Evincar, da muss man doch gezwungener Maßen laut lachen sobald man deinen Post zwei Reihen unter dem Artikel der Zeit liest. Dass du deinen Absatz dann auch noch mit, 'die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo in der Mitte' abschließt, ist wohl der spaßige Höhepunkt.
Denn genau dort liegt die Wahrheit nicht. Das ist genau die Art der Relativierung, die so gefährlich ist. Du schreibst in deinem Post, dass Putin ja jede Menge Gründe hat, so zu handeln wie er es tut, beziehungsweise du projizierst sogar noch deutlich tiefgründigere Ideen hinter sein handeln, die uns nicht bekannt sind. Soweit, so gut. Dass Russland Geopolitische Interessen in der Ukraine hat, ist allgemein bekannt. Dass Russland ein internationales Geltungsbewusstsein hat, welches in dem Maße seit Ende der Sowjetunion nicht angemessen repräsentiert wird, kann man anerkennen. All die Gründe die man finden kann, für Russlands handeln, reichen aber nicht aus um eins zu relativieren: Es ist illegal. Und nicht 'das mag nicht ganz legal sein'. Es ist illegal. Wir reden hier nicht nur von kleinen Völkerrechtsbrüchen wie die Proliferation von Kleinwaffen an Separatisten. Wir reden hier vom massivsten Völkerrechtsbruch den ein Staat gegenüber einem anderen souveränen Staat begehen kann, ein Angriffskrieg. Auch wenn Russland diesen niemals formal erklärt oder mobil gemacht hat, ist es genau dies, ein Angriffskrieg. Die Gründe, mit denen Russlands handeln immer und immer wieder relativiert wird, geben ihnen keinen legitimen Causus Belli. Keine Caroline Kriterien, kein Recht zur präemptiven Selbstverteidigung. Russland übt sich hier im Neo-Imperialismus, der gewaltsamen Aneignung von Territorium und dem ausweiten ihres Kontrollbereichs auf Kosten anderer souveräner Staaten. Ganz abgesehen von all dem humanitären Leid, welches Putins handeln verursacht.
Wir sind die erste Generation, die weder die Weltkriege noch den Kalten Krieg bewusst miterlebt hat. Vielleicht sind wir deswegen so locker dabei, wenn die mühsam aufgebauten und ratifizierten Völkerechtlichen Verträge nach und nach wieder aufgeweicht werden. Vielleicht sind wir deswegen so schnell dabei, die Handlungen eines Mannes zu relativieren, der wie sich wie in Vorzeiten der Vereinten Nationen Land aneignet wo er denn will. Es hat viel zu lange gedauert, die Anarchie aus der Internationalen Politik zu kriegen. Regeln aufzustellen, an die sich Länder halten können und mit denen sie das Handeln ihrer Nachbarn einschätzen können. Das Völkerrecht ist weit davon entfernt perfekt zu sein, vor allem in seiner Umsetzung. Dass die USA illegale Kriege geführt haben wie den Irak, dass die NATO illegale Kriege geführt hat wie den Einsatz im Kosovo, ist unbestritten, dass die USA zu oft nicht in der Lage sind, die Souveräntität anderer Staaten zu respektieren (Spionage / Venezuela / Jemen) ist leider korrekt. Aber nur weil sich ein Spieler nicht an die Regeln hält, darf man die illegalen Taten des nächsten nicht rechtfertigen. All das bringt Russland nicht in eine Lage, in der man einen Angriffskrieg rechtfertigen oder nachvollziehen kann, in der man als freier, denkender Mensch ein Handeln akzeptieren oder sogar befürworten sollte, welches so massiv die Grundfesten der internationalen Stabilität seit dem Zweiten Weltkrieg untergräbt. Russlands handeln ist gefährlich. Sehr, sehr gefährlich. Es demonstriert ein internationales Denken, in dem territoriale Ansprüche frei aus Geopolitischen Motiven konstruiert und mit Gewalt durchgesetzt werden dürfen. Internationale Politik im anarchistischen Naturzustand, frei von Regeln und nur durch die eigene militärische Stärke und die meiner Bündnispartner legitimiert. Das darf nicht mehr relativiert werden.