BG Kritik: „Green Book – Eine besondere Freundschaft“
Die wahre Geschichte von Tony Vallelonga (Viggo Mortensen), einem italienisch-amerikanischen Restaurantrausschmeißer, der zum Fahrer für den afroamerikanischen Pianisten Don Shirley (Mahershala Ali) wird, als dieser eine Tour durch die Südstaaten der USA macht. Es sind die 1960er Jahre und offener Rassismus ist an der Tagesordnung. So reisen Vallelonga und Shirley mit dem Green Book, einer Art Reiseführer, der Hotels listet, in denen Schwarze als Gäste erlaubt sind.
Green Book: Eine besondere Freundschaft (USA 2018)
Originaltitel: Green Book
Regie: Peter Farrelly
Darsteller: Viggo Mortensen, Mahershala Ali
Kinostart: 31. Januar 2019
Kritik:
Der Oscar Gewinner 2019 als Bester Film.
„Green Book“ hat ein großes Problem: Der Film von „Dumm und Dümmer“ Regisseur (ja, wirklich) Peter Farelly möchte eine optimistische und überwiegend leichte Gute-Laune-Geschichte sein, doch sämtliche Begleitumstände und inhaltliche Parameter sind überaus kompliziert. Zum Beispiel: Wie leicht kann bzw. darf ein Film überhaupt sein, der dann letztendlich doch ein Kommentar über Rassismus und zur Stellung der schwarzen Bevölkerung in den USA ist – und sei es nur am Beispiel zweier Individuen? Diese beiden Individuen sind zudem reale Figuren; Tony Vallelonga und Don Shirley haben tatsächlich gelebt und der Geschichte dieses Films ähnliche Dinge erlebt. Somit trägt „Green Book“ direkt eine biographische Respekts- und Authentizitätsbringschuld mit sich, auch wenn bekanntlich nicht jede Lebensgeschichte für eine Filmdramaturgie geeignet ist. Diese Bringschuld hat der Film, zumindest nach Ansicht der Angehörigen einer Seite, nicht oder nicht zufriedenstellend erfüllt. Erklären lässt sich das vielleicht dadurch, dass Angehörige der „anderen Seite“, in Gestalt von Tony Vallelongas Sohn Nick, für das Drehbuch und die Produktion (mit-)verantwortlich sind. Derselbe Nick Vallelonga, der im Zuge des 11. Septembers mit islamophobischen Äußerungen auffiel. Und einer der beiden Hauptdarsteller, Oscargewinner Mahershala Ali, ist übrigens praktizierender Muslim.
All diese Störgeräusche und Nebenschauplätze sind für die meisten Kinogänger womöglich weder bekannt noch auf den ersten Blick wichtig. Wer sucht, der findet bei vielen berühmten, beliebten und gefeierten Filmen unangenehme Begleitumstände. Einem Film wie „Green Book“, der eine lebensbejahende und Grenzen überwindende Toleranz- und Freundschaftsgeschichte erzählen will, stehen diese Hintergründe zwar besonders schlecht, doch für sich genommen ist nur zu leicht zu erkennen, warum der Film seit seiner Premiere auf dem Filmfestival in Toronto gleich mehrere Publikumspreise gewann und zu einem ordentlichen Kinoerfolg wurde. Man mag der gesamten Sache Kalkül vorwerfen, doch ähnlich wie „Hidden Figures: Unbekannte Heldinnen“ über drei (reale) afroamerikanische Wissenschaftlerinnen, die bei NASA maßgeblich an der ersten Mondmission beteiligt waren, ist „Green Book“ eine auf den ersten Blick leichtfüßige und sympathische Angelegenheit, getragen insbesondere von einem tollen Hauptdarstellerduo.
„Aragorn“ Viggo Mortensen demonstriert als Tony Vallelonga alias Tony Lip eine Wandlungsfähigkeit, die einen Christian Bale beeindrucken dürfte. Die Vallelongas kennen zwar praktisch jeden Italiener in New York und Tony könnte, wenn er es drauf anlegt, irgendwo beruflich unterkommen, doch er ist sich auch nicht zu schade, für 50 Dollar spontan bei einem Hotdog Wettessen mitzumachen. Denn Tony ist nicht unbedingt als Vieldenker bekannt, eher als Plappermaul das viel gestikuliert und noch mehr isst. Nicht auf den Mund gefallen, ist Vallelongas Selbstbewusstsein auch regelmäßig Grund für Probleme. Dieser „offensive“ Kerl trifft nun auf Mahershala Alis Dr. Don Shurley, einem vermeintlich elitären Musiker, der viele Jahre in Europa verbracht hat und der in seiner expressiv dekorierten Wohnung über der Carnegie Hall wie ein kleiner König in Isolation lebt. Mit Vallelonga und Shurley prallen komplett konträre Welten aufeinander. Und wie in jeder Buddy-Komödie prallen diese Welten so stark aufeinander, dass sie irgendwann zerbröseln, dabei Gemeinsamkeiten und versteckte Narben offenbaren. Dass diese zweimonatige Tour durch die Südstaaten der USA aus beiden Männern Freunde macht, steht von Beginn an fest.
Ohne den brachialen und zuweilen ekligen Humor seiner vergangenen Erfolgsfilme anzuschlagen, fühlt sich Regisseur Peter Farrelly dennoch immer dann besonders wohl, wenn er Tonys trockene „frei heraus“ Art gegen Shirleys in sich gekehrte Defensive ausspielen kann. So ergeben sich durch die blendend harmonierenden Mortensen und Ali einige wirklich unterhaltsame Momente und Dialogsituationen. Denn ja, es ist sympathisch, wenn Härte weicht und sich zwei Menschen einander öffnen und unterstützen, wenn diese beiden Männer über Essen, Musik oder geschriebene Briefe voneinander lernen und daran wachsen. Das Argument, gesellschaftlicher Wandel fange beim Einzelnen an, ist kein schlechtes. Doch irgendwann überwiegen die Zweifel und machen den Weg frei für ein ungutes Gefühl, dass diese Leichtigkeit fehl am Platz ist. So entgeht Shirley nur knapp einem gewaltsamen Mob mit Tötungsabsicht. Aber Schwamm drüber, der nächste pointierte Dialog lässt schon wieder vergessen, wo wir gerade noch waren.
Das titelgebende Green Book ist übrigens eine Art Reiseführer für Schwarze, eine Auflistung von Hotels und Gaststätten im amerikanischen Süden, in denen Afroamerikaner erwünscht bzw. erlaubt sind. Denn Rassentrennung findet noch immer statt. So offenbart „Green Book“ in einem Moment noch recht gekonnt die absurde Logik der weißen Gastgeber auf Shirleys Tour und zeigt mehr als ein Konzerthaus und Restaurant als ehemaliges Plantagenhaus. Doch „Green Book“ hat nicht den Mut und nicht die Absicht, die finsteren Passagen seiner Geschichte (und seiner Figuren) wirklich zu erforschen. So wird empörender Segregationsrassismus als kruder Slapstick präsentiert, als lästiges Hindernis auf dem Weg zu einem entspannten Abend. Ursprünge und Folgen dieses Rassismus? Gibt es bestimmt, nur nicht wirklich in diesem Film, der es sich auf dem Weg zur Zielgeraden besonders einfach macht und eine fatale Naivität offenbart. Ob so gedacht oder nicht, die Implikationen des Schlussaktes schaden dem Film und machen das verkitschte Ende zu einem undefinierbaren Ungetüm; es fleht uns an, mitzufühlen, unser Herz zu öffnen und zu schmachten, während uns gleichzeitig Übelkeit überkommt. Es ist ein schlecht kopiertes John Hughes Ende, irgendwo zwischen „Ein Ticket für zwei“ und „Kevin allein zu Haus“, aber definitiv im falschen Film untergebracht.
Fazit:
Eigentlich recht sympathisch und unterhaltsam, mit einem tollen Darstellerduo. Doch auch wenn nicht jede Geschichte über Rassismus, ob nach realen Begebenheiten oder nicht, ein tristes Sozialdrama oder ein galliger Schrei nach Gerechtigkeit sein muss, macht es sich „Green Book“ doch mitunter viel zu einfach und bringt sich um seine eigenen Möglichkeiten.
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