BG Kritik: „72 Stunden“

14. Juli 2011, Christian Mester

THE NEXT THREE DAYS (2011)
Regie: Paul Haggis
Cast: Russell Crowe, Elizabeth Banks

Story:
Zur falschen Zeit am falschen Fleck – weil Lara (Elizabeth Banks) eines Abends durch unglückliche Zufälle den Verdacht hinterlässt ihre Chefin im Affekt ermordet zu haben, droht der jungen Mutter, ihr weiteres Leben im Gefängnis verbringen zu müssen. Ihr Mann John (Russell Crowe) nutzt zunächst jede juristische Möglichkeit, der erdrückenden Beweislast zu trotzen, doch als alles nichts bringt, fasst er einen wagemutigen Plan. Der schüchterne Lehrer plant, seine Frau aus dem Gefängnis zu befreien….

Kritik:
Rasende Verzweiflung gehört zu den stärksten Empfindungen, die man haben kann. Verzweiflung bedeutet rastlose Not, Ausweglosigkeit, Todesangst, insbesondere dann, geht es um das Leben eines anderen. Intensiver noch, geht es um das Leben eines Freundes; intensiver noch, geht es um die Liebe des Lebens und die Mutter des gemeinsamen Kindes. Dass ein Mann also so weit gehen kann, über sich selbst hinaus zu wachsen, Gesetze zu brechen und seine Karriere, seine Existenz und sein Leben zu riskieren um seine Frau zu befreien, ist glaubhaft und nachvollziehbar.

Die ersten drei Viertel Paul Haggis‘ Films, der sich mit eben diesem Thema beschäftigt, haben nichts mit den titelgebenden ’nächsten drei Tagen‘, oder ’72 Stunden‘ zu tun. Es wird vielmehr zunächst gezeigt, wie der schüchterne Lehrer John den Entschluss zu seiner Tat fasst und sich langsam darauf vorbereitet. Obwohl die Figur von ‚Gladiator‘ Russell Crowe gespielt wird, ist sein John kein Rambo-Verschnitt, der sich mit Fitness-Training, Messer Schleifen und C4 Stapeln auf spaßigen Action-Overkill vorbereitet. Er ist auch kein abgebrühter Routinier ala Liam Neeson in „Taken – 96 Hours“, der nur zum Telefon greifen und die versteckten Waffen aus dem Schlafzimmer holen muss. John ist ein ahnungsloser und harmloser Familienvater wie aus ‚A Beautiful Mind‘, der ganz schnell merkt, dass sein Plan alles andere als leicht ist. Beim Versuch, an falsche Papiere zu kommen wird er schwer verletzt, bei seiner Spionage im Gefängnis fast erwischt und als er merkt, dass ihm für einen Neustart in einem fernen Land noch Geld fehlt, fängt er das Schwitzen an. Die Tatsache, dass John ein gewöhnlicher Bürger ist, der eigentlich schon mit Elternabenden, Einkaufen Gehen und dem Bowling-Abend mit seinen Freunden ausreichend ge- und überfordert ist, macht es hier umso interessanter, ihn bei seinen notwendigen Vorbereitungen zu beobachten. Nicht alles läuft glatt, und auch wenn man von Anfang an weiß, dass er seine Frau zum späteren Zeitpunkt zumindest aus dem Gefängnisgebäude befreit haben wird, bleibt es spannend, ihm beim Weg bis dahin zuzusehen.

Der schwach gewählte Filmtitel beschreibt nun den Teil des Films, in dem er sein Genre merklich wechselt: vom Drama wird er plötzlich zum Thriller, denn als John nur noch drei Tage übrig hat, bis seine Frau in ein meilenweit entferntes Hochsicherheitsgefängnis verlegt wird, beginnt das Vorhaben, sie so schnell wie möglich zu befreien. Die letzten 30 Minuten ziehen das Tempo mächtig an und es wird zum fesselnden Actionritt, wie die beiden versuchen, der alarmierten Polizei zu entrinnen. Auch dieser Part gelingt Haggis recht solide und vor allem so kurzweilig, dass man überhaupt nicht merkt, wie die langen 133 Minuten (in 2-D) vorbei fliegen. Die eigentliche Action des Films ist allerdings kein Spektakel; es gibt keine Schießereien, keine Explosionen, keine aufwendigen Crashs, keine Nahkämpfe und keine Leichenberge, da alles darauf ausgerichtet bleibt, dass John ein leicht übergewichtiger Lehrer ist und es schon Thrill genug sein soll, dass er Derartiges erlebt.

Dass es gut verkauft wird, ist Russell Crowe zu verdanken, der sich glaubhaft auf einen schüchternen Zivilisten reduziert und die für Actionfilm-Verhältnisse geringe, aber für Normalsterbliche erhebliche Action zu etwas Packendem macht. Durch sein sympathisches Auftreten fiebert man mit ihm und hofft, dass er seine nicht allzu legale Tat schafft. Ebenso gut ist Elizabeth Banks als seine Ehefrau, die verschiedene Gefühlstiefen durchmachen muss und als arrogante Geschäftsfrau, als liebende Kuschelmutter, als depressive Knastinsassin und mögliche Mörderin überzeugt. In kleiner Nebenrolle gibt es Liam Neeson zu sehen, der einmal mehr eine seiner berühmten Mentorenrolle einnimmt. Als ehemaliger Gefängnis-Ausbrecher tritt der Boss des A-Teams und der Ausbilder von Darth Vader, Batman und Vater von Perseus auf, um dem angehenden Gefängnis-Einbrecher hilfreiche Tipps zu geben. Er ist jedoch nur kurz zu sehen, kürzer als in „Chloe“, so kurz, dass man fast von einem Cameo sprechen kann. In kurzen, aber nicht weiter nennenswerten Nebenrollen finden sich noch bekannte Gesichter wie RZA, Brian Dennehy, Jonathan Tucker und Olivia Wilde, die jeweils nett, aber nicht weiter auffällig sind.

Haggis‘ Thriller ist bei aller Einbruchsfaszination nicht vor Schwächen gefeit. So wird zwar spannend mit der Frage gespielt, ob Lara ihren Mord überhaupt begangen hat oder nicht (es bleibt lange Zeit ungeklärt), doch Haggis versäumt es mehrfach, die Gefühle der beiden Hauptfiguren zu intensivieren. John zerfällt innerlich – er kann es nicht ertragen seine Frau leiden, sich selbst aufgeben zu sehen und – wie sein Sohn ohne Mutter aufwächst. Lara versucht sich das Leben zu nehmen, wird trotzig, versucht zu erreichen, dass sich John von ihr abwendet und ihr Leid nicht länger mit trägt, doch was in anderen Händen tief emotionales Kino hätte sein können, wird in Haggis Händen zu Wischiwaschi-Material. Darstellerisch ist es da. Crowe und Banks sind sehr gut, Haggis‘ Regie würdigt es nicht. Das Gleiche lässt sich über die Action im späteren Teil sagen, denn dafür, dass für die beiden alles auf dem Spiel steht, merkt man trotz guter solider Unterhaltung nicht, wie Johns Puls rast, wie die Luft knistert, wie sie Sekunden und Millimeter davor stehen, auf ewig im Gefängnis zu landen. Das, obwohl Haggis die letzten beiden Bond-Filme mitgeschrieben hat. Es gibt unnötige Pausen. So wird mitten in einer rasanten Fahrt angehalten und sich eine Minute draußen hingesetzt, bevor es weiter geht. Haggis will es im Rahmen eines charakterlichen Dramamomentes zwischen Ehefrau und -Mann nutzen, doch er schaltet seine Gänge falsch, inszeniert das Zwischenmenschliche neben der Kamera her, so dass es nicht trifft. Ganz besonders ärgerlich ist es, dass viele Spannungsmomente durch glückliche Filmzufälle gelöst werden – so erreichen Fahndungsbilder der beiden Flüchtlinge Behörden beispielsweise erst dann, nachdem sie sie passiert haben. Eine faule und schwache Weise Konflikte zu lösen, da man so das Gefühl hat, Filmglück, Gottes Hand oder die eines ahnungslosen Drehbuchautoren, der sich nichts Besseres hat einfallen lassen können, helfe Crowe und Co., obwohl sie eigentlich Figuren genug sind, etwaige Probleme eigenhändig lösen zu können.

Fazit:
Kompetent. Die 133 Minuten mit Russell Crowe sind unterhaltsam, gut und solide, da der Film überzeugend gespielt ist, interessant und gegen Ende spannend ausfällt. Schade ist nur, dass eine eher kraftlose Regie und unglücklich gewählte Zauberzufälle das Gesamtbild trügen. Kritische Zungen würden anmaßen, dass er sich nicht entscheiden kann, ob er nun ergreifend emotional oder spektakulär unterhaltsam sein will – das Ergebnis trifft sich oberflächlich in der Mitte.

6 / 10

Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

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