrube trifft und dessen zweiter Teil bisher leider nicht auf deutsch erschienen ist. Auch die Geschichte der Autorin als eine der ersten schwarzen SciFi-Autoren mit Delaney und Ellison als Mentoren ist dabei sehr interessant. Highlight des Jahres bisher.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Jeremy C. Scipp - Der Trip

Es geht um einen Lehrer, der auf einer Reise mit seinen Schülern auf eine Verschwörung und eine Terrororganisation stößt.

Damit konnte ich leider nichts anfangen. Die gesamte Handlung ist zu abstrus und konstruiert, und der Schreibstil hat mir auch nicht zugesagt. Obwohl das Buch nur 180 Seiten hat, kam es mir sehr lang vor.

Charles Platt - Sweet Evil

Das Buch aus den 1970er Jahren handelt von einem Pärchen, das mordend und vergewaltigend durch die USA zieht.

Im Vergleich zu "Gas" gibt es hier deutlich mehr Dialoge, aber ansonsten ist es ähnlich amoralisch. Interessant finde ich, dass der Autor das Buch Jahrzehnte später stark überarbeitet (was er auch im Vorwort erzählt) und dem Ganzen damit eine rückblickende Wirkung verliehen hat. In der Hippie-Zeit geschrieben und davon geprägt, war die Originalversion bestimmt anders. Vielleicht weniger objektiv und nachsinnend und mehr von dem damaligen Zeitgeist beeinflusst.
Einerseits hat er das Buch damit wahrscheinlich qualitativ verbessert, aber andererseits ist es dadurch auch gewisser weise verfälscht. Was wäre, wenn jeder Autor seine Bücher 30 Jahre später komplett überarbeiten und neu herausbringen würde? William S. Burroughs hatte ja bekannterweise den Hang, bei jeder Neuerscheinung seine Bücher zu überarbeiten, so dass teilweise etwas völlig anderes dabei herauskam. Wenn sich aber mehrere Leser über ein Buch unterhalten, von dem jeder eine andere Version gelesen hat, wären doch alle verwirrt.
Ich frage mich, ob "Gas" auch besser geworden wäre, wenn er es in diesem Jahrtausend überarbeitet und neu veröffentlicht hätte.
Das Ende ist überraschend, aber nicht unbedingt auf positive Weise.

Jean-Paul Sartre - Die Wörter

In diesem autobiografischen Kurzroman erinnert sich Sartre an seine Kindheit und wie er zum Lesen und Schreiben kam.

Es ist sehr gut geschrieben und offenbar auch sehr ehrlich, da er sich nicht gerade von seiner positiven Seite zeigt, sondern als ein verwöhntes Kind voller Eitelkeit. War schon selbstironisch und interessant.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Bruce Begout - Der ParK

Auf einer Privatinsel im indischen Ozean gibt es den fiktiven ParK, der eine Quintessenz aus allen möglichen Freizetparks, zoologischen Gärten und Gefängnissen darstellt. Die reichsten der Reichen kommen dorthin, um sich von den bizarren Attraktionen und Aktionen unterhalten zu lassen.

Das Buch ist in Form eines Essays verfasst, also ganz ohne Dialoge und ohne Handlung. Ist schon recht surreal und sehr gut geschrieben, mit skurrilen Figuren wie dem Geschäftsführer Kalt, dem Architekten Licht, seinem Assistenten Hund und den beiden "Dauergästen".
Gefiel mir noch etwas besser als "Motel".

Richard Chizmar - Ein langer Dezember

Es geht um einen Mann, dessen Nachbar und Freund sich als Serienkiller entpuppt und auf der Flucht ist.

Lässt sich sehr flüssig lesen, ist recht spannend und nicht so vorhersehbar, wie ich es befürchtet hatte. Hier und da haben sich ein paar kleine Klischees eingeschlichen, was aber nicht so sehr ins Gewicht fällt.
Solide.

Bret Easton Ellis - The Shards

Die Handlung des Romans ist im Los Angeles des Jahres 1981 angesiedelt. Erzählt wird aus der Sicht des siebzehnjährigen Bret Ellis, der zu einer Privatschule geht, mit anderen reichen Jugendlichen herumhängt, für manche seiner Mitschüler schwärmt und sich als Drehbuchautor und Schriftsteller versucht. Zugleich gibt es eine brutale Mordserie mit immer mehr Opfern.

Der Autor hat sich große Mühe gegeben, das 1980er-Jahre-Feeling aufleben zu lassen, und es ist ihm auch gelungen (z.B. durch die Musiktitel und Filme, die von den Figuren gehört und gesehen werden, oder die Kleidung). Es ist sehr gut und bildhaft geschrieben, obwohl er manchmal abschweift und das Ganze unnötig in die Länge zieht (730 Seiten). Trotz der Sache mit der Mordserie ist es kein Thriller, sondern ein Roman mit autobiografischen Elementen, in dem es vor allem um Entfremdung, Homosexualität und ein wenig um das Erwachsenwerden geht. Im letzten Drittel wird es zwischendurch ziemlich spannend, aber wer einen Thriller erwartet, wird vermutlich enttäuscht.
Ellis neigte schon immer zum Namedropping, und hier treibt er es auf die Spitze, denn fast jede Berühmtheit aus der Filmbranche der damaligen Zeit hat hier einen kleinen Cameo-Auftritt.

Was die Auflösung am Ende betrifft:
So richtig aufgelöst ist es am Ende nicht (ähnlich wie bei American Psycho). Ich denke zwar, dass Bret der Täter war (das war fast von Anfang an eine von den Möglichkeiten, die ich in Erwägung gezogen habe, obwohl ich es anfangs für relativ unwahrscheinlich hielt und am meisten Steven verdächtigt habe), aber es gibt da 1-2 Sachen, die dazu nicht passen. Von wem hat er die Kassette und später das Bild von seinem entführten Hund bekommen? Vielleicht ist er ja eine gespaltene Persönlichkeit, die sich so etwas selbst zuschickt, was zwar recht komisch, aber im Rahmen des Möglichen wäre.

Unter dem Schnitt würde ich das Buch als gut bis sehr gut bezeichnen, aber an seine besten Sachen (American Psycho, Glamorama und Einfach unwiderstehlich) kommt es nicht heran.
 

Puni

Well-Known Member
@Tyler Durden

Zum Thema The Shards:

Ellis war meiner Interpretation nach auch nicht der Killer sondern hat "nur" den Überfall auf Susan begangen, als Trittbrettfahrer quasi, alles andere macht für mich überhaupt keinen Sinn. Ellis und Robert wurden beide aufgrund ihres Verfolgungswahns blind und beschuldigten den jeweils anderen, obwohl Robert natürlich noch viel mehr Nähe zum Täter hatte und somit Ellis eigentlich auf der richtigen Spur war. Fand den Twist mit dem Überfall auf Susan und Tom gelungen und glaubwürdig, da Ellis sowieso die meiste Zeit ein richtiges Arschloch war. :biggrin:

Mir hat der Roman, trotz seiner unzähligen Arschlöcher sowie der Überlänge, die nicht immer von Vorteil war aber auch sehr gut gefallen. Hatte irgendwie einen echt guten "Vibe" - vielleicht kann ich mich bald ja mal aufraffen, endlich Glamorama zu lesen.

Ansonsten noch gelesen:

Jonathan Franzen - Crossroads

Geht um eine Pfarrerfamilie und wie die Eltern, zwei Brüder und eine Schwester ihr Leben meistern. Klingt auf dem Papier erstmal etwas langweilig, ist es aber überhaupt nicht, denn Drama gibt es hier an allen Ecken und Enden. Franzen schaut wirklich tief in die Abgründe seiner Charaktere und räumt jedem genug Raum ein, um interessant zu sein. Die Abgründe bzw geheimen Träume fühlen sich dabei fast schon normal und alltäglich an, was das ganze Familienkonstrukt nur umso greifbarer und "besonderer" macht. Toller Roman, der sich mit der Zeit immer besser entfaltet.

Percival Everett - Die Bäume

In einem beschaulichen Ort namens Money im Süden der USA werden immer mehr weiße Männer auf eine brutale, seltsame Art ermordet. Dies ruft nicht nur die örtliche Polizei, sondern auch das FBI auf den Plan, und schon bald scheint alles außer Kontrolle zu geraten.
Die Bäume ist wirklich einer der abgefahrensten Romane die ich dieses Jahr gelesen habe. Fängt an wie ein typischer Lansdale-Roman, so flott geschrieben, witzig und voller Charaktere wie bei einem Winslow und entwickelt sich zu etwas völlig Irrem. Mehr sollte man da nicht zu wissen, aber wenn man keinen reinen, völlig realistischen Südstaaten-Krimi erwartet und sich auf die Chose einlassen kann dann warten hier zig skurille Charaktere, pointierte Dialoge, die es in sich haben, zahlreiche absurde Momente und ein Ende, das wohl niemand kommen gesehen hat. Hat mich völlig abgeholt der Spaß. :biggrin:
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Spoiler zum Spoiler:
Aber ist es nicht ein zu großer Zufall, dass das erste Opfer des Killers Katherine, die damalige Freundin von Robert, ermordet wurde, kurz nachdem Bret ihn (Robert) zum ersten Mal (im Kino) gesehen und sofort begehrt hat? Der Traweller bekennt sich ja in seinen Briefen als ein Bewunderer und Verehrer von Robert, der Bret Ellis während des ganzen Buches auch ist. Andererseits wurde nie erwähnt, welche Verbindung er zu den anderen Opfern nach Katherine hatte (z.B. zu Audrey). Könnte aber auch ein zufällig ausgesuchtes Opfer sein, um lediglich Robert zu "beeindrucken". Ihn selbst habe ich eigentlich nie verdächtigt, weil das zu offensichtlich gewesen wäre. Oder ist am Ende vielleicht doch eher Steven, der Assistent von Terry, der Täter?
 

Puni

Well-Known Member
@Tyler Durden
Okay, jetzt kann ich das auch nachvollziehen. Würde Ellis halt zu einem komplett unzuverlässigen Erzähler machen, der uns von Anfang an nur Quatsch erzählt hat, was mich schon stören würde - vor allem bei der Länge des Romans. :biggrin: Aber doch, möglich wäre es.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Roger Zelazny - Herr des Lichts

In diesem Frühwerk des Autors geht es um Götter und Propheten von Hinduismus, Buddhismus und Christentum, die gegeneinander kämpfen. Das Ganze in Form von Science-Fiction.

Es ist zwar recht unterhaltsam, aber auch ganz schön überladen und zu religiös für meinen Geschmack. Das Buch könnte als Inspirationsquelle für Dan Simmons' "Illium" unnd "Olympos" gedient haben.

Claude Seignolle - Marie, die Wölfin

Es geht um ein Mädchen, das nach der Begegnung mit einem "Wolfsführer" die Gabe besitzt, Wolfsbisse zu heilen.

Wegen der Art, wie es geschrieben und aufgebaut ist, dachte ich beim Lesen, das Buch wäre aus dem 19. Jahrhundert, aber aus dem Nachwort erfuhr ich dann, dass es von 1947 ist. Der Schreibstil ist okay, das Verhalten der Figuren manchmal unglaubhaft. Insgesamt fürde ich sagen, dass es ein nettes Buch für Zwischendurch ist, aber nichts Weltbewegendes.

Joseph Sheridan Le Fanu - In einem dunklen Spiegel

Das Buch besteht aus fünf Erzählungen/Novellen aus dem 19. Jahrhundert, in denen es um verschiedene mysteriöse Fälle geht, die von einem (fiktiven) deutschen Arzt namens Martin Hesselius gesammelt wurden.

Bisher kannte ich nur "Richter Harbottle" (ist auch in diesem Band drin) und fand alle Geschichten sehr gut. Auch wenn es aus heutiger Sicht manchmal ein bisschen vorhersehbar ist, haben diese Erzählungen eine dichte Atmosphäre und sind sehr gut geschrieben. Der Film "Vampyr" (1932) soll eine Mischung aus zwei Geschichten von le Fanu sein: "Das Zimmer im Dragon Volant" und "Carmilla", die beide in diesem Buch enthalten sind. Den Film selbst habe ich aber nicht gesehen und kann daher nicht beurteilen, wie viel er aus diesen Vorlagen übernommen hat.
"Carmilla" zählt übrigens zu den frühesten Vampir-Geschichten (kam 25 Jahre vor Dracula raus und hat vermutlich Bram Stoker inspiriert).

Außerdem habe ich das Sachbuch "Klassen und Lebensweisen" von Maurice Halbwachs gelesen. Das sind Schriften aus dem Bereich Soziologie, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden. Thematisiert werden unter anderem Gesellschaftsklassen, kollektive Psychologie, die Aussagekraft von Statistiken und die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf die Eheschließungen in verschiedenen Altersgruppen. Stellenweise ein bisschen sozialistisch geprägt (zumindest die frühen Texte), aber trotzdem sehr interessant.
 

Puni

Well-Known Member
Louis-Ferdinand Céline - Reise ans Ende der Nacht

Geht um einen jungen Mann, der sich im ersten Weltkrieg spontan und aus völlig dämlichen Gründen in Frankreich der Armee anschließt und vor allem durch die Kolonialmacht Frankreich in der ganzen Welt herumkommt.
Hab bei einer Beschreibung zum Roman sowas wie "Im Westen nichts Neues" erwartet aber wurde sehr überrascht. Der Protagonist ist "ein Hansdampf in allen Gassen", hat den Krieg schon fast bei der Einschreibung satt und windet sich durchs Leben wo er nur kann. Dabei begleiten wir ihn auf einer Odyssee, die geprägt ist von den nüchternen, proletarischen und pragmatischen - und dadurch manchmal verstörenden, aber nie plakativen - Beobachtungen des Erzählers. Oft verfällt er dabei in philosophische Gedanken, die wirklich der Wahnsinn sind. Insbesondere die Gesellschaft vor, während und nach dem Krieg wird in einfacher Sprache, die trotzdem authentisch wirkt, sehr eindrücklich geschildert, dass es an andere Autoren wie Hans Fallada erinnert, und bei der man damals schon erahnen kann, in welche Richtung sich unsere kapitalistische Welt entwickelt, denn alles dreht sich auch hier schon nur um Geld. Auch den Übersetzer muss ich hier lobend erwähnen denn das wirkt alles so flüssig und toll übersetzt dass er da wahrscheinlich auch eine große Mitschuld dran hat dass der Roman so klasse ist. Parallelen zu den "transgressive Authors" wie Hubert Selby oder Nathanael West, die ich hier ja auch ständig erwähne, sind durch die Thematik rund um die Unterschicht auf jeden Fall vorhanden.
Wirklich ein mitreißender Roman, der mich nie gelangweilt hat und der trotz seiner über 600 Seiten mitreißend ist, obwohl nach dem ersten Viertel eigentlich gar nicht mehr so viel passiert.

Was man bei Céline halt unbedingt erwähnen muss ist dass er sich nach dem Roman, der in den 30ern rauskam und für seine treffenden Beobachtungen hinsichtlich des Proletariat und seiner einfachen, authentischen Sprache gefeiert wurde zum absoluten Antisemiten und Nazi-Kollaborateur entwickelt hat. In "Reise ans Ende der Nacht" findet sich davon überhaupt nichts, und scheinbar hat er sich danach erst radikalisiert (Parallelen zu Akif Pirincci fallen mir da sofort ein). Sein Erstlingswerk wurde wohl so gefeiert, dass die Leute bei seinen Hass-Pamphleten gegen die Juden wohl erst dachten, dass das alles Satire wäre.
Trotzdem eine Empfehlung von mir solange man so eine ekelhafte Entwicklung ausblenden kann oder es so halten kann wie ich - der Mensch hinter der Kunst ist mir bis auf Extremfälle egal, solange seine Ideologie (oder Idiotie) etc. nicht mit in die Kunst einfließt, aber das kann natürlich jeder so halten wie er will. Schwieriges Thema einfach, das mich oft sehr beschäftigt.
 

Puni

Well-Known Member
Ich hab echt "nur" einen Antikriegsroman à la Im Westen nichts Neues erwartet und dafür eine Gesellschaftsstudie "von unten" bekommen die wirklich großartig war. Umso bitterer, zu was für einem Arschloch sich der Autor dann ein paar Jahre später entwickelt hat.
 

Tyler Durden

Weltraumaffe
Teammitglied
Timothy Holme - Venezianisches Begräbnis

Ein Krimi über einen neapolitanischen Polizisten, der in einem Mordfall in Venedig ermitteln muss.

Begeistert bin ich nicht. Zum Einen ist der Fall nicht besonders interessant, zum Anderen ist das Buch voller Klischees und Stereotypen. Zudem werden auch noch andauernd italienische Begriffe eingestreut, was schon nach kurzer Zeit nervt und auch wenig Sinn macht, da die Figuren theoretisch italienisch miteinander sprechen. Wieso werden dann einzelne Wörter quasi "unübersetzt" gelassen? Und ich muss nicht in jedem Absatz solche kursiv hervorgehobenen Begriffe lesen, um daran erinnert zu werden, dass es in Italien spielt.
Der Ermittler löst den Fall nicht durch Beweise, Indizien oder Logik, sondern eher durch plötzliche Eingebungen, genauso wie seine Kollegin namens Michelangelo. Die Auflösung und das Motiv des Täters sind höchst unglaubhaft und an den Haaren herbeigezogen.
Etwas rätselhaft ist diese Passage: "Eine Fliege saß auf Peronis Schreibtisch. Es war eine verschlagen aussehende Fliege, und ihre Augen huschten zwischen dem Commissario und dem affengesichtigen Gondoliere, der eben zur Vernehmung hereingeführt worden war, hin und her, als wollte sie zwischen ihnen als Schiedsrichterin fungieren."
Ich wusste nicht, dass die Fliegen in Italien verschlagen aussehen und ihre Facettenaugen bewegen können.
Ist schon ziemlich trashig, leider nicht auf die unterhaltsame Art.
War zum Glück nur eine Gratis-Beigabe zu einem anderen Buch, sonst hätte ich den Kauf bereut.

Stephen Graham Jones - Die Nacht der Schaufensterpuppen

Ein misslungener Streich mit einer Schaufensterpuppe löst eine Reihe von Todesfällen aus.

Die Novelle entwickelt sich ganz anders als ich es erwartet hatte. Sie ist gut geschrieben, ziemlich originell und mit dem schwarzen Humor auch unterhaltsam.

Da haben wir es wieder. Ein langer Text zu einem schlechten Buch und ein kurzer zu einem guten :biggrin:
 
Oben