BG Schocktober Kritik: „Thirst – Durst“

28. Oktober 2020, Christian Westhus

Auch dieses Jahr wollen wir euch mit Horrortipps für den schaurigen Oktober nicht alleine lassen und bieten deshalb täglich einen neuen Beitrag aus unseren Horror-Archiven…und nicht immer muss es ein Tipp sein, sondern auch mal eine Warnung…

Durst
(Originaltitel: Bakjwi (박쥐) | Südkorea 2009)
Regie: Park Chan-wook
Darsteller: Song Kang-ho, Kim Ok-bin u.a.
Kinostart Deutschland: 15. Oktober 2009

Handlung:
Ein katholischer Priester (Song Kang-ho) infiziert sich mit dem Vampirvirus. Von seinen religiösen Grundprinzipien geleitet, vermag er nicht zu töten, obwohl er selbst nur durch Menschenblut überleben kann. Er sucht die Hilfe eines alten Freundes und dessen junger Frau, womit er eine gewaltige und blutige Welle lostritt…

(Diese Kritik erschien ursprünglich im Zuge des Fantasy Filmfests und wurde erstmalig im September 2009 veröffentlicht.)

Park Chan-Wook ist einer der interessantesten Regisseure unserer Zeit. Nicht nur für Asien, sondern auch für das Weltkino hat der stilbewusste Koreaner schon mindestens einen Klassiker geschaffen und kommt immer wieder mit neuen, originellen Ideen und einer stets einzigartigen Bildsprache daher. Im Zuge des übergroßen Oldboy-Wirbels gingen „Lady Vengeance“ und besonders „I’m a Cyborg, but that’s OK“ leider ein wenig unter. Das wird man über seinen Vampirstreifen „Durst“ hoffentlich nicht sagen. Der Große Preis der Jury in Cannes war da sicherlich nur der Anfang, denn dieser Film ist ein echtes Juwel, das „Oldboy“ und Parks Frühwerk „Joint Security Area“ zwischenzeitlich den Rang abläuft.

Vampire haben aktuell Hochkonjunktur, was größtenteils daran liegt, dass die „Twilight“ Bücher und Filme einen in dieser Größe kaum wirklich zu erklärenden Hype ausgelöst haben. Vielleicht hat „Durst“ tatsächlich mehr Ähnlichkeit mit „Twilight“ als mit Bram Stoker, aber vielleicht gibt es ebenso viele Überschneidungen mit der Vampirwelt von Ann Rice. Vielleicht aber sollte man die Sache mit den Vergleichen ganz sein lassen, denn dieser Film ist ein ganz spezielles und einzigartiges Ding. „Thirst“ (internationaler Titel) ist zunächst eine klassische Vampirentstehungsgeschichte. Ein koreanischer Priester meldet sich, im christlichen Glauben Gutes zu tun, für ein Experiment, kehrt nach einer tückischen Bluttransfusion als Vampir zurück und stolpert dann in eine wilde Liebesgeschichte. Doch schon wie der Priester die Veränderungen an seinem Körper entdeckt, wie er Morde vermeiden will und wie das Vampirische in ihm immer stärker darauf drängt, sämtliche Tabus seiner Religion zu brechen, sollte jeden Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Films verwischen. „Durst“ nimmt die Vampireigenheiten ernst und zeigt, wie ein frisch zum Vampir gewordener Mensch mit den Tücken und Vorteilen dieser Veränderung lebt. Mit dem Zusatz der Religion stößt der Film ohnehin in philosophische und thematisch reizvolle Sphären vor, die durchschnittliche Beißer-Reißer blass aussehen lassen.

© MFA+ Filmdistribution

Dann ist da die Romantikkomponente, die schnell zur Lustkomponente wird. Auch darauf zielt der Filmtitel ab. Animalisch-sexuelle Enthemmung ist ein Standard der Vampirliteratur, doch das Vampirkino hatte diese Aspekte schon schon länger nicht mehr so intensiv dargestellt. Dabei sind die Figuren innerhalb dieser Liebes- und Lustbeziehung überaus spannende Figuren. Es ist das Psychogramm zweier Persönlichkeiten, die unsicher mit ihrem Platz in der Gesellschaft sind. Beide werden durch Leidenschaft und Gewalt, innere wie äußere, aus ihrem vorherigen Leben gerissen und geraten aneinander. Bei aller Enthemmung und stilistischer Extravaganz sind Park Chan-wooks Geschichten nie bloßes Mittel zum Zweck. Der Regisseur und sein Co-Autor Jeong Seo-gyeong nahmen sich Émile Zolas Roman „Thérèse Raquin“ an. Dort geht es um eine Frau, die aus ihrer öden Ehe ausbricht, an einen Mann gerät und mit diesem eine Gewalttat begeht, fortan von Psychosen heimgesucht wird. „Durst“ übernimmt dieses Fragment grob, bewegt den Fokus weg von der Frau, primär auf die Figur des Priesters und fügt ganz geschickt den Vampirmythos hinzu. Alleine für die wendungsreiche und intelligent verwobene Story, die daraus entsteht, möchte man schon jubelnd in die Hände klatschen. Wer das jetzt Arthouse-Horror nennen möchte darf das gerne tun, doch ganz so einfach ist es mit der Genrezuweisung nicht.

Regisseur Park findet in dieser wilden und eigenartigen Geschichte überraschend großen Spielraum für Humor. Das macht den Film nicht direkt zur Komödie, doch manch vampirisches Klischee, die vampirische Gewalt, die Tabubrüche und die schrägen Situationen, die daraus entstehen, kommen mit einer grotesk schwarzhumorigenen Note daher. Das liegt auch an den Darstellern, am immer genialen Song Kang-ho, aber auch an der wunderbar überdreht aufspielenden Kim Ok-bin, die eine echte Entdeckung ist. Natürlich ist der Humor speziell, wie die gesamte Attitüde und Atmosphäre des Films auf einige Zuschauer eher eigenartig als faszinierend wirken mag. Doch eigentlich entsteht dadurch erst der eigentliche Reiz. Einen Vampirfilm wie „Durst“ hat man noch nicht gesehen. Die erste Hälfte kommt noch sehr ruhig und realistisch daher und das spiegelt sich auch in Parks visuellem Stil wider. Je vampirischer der Priester und die Welt um ihn herum werden, desto mehr wird „Durst“ zu einem kühlen und coolen Bilderrausch in Zeitlupe, wie wir ihn schon aus „Oldboy“ kennen. Das letzte Drittel ist ein Meisterstück in Spannung, Stil und Atmosphäre. Visuelle Einfälle überschlagen sich, Humor und Bedrohung kreieren eine ganz eigenartige Stimmung und der Priester und die Frau lieben, hassen und zerfleischen sich und ihre Umgebung in einem wahren Rausch. Mit der gewohnten Vorliebe für klassische Musik wird der Film auch klanglich perfekt abgerundet. Thirst“ ist ein Adrenalinritt in gemäßigtem Tempo den man unbedingt gesehen haben muss, der am Ende tatsächlich mehr grotesker Liebesfilm als Vampirthriller ist und ein erstklassiges Ende liefert.

Fazit:
Völlig irre und absolut originell. Park Chan-Wook kreiert ein Genre-Meisterwerk, das die Grenzen verschiedenster Genres sprengt. Ein langsamer Film, der sich jedoch konsequent steigert und Horror, Blut und Spannung geschickt mit der ungewöhnlichen Liebesgeschichte und sogar Humor verbindet.

9/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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