Treasure Tuesday Spezialkritik: „Cable Guy – Die Nervensäge“
Jim Carrey war Mitte der 90er der größte Filmstar des Planeten, doch mit dieser schwarzen Komödie von Regisseur Ben Stiller wollte er sein Image ein wenig umkehren. „Cable Guy“ (1996), unser heutiger Treasure Tuesday Tipp. Jeden Dienstag auf Erkundungstour gehen. Wir stöbern nach vergessenen Filmen, unterschätzten Filmen, alten Filmen, fremdsprachigen Filmen. Nach Filmen die sich lohnen, auch wenn gerade nicht die halbe Welt über sie spricht.
Cable Guy – Die Nervensäge
(Originaltitel: The Cable Guy | USA 1996)
Regie: Ben Stiller
Darsteller: Matthew Broderick, Jim Carrey, Leslie Mann, Jack Black, u.a.
Kinostart Deutschland: 10. Oktober 1996
Was ist das für ein Film?
Eine schrille Komödie aus der 90er Hochphase, die aus Jim Carrey einen Weltstar machte. Nur läuft der sprichwörtliche Hase hier anders. Die eigentliche Hauptfigur in diesem Film von Regisseur Ben Stiller ist der von Matthew Broderick gespielte Architekt Steven, der nach einem ungewollten Beziehungsende (oder ist es nur eine temporäre Auszeit?) eine neue Single-Bleibe bezieht. Mit dem Kabelanschluss gibt es ein paar Probleme, so dass irgendwann mit ein paar Stunden Verspätung Techniker Chip Douglas (Carrey) vor der Tür steht. Und Chip ist – gelinde gesagt – ein etwas sonderbarer Zeitgenosse, wirkt exzentrisch, überdreht und aufdringlich, ist aber offenkundig auch sehr einsam. Nicht zuletzt deshalb sieht sich Steven nicht in der Lage abzulehnen, als sich Chip für ein privates Abhäng-Treffen quasi selbst einlädt … und erneut einlädt. Chip drängt sich in Stevens Leben und hat mit seiner naiv-dreisten Unbekümmertheit zeitweise einen positiven Effekt auf den etwas verkopften Architekten. Doch bald schon werden Grenzen überschritten und Prinzipien gebrochen. Fragt sich nur, ob bzw. wie sich Chip wieder aus Stevens Leben entfernen lässt.
Warum sollte mich das interessieren?
Es ist im Jahr 2021 kaum noch wirklich nachvollziehbar, wie gigantisch groß Jim Carreys Starpower Mitte/Ende der 90er war. Die aktuelle Kino-Ära besitzt zwar noch immer Filmstars mit Anziehungskraft und gigantischen Gagen, doch die meisten dieser Stars sind in ihrer Filmauswahl untrennbar mit einem Franchise oder einem Genre verbunden, sind von einem solchen abhängig. Das war vor rund 25 Jahren noch ein wenig anders. Dabei ist „Cable Guy“ augenscheinlich nur die Fortführung dessen, was Carrey in „Dumm und Dümmer“ (1994) und „Ace Ventura“ (1994) vorgemacht hatte. Diese falsche Ähnlichkeit erklärt vielleicht, warum sich „Cable Guy“ damals wie ein Schritt zurück an den Kinokassen anfühlte und generell wenig Fan-Zuspruch erhielt. Denn dieser Film stellt in gewisser Weise die Frage, was wäre, würde man Ace Ventura und Lloyd aus „Dumm und Dümmer“ als Psycho- und/oder Soziopathen darstellen, die Problemlos neben Carreys Riddler aus „Batman Forever“ (1995) stehen oder diesem gar einen kalten Schauer verpassen könnten.
Chip der Kabeltyp ist nicht einfach nur ein Techniker für den Kabelanschluss, er hat eine ganz besondere Verbindung zur Mattscheibe und zum Bildersturm dahinter. Chip wurde von seiner Mutter als Kind oftmals vor und mit der Glotze allein gelassen. Babysitter wurde der Flimmerkasten genannt. Und so wuchs Chip ohne echte Sozialisation, ohne echte Familie und ohne echtes Verständnis der Außenwelt auf, stattdessen mit der exzessiv überzeichneten Scheinwelt des Fernsehens. Es ist eine Rolle, die in einem anderen Film von Minute 1 an Unbehagen hätte auslösen können, in einem Film, der deutlicher ein Psychodrama oder Thriller sein wollte. Doch Carrey und Regisseur Ben Stiller setzen das Image und die Anziehungskraft des Hollywoodstars ganz gezielt ein, um es nach und nach auf den Kopf zu stellen. Und den Zuschauer gleich mit.
Für nicht wenige Zuschauer dürfte Chip vom ersten Augenblick an ein unerträglicher Sonderling sein, doch für den Carrey-Fan der 90er ist die Sache nicht ganz so einfach, ist der Sprung vom tierischen Detektiv, Lloyd oder auch „Die Maske“ (1994) hin zum schrillen Chip gar nicht mal so groß, sondern irgendwie nur konsequent weiterentwickelt. Dass Chip in der Sympathiefrage des Films lange Zeit schwammig zu greifen ist, macht den Film ungemein spannend. Immer dann, wenn er nicht auf groteske Art und Weise enorm witzig und unterhaltsam ist. Die Sequenz, wenn Chip und Steven ein Mittelalterrestaurant besuchen und Teil des Showaspekts werden, gehört fraglos zu den Glanzlichtern in Carreys filmischer Comedy-Karriere, wie auch die unvergessene Karaoke-Nummer zu „Somebody to Love“. Auf den letzten Metern mag dieser faszinierend uneindeutigen Comedy-Thriller-Drama-Satire-Groteske ein wenig die Luft ausgehen, doch der Weg dorthin ist auch heute noch einen Blick wert.
„Cable Guy“ ist auf DVD und VOD erhältlich, zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung zudem bei Netflix im Abo verfügbar.
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