BG Kritik: „The Neon Demon“

29. Juni 2016, Christian Westhus

Der neue Film vom „Drive“ Regisseur: Die junge Jesse (Elle Fanning) ist neu in Los Angeles, um ihre Modekarriere zu beginnen. Schnell hat sie Erfolg und zieht so den Neid ihrer Konkurrenz auf sich. Doch hat die elternlose Jesse ein Geheimnis?

The Neon Demon
(USA, Frankreich, Dänemark 2016)
Regie: Nicolas Winding Refn
Darsteller: Elle Fanning, Jena Malone, Bella Heathcote, Karl Glusman, Abbey Lee
Kinostart Deutschland: 23. Juni 2016

Sie ist ein Model und sie sieht gut aus.

Es heißt immer – und das zumeist zutreffend – dass man den Autor, das heißt den Erschaffer, den Künstler, nicht braucht, um Kunst zu besprechen, zu verstehen oder darauf zu reagieren. „The Neon Demon“ steht und fällt dennoch mit der Frage, wie viel oder wenig man Regisseur Nicolas Winding Refn zutraut. Ist er doppelbödig klug oder tappt er in die selbst geschaffene Falle, dass sein Film, der die zelebrierter Oberflächlichkeit der Modewelt erforscht, selbst nicht viel mehr als hochstilisierte Fassade ist? Oder anders formuliert: wie sehr ist man als Zuschauer gewillt bzw. motiviert, die wild wuchernden Anregungen des Films interpretativ in Einklang zu bringen? „The Neon Demon“ ist nicht leer, keineswegs, doch am Ende scheint der Film ein knapp zweistündiger Kraftakt aus Bild und Ton, dessen Kernaussagen zu Körper- und Jugendkult, zu Mode und fiesen Konkurrenzkämpfen unter Models relativ banal bleiben. Phrasen und Plattitüden aus der Modewelt, wo Schönheitsoperationen nicht mehr als Körperpflege sind, wo jeder dem Nächsten der sprichwörtliche Wolf ist. Oder Puma.

Wir beginnen mit etwas, das wir netterweise Motivetablierung nennen könnten. Ästhetisierung von Tod und Gewalt, wenn Jesse für ein Bewerbungsshooting leuchtend rote Blutfarbe an ihrem Körper zur Schau stellt. Doch motivische Vorausdeutung macht eine simple Metapher noch lange nicht doppelt reizvoll, es zeigt nur, dass Refn früh etabliert wo er hinwill – nämlich nicht besonders weit. Dies ist in der US-Karriere des Dänen Refn bisher nicht ungewöhnlich. In „Drive“ (2011) entstand durch die Zusammenfügung eines knappen, aber effektiv aufs Wesentliche reduzierten Plots und die Fetischisierung von Automotoren, Lederhandschuhen, Popmusik und gelegentlicher Gewaltexzesse ein unerhört „cooler“ Gefühlsfilm. Selbst „Only God Forgives“ (2013), der einige durch „Drive“ hinzugewonnene Anhänger direkt wieder verscheuchte, konnte bei genauerem (und mehrmaligem) Hinsehen ein faszinierendes Potpourri aus ödipalen Theorien, Entmannungsfantasien und perspektivisch ungewöhnlicher Fernostexotik durch seinen gefühlten Handlungsstillstand kommunizieren. „The Neon Demon“ fühlt sich nicht nur einen Hauch flacher an als die minimalistischen Vorgänger, der neue NWR, so das Monogramm des Autors, ist auch optisch weniger reizvoll.

© Koch Media

„Weniger reizvoll“ heißt nicht „weniger bemüht“, denn „The Neon Demon“ ist Exzess pur; ein Haute Couture Rausch zwischen Giallo, Kubrick und gigantomanischer Mode-Werbespots. NWR war schon in Dänemark Stilist und hat dieses Dasein nun perfektioniert. Hier will er jede Pore, jeden Quadratmilimeter im Detail in Szene setzen und das am liebsten, wenn es sich um Elle Fannings Gesicht dreht.
Fanning ist eine sagenhaft talentierte Darstellerin, die schon zwei, drei Dutzend (und mehr) Filmrollen hatte und als Achtzehnjährige doch noch am Anfang ihrer Karriere steht. „The Neon Demon“ ist eine willkommene Abwechslung für sie, ist der anspruchs- und stilvollere Weg, um das Image als Kinder- und Jugendstar abzulegen, welches sie eigentlich gar nicht hatte. Als Jesse ist Fanning eine schillernde Oberfläche an der Refns Kamera klebt, wie der Blick eines perversen Lüstlings. Diese Deutung wird uns aufgezwungen, u.a. durch Keanu Reeves, der die jungen Gäste seines Motels als „Lolita Ware“ bezeichnet. Doch Refn will beides; er will den Zeigefinger heben und gleichzeitig eine Unzahl von Minuten darauf verwenden, Fannings Körper und ihr Gesicht bis zur Abstraktion zu schmücken, zu stilisieren und zu präsentieren, uns minutenlang eintauchen zu lassen, ohne aus der makellosen Fassade etwas Nennenswertes mitgenommen zu haben. Fanning, die Schauspielerin, ist da weniger von Bedeutung. Jesse macht zwar einen zentralen und markanten Wandel durch, doch es ist nicht viel damit anzufangen, weil Jesse schon vom Drehbuch aus konzipiert ist, eine leere Hülle zu sein. Jesse ist die Süße Unschuld, die im glitzernden Höllensumpf namens Modewelt Gefahr läuft, korrumpiert zu werden.

Das originellste stilistische Element sind nicht die exorbitanten Kostüme, nicht das grell artifizielle Makeup und nicht die Exzesse aus Licht, Schatten und Neon, sondern Spiegel. Regelmäßig beobachten wir eine Szene, sehen beispielsweise Jesse auf einem Bett sitzen, ehe die Kamera einen Schwenk macht und zeigt, dass wir auf das Spiegelbild der Szene geschaut haben. Klingelt’s? Wir sehen Spiegelungen, nicht wirkliche Abbildungen, denn in der Modewelt kann niemand die echte Person hinter der vermarkteten Fassade erkennen. Tadaa! Refn hat zwei, drei bemerkenswert ungewöhnliche Ideen auf Lager, wirft erwartungsgemäß ein wenig Homoerotik zwischen die zentralen Frauenrollen, widmet sich irgendwann verstärkt den Horror- und Psycho-Einflüssen, und unterlegt, nein, überstreicht alles mit der fantastischen Musik von Cliff Martinez. Refn nutzt Musik in etwa so subtil wie die italienischen Kollegen Dario Argento und Mario Bava in den 70ern und 80ern. Um aber wirklich ein unsterblicher Stil- und Stimmungsrausch der Marke „Suspiria“ zu werden, hat Refns Film noch zu viel halb durchdachte Wichtigkeit im Gepäck. Ein Frauentrio aus Helferinnen und Konkurrentinnen, angeführt von der großartigen und doch phänomenal verschenkten Jena Malone, baut sich neben Jesse auf und gerät unter Refns Metapher-Walze. So etwas hatte Argento damals nicht nötig.

Fazit:
Hochstilisiert, egozentrisch und einzigartig; „The Neon Demon“ ist ein faszinierendes, am Ende jedoch halbgares Stück Kino. Ein Film, der seine eigene Rauschhaftigkeit selbst zu toll findet, um wirklich rauschhaft zu sein. (Eine Punktebewertung wird diesem Spalter von Film eigentlich nicht gerecht.)

5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

Um an dieser Diskussion teilzunehmen, registriere dich bitte im Forum:
Zur Registrierung