BG Kritik: „Rapunzel – neu verfönt“

16. Dezember 2010, Christian Mester

Da das magische Haar einer kleinen Prinzessin ewiges Leben verspricht, entführt eine alte Frau die Tochter des Königspaars. Sie zieht die kleine Rapunzel (Stimme: Alexandra Neldel) in einem Turm auf und verbietet ihr diesen jemals zu verlassen, doch als eines Tages der wackere Held und Dauerschwätzer Flynn (Moritz Bleibtreu) vorbeiflaniert, entschwindet das mittlerweile erwachsene Mädchen mit den meterlangen Haaren…

Rapunzel – Neu verfönt
Tangled (2010)
Regie: Tom McGrath
Cast: Alexandra Neldel, Moritz Bleibtreu

Kritik:
270 Millionen Dollar spielte Disneys traditioneller Zeichentrickfilm „Küss den Frosch“ im letzten Jahr ein – eine Menge, sollte man meinen, doch im Vergleich zu den Erfolgen computeranimierter Filme war es dann doch verfönt wenig. Egal ob „Shrek“, „Ice Age“, „Toy Story“ oder „Madagascar“, sie alle schaffen regelmäßig das Drei- und Vierfache dessen, weswegen sich die obere Disney Etage in diesem Jahr einiges vom computeranimierten 3D-Märchen erwartet. Hinzu kommt, dass die Verfilmung des alten Grimm Märchen der bislang teuerste Animationsfilm aller Zeiten ist, da es sechs Jahre lang dauerte, Rapunzels Haar gepflegt zu entfilzen und präsentieren zu können. Ein guter Grund, graue Haare zu kriegen und sich ungeduldig die Strähnen um die Finger zu wickeln.

Der erste Eindruck ließ fast die Haare raufen – die Figuren und ihre Folikel reichten nicht an Pixars Arbeiten heran, die ersten Trailer (untermalt von haarsträubender Musik von Pink) waren schlecht zusammen geschnitten, zeigten schwache, fürchterlich abgedroschene Gags. Hatte man sich in ein zu girliges Comedy-Imitat der niederen „Madagascar“ Sequels verhaart? Glücklicherweise nicht. „Rapunzel“ ist trotz seiner anfangs ungewohnten 3D Animationsoptik ein absolut typischer Disney Streifen geworden. Figuren und Welt sind zwar nicht so fein heraus gearbeitet wie bei Pixar, doch der Film zieht seinen Glanz ohnehin nicht aus Texturen, sondern aus seinen Animationen. Rapunzel, Flynn und die anderen bewegen sich so flüssig und geschmeidig, wie es nur bei Disney der Fall ist. Tanzt Rapunzel mit ihren großen Kulleraugen Freude strahlend durch die Wälder ihrer Welt, fühlt man sich automatisch an Belle, Arielle oder Jasmin erinnert.

Rapunzel selbst ist zuckersüß. Als herzensliebe und schüchterne, leicht schusselige, aber auch toughe Prinzessin passt sie sich problemlos zu den anderen klassischen Disneyfiguren, und dass sie meterlange Haare hat, wird immer wieder lustig eingesetzt. Spaß ist der gelungenste Aspekt des Films, denn entgegen möglicher Vermutungen ist es keine kitschtrunkene Liebesgeschichte mit rührseligem Geschmachte für kleine Mädchen, sondern ein flottes Action-Adventure für beide Geschlechter und auch höheres Alter – sofern man mit Gesangsszenen einverstanden ist. Zusammen mit Flynn jagen sie unterhaltsam durch die Wälder, treffen auf harmlos kuschelige Meuchelmörder und auf zwei Tiere, die jedes Mal alle Szenen stehlen: Rapunzel hat ein kleines Chamäleon, das vor allem dümmliche Szenen mit lustigen Blicken kommentiert, dazu kommt ein Pferd der Palastwache, das den amüsant albernen Flynn als Feind sieht und ihn hartnäckig verfolgt. Die Witze sind fantastisch und mit hervorragendem Comedy-Timing inszeniert, werden nie so plump, wie es die Vorschau erst hat scheinen lassen.

Weniger verlockend sind allerdings die für Disney typischen Lieder. Regelmäßig wird geträllert, doch kein einziger der Songs bleibt hängen, kein einziger hat Erkennungswert oder tolle Melodien. Damit schrumpft auch das Herz des Films, der es nicht schafft, zu rühren, was auch an der Lage des Mädchens liegt. „Rapunzel“ mag zwar bis zu ihrem achtzehnten Geburtstag zuhause eingepfercht gewesen sein, doch ihre Gegnerin in Form ihrer Stiefmutter ist nicht das übliche Böse. Sie hält sich später sogar relativ zurück, wodurch Rapunzels Abenteuer außerhalb des Turmes primär lustig und actionreich bleibt und scheinbar nur kurz auf einen Spannungsmoment zurückfällt – weil es halt einen geben muss.

Durchkämmt man „Rapunzel“, gibt es jedoch keinen Grund für graue Haare. Verglichen mit den ganz Großen des Genres bleibt wenig hängen, doch sieht man ihn als kunterbuntes Bubblegum Abenteuer mit vielen guten Lachern, ist er ein voller Erfolg.

Fazit:
„Rapunzel“ ist wie Kirmeszuckerwatte: süß, bunt und macht Laune, ist dafür aber auch recht kurz bestellt. Die einzige richtige Enttäuschung findet sich in den langweiligen Liedern, ansonsten liegt „Rapunzels“ Dauerwelle auf einer Welle mit den besseren seiner Art.

7/10

Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

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