Finde das hochgradig bedenklich.
Finde ich auch bedenklich, wenn ich auch die zugrundeliegende Problematik nicht von der Hand weisen würde.
Beim Schreiben habe ich mich Ähnliches auch schon gefragt. Ich interessiere mich ja sehr für Migration und Umgang mit Geflüchteten. Und wollte immer gerne ne Geschichte dazuschreiben. In jüngeren Jahren überlegte ich mir, eine Geschichte aus der Sicht eines Geflüchteten, der aus einem afrikanischen Land übers Mittelmeer nach Europa kommt, zu schreiben, der sich dann in einer Gesellschaft widerfindet, die ihren Wohlstand auf der Ausbeutung ärmerer Gesellschaften gebaut hat. Gleichzeitig habe ich mich dann aber auch gefragt, ist das nicht arrogant von mir, zu meinen, aus meinem gemütlichen Platz heraus die Perspektive so eines Menschen einnehmen zu können. Ich habe nie Hunger, nie radikale Armut, nie Lebensgefahr am eigenen Leib erlebt. Bin in einer anderen Kultur aufgewachsen etc. Irgendwann bin ich dann zum Schluss gekommen, dass ich einen anderen Ansatz finden muss, der mehr meinen realen Lebensumständen entspricht, um dem Thema gerecht zu werden.
Eine ähnliche Debatte schwabbte vor Monaten ja im Bezug auf Übersetzungen auf. Auslöser war die Frage, wer das Gedicht "The Hill we Climb" der Poetin Amanda Gorman übersetzen darf/soll. Zugrunde liegt die Frage, kann eine Mitglied der weissen Mehrheitsgesellschaft einen Text übersetzen, der explizit von den Empfindungen und Erfahrungen einer Person of Colour erzählt, die in einer rassistischen Gesellschaft aufgewachsen ist. Übersetzungen sind ja eh ein sehr spannendes Thema. Inwieweit kann eine Übersetzung überhaupt jemals wirklich einen Inhalt akkurat in eine andere Sprache transportieren, wieviel geht dabei verloren etc. (ploppt in meinem Kopf beim Lesen des Wortes "Baum" dasselbe mentale Bild auf, wie wenn ein Junge, in Senegal, das Wort in seiner Sprache liest?)
Und hier kommt halt noch ein weiterer Aspekt dazu. Darin steckt eben dieser Identitäre Gedanke, dass Angehörige einer Kultur irgendwie einen identischen Schatz an Erfahrungen oder einen identischen Zugang zu gewissen Dingen haben, und Nicht-Angehörige davon ausgeschlossen sind. Und zum Teil ist das vielleicht wahr, zum Teil aber nicht. Und es ist ja nie nur ein Aspekt. Es gibt den Aspekt des Rassismus, also Teil einer kulturellen, diskriminierten Minderheit zu sein, aber es gibt auch die "ökonomische Klasse" oder die Erfahrung, Kind in einem zerrütteten Elternhaus gewesen zu sein, oder eben Teil einer Gruppe von Menschen mit einer bestimmten Behinderung/Krankheit gewesen zu sein etc. etc. Und man wird ja nie alldem gerecht werden können. Dann kann man weiter diskutieren, welche Erfahrung muss man unbedingt selbst gemacht haben, um sich wirklich in sie reinversetzen zu können etc.
Bei Schauspielern kommt natürlich dazu, dass wir ja gerade ein faszinierender Aspekt im Schauspielerischen liegt, sich in andere Rollen zu versetzen und womöglich ist das ja gerade auch wertvoll für die Rolle.
Andererseits ist da noch das Thema der Repräsentation. Ich glaube, es kann es eben schon auch Sinn machen, wenigstens zu versuchen, bestimmte Rollen von Menschen spielen oder Bücher von Menschen mit einem bestimmten Background übersetzen zu lassen, nicht nur aus der Idee, diese können das durch ihre Zugehörigkeit besser machen, sondern auch einfach um dieser Gruppe Repräsentation zu verschaffen. Ich finde ja die Studien über die Repräsentation von Frauen in Filmen immer eindrücklich, wo dann herauskommt, wie dominant eben die männliche Repräsentation ist. Zitat aus einem
Zeit-Artikel zu einer neueren Studie, wo es also schon deutlich besser um die Repräsentation weiblicher Figuren stehen müsste:
Es gibt nach wie vor doppelt so viele männliche wie weibliche Rollen. Nur etwas mehr als ein Drittel (36 Prozent) der Charaktere sind Frauen. Frauen sind viermal häufiger in freizügiger Kleidung zu sehen als Männer und doppelt so oft halb nackt oder ganz unbekleidet. Auch den sogenannten male gaze, den männlichen Blick, bestätigen die Ergebnisse der Studie. In 15 Prozent der Filme gibt es Einstellungen, in denen die Kamera langsam über Frauenkörper schwenkt. Männerkörper werden nur in 4 Prozent der Filme so abgebildet. Der Redeanteil männlicher Figuren ist mit 67 Prozent doppelt so hoch wie der Redeanteil der Frauenfiguren (33 Prozent), außerdem werden Männer häufiger als Führungspersönlichkeiten dargestellt (42 Prozent im Vergleich zu 27 Prozent unter den Frauen). Nehmen Frauen Führungsrollen ein, werden sie dabei ebenfalls häufiger mit aufreizender Kleidung, halb nackt oder nackt dargestellt als ihre männlichen Äquivalente. Im Gegenzug werden Frauen in Führungspositionen als härter arbeitend (83 Prozent zu 73 Prozent) und deutlich intelligenter (81 Prozent im Vergleich zu 62 Prozent) als ihre männlichen Kollegen dargestellt.
Und ich glaube, es ist schon für viele, nicht nur Frauen wichtig, zu sehen, dass sie und "ihre Gruppe, der sie sich zugehörig fühlen" repräsentiert werden. Und zwar überall. In der Politik, in der Wirtschaft und eben in der Kultur und so auch im Film. Sei das bei Homosexuellen, bei Menschen mit Behinderung, kulturellen Gruppen etc. Und das geht halt manchmal auch nur über einen gewissen Zwang. Denn in der Regel sind das Gruppen, die oft einer Minderheit angehörig sind und/oder Nachteile dabei haben, in solche Positionen zu gelangen. Gerade anfangs, wenn es noch fast keine solche Repräsentation gibt. Da muss halt "nachgeholfen" werden, um insbesondere auch behindernde, etablierte Strukturen aufzubrechen.
Andererseits, seien wir ehrlich, weder Amazon, noch Disney machen sowas für das Gemeinwohl, sondern weil sie sich dadurch Profitmaximierung erhoffen, in dem sie einem Trend folgen oder einen Trend schaffen.
Wir werden wohl noch ganz oft über diese Themen hier diskutieren und ich plädiere bloss dafür, auch wenn es manchmal überbordet, oder erzwungen erscheint, dass Rollen mit jemandem aus der Gruppe XY besetzt werden - und das auch nicht immer gleich gut funktioniert - nicht immer gleich ne Abwehrhaltung einzunehmen im Sinne von "ist doch wieder alles nur political correctness und wokeness und bla bla bla".
Man kann immer diskutieren, wie sinnvoll eine Besetzung im Fall xy ist oder nicht, ob eine Art politische Korrektheit gerade auf Kosten künstlerischer Integrität geht etc. bzw. dem Stoff und seiner Umsetzung nun gut oder nicht - und auch zurecht.
Es gibt eben kein schwarz/weiss.
So, ich hab mich jetzt in Rage geschrieben. Hoffe, es ist noch nachvollziehbar, sorry