Ich finde das Thema "Green Book" doch recht spannend. Als ich damals den Trailer sah, dachte ich: "Fade Tragikomödie a la Hollywood". Als ich den Film sah, war ich positiv überrascht. Die Figuren und die Dramaturgie holten mich ab und ich ging positiv gerührt aus dem Kino. Und das "Green Book" als solches fand ich wahnsinnig spannend. Und dann las ich von den Oscar-Nominationen. Bester Film, Bestes Drehbuch. Beides wirkte auf mich nicht ganz nachvollziehbar. Der Film war besser als gedacht, berührte mich, ich fand ihn gut, aber der beste Film des Jahres? Never. Bestes Drehbuch? Gehts noch? Von der Story her klassische Hollywood-Dramaturgie!. Von den teilweise erheblich negativen Kritiken und Kommentaren war ich dann aber nicht weniger überrascht als von den Nominationen selbst. Ein rassistischer Film? Was heisst das denn für mich, der den Film mochte?
Ich habe viel darüber nachgedacht, auch Joels Argumentation hat mir einige Denkansätze geboten und inzwischen bin ich zum folgenden Schluss gekommen. Am Film kann man einiges kritisieren.
White-Saviour-Syndrom? Von mir aus. Wobei ich das gar nicht mal so extrem finde. Ich denke, beide Figuren bekommen ähnlich viel Raum.
Rassismus scheint nur in den Südstaaten zu existieren- Der Film konzentriert sich definitiv darauf und macht es sich damit sicherlich einfach.
Am Anfang mag Viggo Mortensen Gläser, die Schwarze anfassten kaum berühren - am Ende lädt er den Schwarzen zu sich zum Weihnachtsessen ein und alles ist palletti. ich finde die Entwicklung von Mortensens Figur gar nicht so schlecht dargestellt. Am Anfang des Films hatte er keinen Kontakt zu farbigen Personen. Danach hat er Stunden um Stunden mit einem Schwarzen zusammen in einem Auto verbracht und erlebte hautnah wie dieser trotz seiner Genialität ausgegrenzt wird. Das veränderte ihn. Ich finde, das ist durchaus nachvollziehbar. Weniger nachvollziehbar ist, dass auch sein ganzes Umfeld mit ihm den Rassismus und Vorurteile innerhalb weniger Sekunden ablegt.
- Der Film, der vorgibt, auf einer wahren Geschichte zu beruhen, erzählt eine ziemlich unwahre Geschichte: Das ist doch nichts Neues! Lest mal die Hintergründe von "In the Name of the Father" durch. Grandioser Film. Hat aber kaum was, mit den realen Hintergründen zu tun, auf die er sich beruft.
- Eine der interessantesten Kritikpunkte las ich in einer Kritik. Don Shirley wird ja als Aussenseiter gegenüber allen portraitiert. Auch unter der Black-Community. Die "Weissen" akzeptieren ihn nicht, weil er schwarz ist, die "Schwarzen" akzeptieren ihn nicht, weil er zu gebildet ist. Äh, Moment mal, er ist zu gebildet? Tatsächlich scheint der Film davon auszugehen, dass anno dazumals die "Black Community" schwarze Personen ausstiess, wenn diese höher gebildet waren, wie Don Shirley. Höhere Bildung und "Schwarz-Sein" habe sich ausgeschlossen, so die implizite These. Und das ist für mich das grösste Problem der Story, jetzt, wo ich auf diesen Punkt aufmerksam gemacht wurde.
Trotzdem, ist der Film als Film schlecht? Nein, wirklich nicht. Ich glaube, das Problem vieler liegt eher darin, dass ein Film, der so wenig zum besten Film des Jahres taugt, eben gerade als solcher von einer mehrheitlich weissen Jury erkoren wird. Eine mehrheitlich weisse Jury, ein mehrheitlich weisses Filmteam - feiern sich als Gruppe, die ein bedeutendes Zeichen gegen Rassismus und für Versöhnung gesetzt haben, ohne selbst davon betroffen zu sein, Rassismus erlebt zu haben. Ich glaube, das ist es, was die Wogen so hoch schlagen lässt Denn seien wir ehrlich, Green Book ist ein schöner Film, aber der Beste des Jahres 2019? Nun wirklich nicht.