Filmfestivaltagebuch (aktuell: 18. Zürich Filmfestival)

Presko

Well-Known Member
Vielen Dank für deine Eindrücke, @Presko. Du besprichst hier echt innerhalb einer Woche mehr Filme, als das ganze Forum in einem Jahr. :thumbsup:
Freut mich, wenns ein paar Leute auch was damit anfangen können. Für mich ist's super, sonst wäre die Gefahr schon recht gross, dass die einzelnen Filme in der Masse relativ schnell wieder verschwinden würden.

Er hat in einer Woche auch einfach mal mehr Filme geguckt, als ich in einem Jahr konsumiert bekomme. :ugly:
Ja Du, die zehn Tage müssen dann ja auch fast für ein Jahr reichen. So oft gehe ich ja sonst auch nicht mehr ins Kino.:biggrin:

Mal schauen, zu ein paar Filmen möchte ich noch was schreiben, aber besonders viel kommt dieses Jahr nicht mehr:hae:
 

Presko

Well-Known Member
Ich biege auf die Zielgerade ein. Mit einem selbstkritischen Blick auf die schweizer Aussenpolitik während des Zweiten Weltkriegs. Einem Thrillerdrama aus Spanien, das gekonnt mit der Erwartungshaltung des Publikums spielt. Und schliesslich noch einem Drama aus Marokko, der die Liebe in all ihren Facetten feiert.


DER BLAUE KAFTAN

Der schönste Liebesfilm des diesjährigen ZFF's würd ich dieses marokkanische Drama von Regisseurin Maryam Touzani nennen.

Sie erzählt dabei von dem traditionellen Schneider Halim und seiner Frau Mina, die gemeinsam in einer marokkanischen Altstadt ihr Geschäft führen. Halim stellt dort zeremonielle Kaftane in traditioneller Handarbeit her. Dabei weigert er sich standhaft, maschinelle Hilfsmittel einzusetzen, auch wenn seine Kundinnen sich immer wieder beschweren, weil die Arbeit an ihren Gewändern jeweils so lange dauert. Während Mina eine starke, eher resolute, aber auch lebensfrohe Frau ist, zeichnet Halim eine grosse Ruhe und Introvertiertheit aus.

Mina bleibt nicht verborgen, dass sich ihr Mann zu ihrem jungen Gehilfen Youssef hingezogen fühlt, was in ihr feindselige Gefühle gegenüber dem jungen Mann weckt. Gleichsam versucht sie im Kleinen ihrer Ehe neues Leben einzuhauchen. Doch dann erkrankt Mina schwer und ist bald nicht mehr in der Lage ihre Wohnung zu verlassen. Während sich Halim aufopferungsvoll um seine Frau kümmert, sehnt er sich gleichsam nach Youssef's Nähe.

Was mir an LE BLEU DU CAFTAN besonders gefallen hat, ist diese ganz besondere würdevolle Figurenzeichnung, die ihm zu eigen ist und dem Film ein besonders Flair verleiht. Insbesondere in den Szenen zwischen Halim und Mina gelingen der Regisseurin wunderbare Momente intimer Vertrautheit. Nicht ganz so gelungen fand ich die Inszenierung von Halims homosexuellem Begehren. Hier werden zu oft allzu vertraute Bilder benutzt und auch die Darstellung wirkt ein wenig prüde. Auch Youssef bleibt als Figur leider zu blass.
Was den Film allerdings besonders auszeichnet ist die Tatsache, dass er die beiden Beziehungen, also die Liebe Halim's zu seiner Ehefrau und seine Liebe zu Youssef nicht gegeneinander ausspielt. Dass Halim homosexuell ist, bedeutet nicht, dass seine Liebe zu Mina nicht aufrichtig und tief empfunden ist, was der Film in vielen ergreifenden Szenen darstellt. Insofern ist LE BLEU DU CAFTAN eben ein sehr wahrhaftiger Film über die Liebe in all ihren Facetten.

8/10



AS BESTAS (THE BEASTS)

AS BESTAS ist ein stark gespieltes Thrillerdrama-Kleinod aus Spanien, das sich viel Zeit nimmt, Spannung aufzubauen, um dann die Erwartungen des Publikums gekonnt zu unterlaufen.

Das französische Ehepaar Vincent und Olaga haben sich in einem kleinen Dorf in Galicien Land gekauft um dort biologischen Landbau zu betreiben und die Ruinen alter Landhäuser für Tourist:innen wieder zu renovieren. Von einigen Einheimischen, insbesondere ihren Nachbarn, wird das Ehepaar angefeindet. Den Dorfbewohnern liegt nämlich das Angebot einer grossen Firma vor, das ihnen ihr Land abkaufen will, um dort Weinen Windpark zu errichten. Für viele der Bewohner:innen, die im Dorf am Rande zur Armut leben, eine grosse Chance auf eine Verbesserung des Lebensstandards. Doch dafür müssten alle dem Verkauf zustimmen, und eben gerade das neu zugezogene Ehepaar aus Frankreich, weigert sich dies zu tun. Im weiteren Verlauf nehmen die Spannungen zwischen Vincent und seinen Nachbarn immer weiter zu. Doch Vincent ist nicht bereit, einzulenken.

Es ist weniger der Plot der überraschend verläuft, als mehr die Tatsache, wie Regisseur Rodrigo Sorogoyen geschickt mit dem Spannungsaufbau hantiert und immer wieder Erwartungen weckt, mal erfüllt und dann eben wieder bewusst unterläuft. Das funktioniert eben auch, weil wir es hier nicht mit einem klischeehaften Genrefilm zu tun haben, sondern mit einem sehr realistischen Porträt eines innergesellschaftlichen Konfliktes, in dem alle Figuren gleichsam ernst genommen werden und ihre Handlungen weitestgehend nachvollziehbar dargestellt werden. Das ganze ist zudem verdammt gut gespielt und schön bebildert.

7.5/10



A FORGOTTEN MAN

A FORGOTTEN MAN war der einzige Schweizer Film, den ich am Festival gesehen habe. Thematisch fand ich den Ansatz schon mal hochinteressant. Der Film spielt im Mai 1945 nach der Kapitulation der Nazi's. Der Schweizer Botschafter in Berlin, Heinrich Zwygart, kehrt in die Heimat in sein Familienanwesen zurück. In Berlin musste Zwygart so manchen schwierigen Kompromiss mit den Nazi's eingehen, um die Interessen seiner Regierung zu vertreten. Zurück in der Heimat wird er von seiner Familie liebevoll empfangen. Nur sein Vater, ein alter Militär, steht ihm und seinem politischen Wirken mit Skepsis gegenüber. Zwygart plant bereits seine politische Zukunft in der Schweiz und erwägt eine Bundesratskandidatur. Doch dann kommt es anders als erwartet. Denn mit dem Sieg der Alliierten hat sich auch an der politischen Ausrichtung der Schweiz einiges geändert, und nun gilt es, sich nach aussen hin als treue Verbündete der Alliierten zu verkaufen. Und in diesem Bild hat der ehemalige Botschafter in Berlin keinen Platz mehr.

Gleichsam wird Zwygart zurück zu Hause von Visionen eines jungen Mannes verfolgt. Diese haben ebenfalls mit seiner Zeit in Berlin zu tun und einer Schuld, die er sich da aufgeladen hat.

Der in schwarz-weiss gedrehte Schweizer Film wurde von einem älteren Theaterstück namens „Der Gesandte“ inspiriert und den Theaterbezug merkt man dem Film durchaus auch an. So beschränkt sich der Handlungsort weitestgehend auf das Familienanwesen der Zwygart's. Hauptdarsteller Michael Neuenschwander macht seine Sache gut und bringt sowohl die selbstbewusste, eitle Seite seines Botschafters, als auch dessen Zweifel und moralische Zerrissenheit gut rüber. Mit den Dialogen ist es wie so oft in Schweizer Filmen, und sind in ihrer Qualität recht schwankend. Es gibt aber ein paar richtig starke Momente, gerade auch wenn Zwygart seine ehrliche Meinung über die Schweizer Politik während des 2. Weltkriegs zum Besten gibt oder von seiner Begegnung mit Adolf Hitler erzählt und dabei gegenüber einem begeisterten Hitler-Fan deutlich macht, wie eigentlich armselig ihm damals der Führer in Wahrheit erschienen ist.

Und so ist der Film auch genau dann am stärksten, wenn er diese kritische Perspektive auf die Schweizer Politik von damals in den Fokus rückt. Weniger interessant hingegen ist der Versuch, Zwygart's Schuldgefühle mit den filmischen Mitteln des Grusel- und Mysterygenres filmisch aufzubereiten. Da wirds dann auf plumpe Weise effekthascherisch, ohne damit eine grosse Wirkung zu entfalten, oder dem Film inhaltlich einen Mehrwert zu verleihen.

6.5/10
 

Presko

Well-Known Member
So, und jetzt noch die letzten beiden Filme, bevor ich das Forum dann für ein Jahr lang wieder mit meinen Festivalerfahrungen in Ruhe lasse:clap:
Ein Blick zurück nach England zur Zeit der konservativen Thatcher-Regierung und wie sich deren Politik auf das Leben von Homosexuellen ausgewirkt hat. Dann noch ein visuell wunderschöner Dokumentarfilm über die Verfolgung der Falun Gong - Anhänger:innen in China.

BLUE JEAN

Das englische Drama der Regisseurin Georgia Oakley spielt im Nordengland Ende der 80er Jahre während der Thatcher-Regierungszeit. Die Regierung hat gerade ein Gesetz verabschiedet, das Homosexuelle schwer stigmatisiert. Davon betroffen ist auch Jean, eine junge Sportlehrerin, die eine lesbische Liebesbeziehung führt. Während sie im Privaten einen relativ offenen Umgang mit ihrer Homosexualität lebt, hält sie diese Seite von sich bei der Arbeit weiterhin versteckt. Durch das neue Gesetz könnte ihr nun sogar der Jobverlust drohen, würde es ans Licht kommen.
Noch schwieriger wird für Jean die Lage, als sich eine ihrer Schülerinnen als homosexuell zu erkennen gibt und schliesslich auch in eben jener Lesbenbar auftaucht, wo auch Jean mit ihren Freundinnen rumzuhängen pflegt..

Oakley zeichnet mit eher kühlen Bildern ein authentisches Bild der 80er Jahre und insbesondere auch der damaligen Homosexuellenszene. Das Spannungsfeld, in dem sich Jean befindet, ist für das Publikum stets nachvollziehbar, ob man mit ihren späteren Entscheidungen nun immer einverstanden ist oder nicht. Möglich wäre das nicht ohne die Hauptdarstellerin, Rosy McEwen, welche mit einer ebenfalls auf den ersten Blick eher kühlen Darstellung eine äusserst vielschichtige Darbietung gibt. Stärke, Distanziertheit gehen Hand in Hand mit Verletzlichkeit und dem Bedürfnis nach Nähe und Liebe. Dabei verzichten Oakle und McEwen auf unnötige Dramatisierungen. Die Spannung brodelt stets unter der Oberfläche und natürlich kommt es immer wieder zu kleineren Erosionen, doch die grosse emotionale Katharsis, die man vom Hollywoodkino gewöhnt ist, versagen sie dem Publikum.

8/10



Eternal Spring

Und zuletzt noch ein paar Worte zu dem insbesondere stilistisch überragenden Dokumentarfilm ETERNAL SPRING vom kanadischen Regisseur Jason Loftus.

Der Film handelt von der Verfolgung der spirituellen Gruppierung Falun Gong in China. Dabei konzentriert er sich insbesondere auf eine Gruppe, der es im März 2002 gelungen ist, das chinesische Staatsfernsehen zu hacken, und für einen kurzen Zeitraum ihre der chinesichen Regierung gegensätzlichen Perspektive auf die Bewegung Falun Gong in die chinesischen Haushalte zu senden. Die Folge dieser Aktion war eine noch heftigere Verfolgungswelle, welche viele Verhaftungen sowie eine grosse Flüchtlingswelle von Falun Gong-Anhänger:innen nach sich zog. Einer der Geflüchteten ist der Comic-Künstler Daxion, der mittels der Animation die Geschichte von Geflüchteten dokumentiert. Mit ihm zusammen hat Jason Loftus nun die Geschichte der Gruppe, welche hinter der Aktion vom März 2002 steckte, in einen zu grossen Teilen animierten Dokumentarfilm verwandelt.

Insbesondere visuell ist das fantastisch umgesetzt und holt einen sofort ab. Die Bilder von Daxion transportieren Gefühle und Atmosphäre auf eine ganz eigene Art und Weise.

Weniger gut gefallen hat mir der Ansatz des Films, sich mehrheitlich auf die Aktion vom März 2002 und ihre Folgen zu fokussieren. Über viele Minuten hinweg erzählt der Film einfach nach, wie sich diese Gruppe von Menschen gefunden hat, wie sie die Aktion planten und schliesslich durchführten. Das ist allerdings nur leidlich spannend und durch den engen Fokus auch irgendwie als Dokumentarfilm wenig ergiebig. Über die Bewegung selbst, ihren Stand in der chinesischen Gesellschaft, das Funktionieren des repressiven Apaarates und die Menschen erfahren wir wenig. Dass das chinesische System repressiv ist, bei seiner Verfolgung brutal vorgeht, dürfte dem Publikum schon vor dem Film bekannt gewesen sein, weswegen auch das Nacherzählen brutaler Verhörmethoden nur wenig Mehrwert bietet.

Ein paar Mal erwähnt Daxion, dass er selbst anfangs den Aktivisten vom März 2002 kritisch gegenübergestanden habe, weil er sie für die folgende Verfolgungswelle, wegen der er und viele andere fliehen mussten, zumindest mitverantwortlich machte. Dieser äusserst spannenden ethischen Frage geht der Film allerdings leider auch nicht näher nach.

Am stärksten ist der Film dann, wenn er sich mit der inneren Zerrissenheit der Exilanten auseinandersetzt, welche darunter leiden, nicht mehr im Heimatland leben zu können. Die schönste Szene zeigt, wie Daxion einem Exilianten seine Zeichnungen von seiner Heimatstadt zeigt und beim Betrachten in beiden Männern Erinnerungen an früher wieder wach werden.

7/10

 

Noermel

Well-Known Member
Bei TTT kam gerade ein Bericht über Girl Gang schade dass du den nicht gesehen bzw bewerten konntest.

 
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