BG Kritik: „Apollo 11“

9. Juli 2019, Christian Mester

„Das ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Sprung für die Menschheit“ sagte Neil Armstrong 1969 andächtig, als er als erster Mensch der Menschheitsgeschichte einen anderen Planeten betrat. Eine bis heute bemerkenswerte Leistung, die neben dem Feuer, dem Internet und dem Marvel Cinematic Universe fraglos zu den größten Erfolgen unserer Spezies gezählt werden darf. Schon oft wurde das ganze filmisch umgesetzt, nicht zuletzt letztes Jahr im mitreißenden „Aufbruch zum Mond“, doch selten so perspektivisch faszinierend wie hier gesehen.

Kein Prequel zu APOLLO 13 oder APOLLO 18

© NASA

Apollo 11 (USA 2019)
Regie: Todd Miller

Toll, noch eine Doku über die Mondlandung? Gibt es da nicht schon so viele, dass der griechische Gott Apoll mittlerweile mit den Augen rollen mag? Tja, so eine wie diese gab es noch nicht, jedenfalls nicht zu sehen, nicht für die Allgemeinheit zu sehen. Für Archivare sehr wohl. Anstatt die damaligen Ereignisse einmal mehr zu erklären und Interviews mit Augenzeugen und NASA-Leuts wie Buzz „Ich war in Transformers 3“ Aldrin zu zeigen, besteht dieser gesamte Film ausschließlich aus Archivmaterial. Staubiges NASA Bildmaterial aus den letzten Kellern konnte heut neu restoriert werden, sodass man piekfeine HD Bilder erhielt. Das Resultat? Abgesehen von den 60er Jahren Outfits und Friseuren sieht es aus, als wären die Impressionen erst 10-20 Jahre alt, nicht 50.

Ach ja, das ist gar nicht mal das Besondere am Film. Die größte Auffälligkeit ist, dass es keinen begleitenden Erzähler gibt. Nichts wird erklärt, es gibt keine emotionalen Erinnerungsfetzen zu hören. Zwar wird fast den ganzen Film durch gesprochen, aber nur via der aufgenommenen Stimmen der Astronauten und des Bodenteams. Der Effekt betört, erhält man so doch einen gefühlt weniger gesteuerten, geschönten Rückblick, sondern eher eine audiovisuelle Zeitreise in die tatsächliche Vergangenheit, in der man einfach mit anwesend sein darf. Regisseur Todd Miller traut sich damit was, denn es ergibt einen fraglos unkommerziellen Titel.

Der Effekt hat seine Schattenseiten, wie eben jener besuchte Mond. Tatsache ist, dass die NASA Jungs, sowohl oben als unten, recht sachliche, gefasste Leuts waren. Alle sehr akribisch genau, hochkonzentriert, Gespräche aufs Nötigste beschränkt. Es gibt nahezu keine Floskeln, keine Witze, keinen Smalltalk, aber auch keine Erleichterung, keine Freude, keine Sorge oder dergleichen. Das ganze wirkt dadurch recht robotisch, wie Maschinen, die sich aufeinander abstimmen. Verglichen mit Filmen wie „Interstellar“ oder „Apollo 13“, die pathosgetränkt sind, wilde emotionale Achterbahnen fahren und uns mitfiebern ließen, bleibt das Apollo Erlebnis aus diesem Fenster gesehen eine recht nüchterne, trockene Angelegenheit von so professionellen Profis, dass sie Laien langweilen können. Ein wenig erinnert es an die staubtrocken öden 70er Dokus, die man damals in der Schule sehen musste. Dennoch. Das schiere Wissen darum, wie haarsträubend das Unterfangen war, wie viel schief gehen konnte und wie antik die Computertechnik war, auf der alles aufbaute, ist man fraglos gebannt. Der Countdown zum Start, die Landung, der erste Schritt nach draußen und das erfolgreiche Wiedereintreten in die Atmosphäre (Spoiler) können Gänsehaut auslösen, doch all das bringt man selbst mit. Der Film liefert einem da relativ wenig, dirigiert nicht, was man fühlen soll. Das mag distanzieren, macht diese ungewöhnliche Sicht der Dinge allerdings auch interessant, und „Apollo 11“ somit zu keiner typischen Doku, und somit wiederum zu einer äußerst sehenswerten.

Muss man also Hardcore-NASA-Nerd sein, um dem gefilmten Aufstieg auf die nächste Staubkugel im All was abzugewinnen? Nicht zwingend, man muss sich nur darauf einlassen, es als Chance wahrzunehmen. Als Chance, diesem unglaublichen Moment auf diese Weise noch näher zu kommen. Endlich labert keiner dazwischen, endlich versetzt der Film uns einfach in eine Situation, anstatt uns gezielt in gewisse Gefühlsstimmungen zu versetzen.

Miller selbst schafft hier kein Wunderwerk, denn trotz Kohärenz und einigen minimalistischen Zeichnungen, die kurz veranschaulichen, wo die Kapsel gerad ist, kann er wenig Handschrift hinterlassen. Im Vergleich zu einem Alistair Fothergill tritt er soweit zurück, dass er kaum eine Rolle spielt. Aber hier schien gerade das auch beabsichtigt zu sein.

Fazit: Nicht so gut wie „Armageddon“, aber sehenswert, vor allem, weil die meisten von uns damals live nicht dabei sein konnten. Eine Chance, die man wahrnehmen sollte.

7/10

Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

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