BG Kritik: „Black Box“ (Welcome to Blumhouse)

9. Oktober 2020, Christian Westhus

Studio Blumhouse bringt über den Oktober verteilt vier (hoffentlich) schaurig-spannende Filme via Amazon Prime Video heraus. „The Lie“ hat den Anfang gemacht, „Nocturne“ und „Evil Eye“ werden unter dem Motto „Welcome to Blumhouse“ noch folgen, und nun „Black Box“ mit seinem Sci-Fi Touch. Ein junger Vater verliert bei einem Unfall sein Erinnerungsvermögen. Um wieder Fuß zu fassen in seinem Leben, stürzt er sich in eine neue Therapieform, die verschollene Erinnerungen reaktivieren soll. Doch dabei entdeckt er Schauriges. Aktuell bei Prime Video zu schauen und hier in der Kritik.

Black Box
(USA 2020)
Regie: Emmanuel Osei-Kuffour, Jr.
Darsteller: Mamoudou Athie, Amanda Christine, Phylicia Rashad u.a.
Veröffentlichung: 06. Oktober 2020 (Prime Video)

Wir kennen diese Figuren. Junge Kinder, die nicht Kinder sein dürfen, sondern Ersatz-Erwachsene sein müssen. Das betrifft in „Black Box“ sowohl das Script, welches die kleine Ava (vielleicht acht, neun Jahre alt) in einem unangebracht organisierten und vernünftigen No-Nonsens Ton agieren lässt, betrifft aber auch das Leben von Vater Nolan (Mamoudou Athie), der nach einem Unfall mit Erinnerungslücken und Verhaltensauffälligkeiten zu kämpfen hat und auf die Hilfe seiner kleinen Tochter angewiesen ist. Ava ist es, die Nolan durch den Alltag führt, die ihn organisiert und an wichtige Dinge erinnert. Denn bei besagtem Unfall verlor Nolan nicht nur Teile seines Erinnerungsvermögens, sondern auch seine Frau, Avas Mutter. Doch Nolan weiß, dass es eigentlich anders laufen muss, dass eigentlich er sich um Ava kümmern sollte. Also stürzt er sich übereilt in eine neuartige Hypnose-Transzendenz-Therapie von Wissenschaftlerin Lillian (Phylicia Rashad). Über eine Apparatur namens Black Box soll Nolan in verschollene Erinnerungen zurückkehren und diese reaktivieren. Doch etwas Finsteres schleicht durch Nolans Unterbewusstsein.

Lillian ist überrascht und erfreut, wie schnell die Methode bei Nolan Wirkung zeigt, wie lebendig sein Unterbewusstsein durch den Prozess wirkt. Sie ist sich sicher, Nolans kompletten Gedächtnisverlust umkehren zu können. Nolan selbst ist noch etwas skeptisch, denn in seinem sehr lebendigen Unterbewusstsein, welches er durchschreitet wie eine weit fortgeschrittene haptische virtuelle Realität, taucht auch immer wieder eine unheimliche Gestalt auf; ein Mann mit verschwommenem Gesicht, der sich mit knackenden Knochen windet und verdreht, der rückwärts läuft, auf Händen und Füßen. Wer oder was dieser Mann, diese Kreatur, ist, bestimmt die recht gelungene erste Hälfte von „Black Box“. Nolans Schicksal hat die nötige dramatische Ernsthaftigkeit, so dass wir nicht nur auf Schreckgestalten warten, sondern auch den abstrakten Erinnerungsprozess verfolgen. Auch Nolan versucht, aus seinen Eindrücken Schlüsse auf seine Vergangenheit zu ziehen. Ist er selbst der Rückwärts-Mann? Ist es vielleicht ein Abbild manifestierter Schuld? War Nolan vielleicht nicht der aufrichtige und treu sorgende Ehemann, wie es sein Kumpel Gary, ein Arzt, immer wieder beteuert? Direkt nach einer solchen Ermutigung fügt Gary zudem eine wohlplatziert-verdächtige Redewendung an, die auf eine körperliche Geste verweist. Als Zuschauer glaubt man, den Braten zu riechen.

© Amazon Studios / Blumhouse

„Black Box“ erweckt den Eindruck einer etwas überlangen Folge „Black Mirror“; weniger zynisch, dafür etwas schläfriger. Der entscheidende Unterschied liegt im Umgang mit Technologie, welche bei „Black Mirror“ immerzu Katalysator für die selbstzerstörerische Natur des Menschen ist, in „Black Box“ aber zunächst lediglich als notwendige Plot-Mechanik funktioniert. Dies ändert sich in der zweiten Hälfte, wenn auch dieser „Welcome to Blumhouse“ Titel noch einmal ein paar Hebel umstellen muss bzw. will, um sich inhaltlich und genretechnisch neu auszurichten. Denn natürlich erhalten Nolan und wir eine Antwort darauf, was es mit dem Rückwärts-Mann auf sich hat, wen oder was er repräsentiert.

Was mit dieser Offenbarung losgetreten wird, hat allerhand dramatischen und emotionalen Reiz, hat großes erzählerisches Potential, übersteigt aber je nach Interpretation Talent oder grundsätzliche Absicht von Regisseur Emmanuel Osei-Kuffour, Jr. und seinen Drehbuchkollegen Wade Allain-Marcus und Stephen Herman. Es wäre zu verschmerzen, dass „Black Box“ nach einer knappen Stunde quasi komplett aufhört, auch nur ansatzweise eine Horrorgeschichte zu erzählen. Doch die emotionale und ambitioniert metaphorisch aufgeladene Mini Sci-Fi der zweiten Hälfte kann sich nie so richtig entfalten. Lillian und ihre Erfindung werden auf simpelste Motive mit allerhand Unglaubwürdigkeit heruntergebrochen, während sich die beiden zentralen Figuren dieser Geschichte gegenseitig die Luft zum Atmen nehmen. Man war für einen kurzen Moment geneigt, sich an Jordan Peele („Get Out“) erinnert zu fühlen, doch am Ende hat „Black Box“ bis auf eine ordentliche erste Hälfte und ein paar spannende Ansätze zu wenig vorzuzeigen und bestätigt leider das Gefühl, Blumhouse verwerte hier nicht nur budgettechnisch, sondern auch qualitativ zweitklassige Filme für den Streaming-Markt. Immerhin ist Hauptdarsteller Mamoudou Athie eine positive Entdeckung. Ihm wünscht man für die Zukunft eine bessere und größere Bühne.

Fazit:
Interessanter Ansatz und eine ordentliche erste Hälfte, die zum Ende hin nicht nur Genregrenzen verschwimmen lässt, sondern auch den roten Faden von Figuren, Story und metaphorischer Intention beinahe komplett verliert.

5,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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