BG Schocktober Kritik: A Quiet Place
Auch dieses Jahr wollen wir euch mit Horrortipps für den schaurigen Oktober nicht alleine lassen und bieten deshalb täglich einen neuen Beitrag aus unseren Horror-Archiven…und nicht immer muss es ein Tipp sein, sondern auch mal eine Warnung…
A Quiet Place (USA 2018)
Regisseur: John Krasinski
Cast: John Krasinski, Emily Blunt, Millicent Simmonds
Story: Unbekannte Monster haben die Welt ins Chaos gestürzt. Familie Abbott lebt zurückgezogen auf einer Farm und versucht durchzuhalten. Der Haken? Die aggressiven und kompromisslosen Wesen reagieren auf Geräusche, wittern ihre Beute durch jeden zu lauten Klang. Die Familie muss jeden Schritt, jede Bewegung, jeden Atemzug so leise wie möglich verrichten, um zu überleben.
Suchen wir uns ein ruhiges Plätzchen.
Bei aller Liebe für Stummfilme, die auch heute noch ein herausragendes Erlebnis sein können, war es der Schritt zum Tonfilm, der die Möglichkeiten des Kinos revolutionierte. Beispiele, in denen Ton für den maximalen Effekt hochstilisiert wurde, gibt es viele, doch in die andere Richtung geht es nur selten. Dabei kann die Reduzierung oder gar völlige Abwesenheit von Geräuschen im Kontext eines Tonfilms ein bemerkenswertes Erlebnis sein, wie die üblichen Verdächtigen (Francis Ford Coppolas „The Conversation“ und Brian De Palmas „Blow Out“) gekonnt zeigen. Alles was danach kommt spielt mit Ausnahmen und erfordert Zugeständnisse. Solche muss man streng genommen auch bei John Krasinskis Horrorthriller machen, und dennoch ist es ein mehr als beachtliches Beispiel dafür, dass die Maxime „Weniger ist mehr“ auch beim Filmton Relevanz hat.
Für seinen Durchbruch als Regisseur (er drehte zuvor zwei äußerst kleine Dramödien) verzichtet „The Office“ Star Krasinski zwar nicht auf die obligatorische rhythmisch treibende Musik oder klangunterstützte Jump Scares, doch „A Quiet Place“ ist an den richtigen Stellen so ruhig und dabei so spannend, dass nahezu jede Umgebung zum Problem werden könnte. Die Mitglieder der Familie Abbott halten die Luft an, unterdrücken Schock und Schmerzen, während die tödlichen Biester mit den rasiermesserscharfen Klauen und Zähnen nur wenige Schritte entfernt lauern und nach dem nächsten verräterischen Geräusch wittern, um zuzuschlagen. Für den Zuschauer kann in solchen Momenten jedes falsche Husten, kann jedes Popcorngeraschel oder gar das dumpfe Brummen aus dem Nachbarsaal zum Problem werden. Auch zu Hause werden der surrende Kühlschrank, die Nachbarn oder die anliegende Straße zum Störfaktor, von den eigenen Gästen ganz zu, äh, schweigen. Idealerweise müsste „A Quiet Place“ in einem akustisch abgeriegelten Musikstudio geschaut werden. Ein solches Vorhaben ist natürlich nicht umsetzbar und so muss (eher: darf) man sich daran erfreuen, dass John Krasinski mal eben so ein kleines Highlight des Genrekinos abgeliefert hat.
„A Quiet Place“ ist keine Neuerfindung des Horrorgenres, kein „The Babadook“ oder „The VVitch“, bei denen man erst streiten muss, ob man diese Meisterwerke überhaupt als Horrorfilme bezeichnen kann. Dieser Film ist ein verhältnismäßig bescheidener, aber selbstbewusst vorgelegter Horrorthriller, nicht weit entfernt von „Don’t Breathe“ oder „It Comes at Night“, die er beide um Längen schlägt. Weniger ein Film der gruselt und verängstigt, vielmehr einer der aufregt, mitreißt und mitfiebern lässt. Ein gelungenes Intro stellt uns Szenario und dramatischen Hintergrund vor: Familie. Monster. Geräusche. Gefahr. Das Drehbuch von Bryan Woods, Scott Beck und Krasinski selbst führt uns über ein kleines Zwischenspiel tiefer in diese ungewöhnliche Gefahrensituation, in der schon Schritte auf dem Asphalt den Tod bedeuten können. Es gibt einige gelungene und wunderbar natürlich eingebrachte Ideen, wie Familie Abbott ihren Alltag so geräuschlos – und damit so sicher – wie möglich zu verrichten versucht. Die Fußwege sind mit Sand ausgelegt, Schuhe sind überflüssig, große Salatblätter funktionieren als Teller und Monopoly kann man auch mit Stofffiguren spielen.
Kaum hat man Figuren, Schauplatz und Regeln verinnerlicht, gehen im Haus der Familie die roten Warnlichter an. Es ist der Auftakt zu einem höllisch intensiven Überlebenskampf, der über die komplette zweite Hälfte bis zum Abspann kaum eine ganze Minute Zeit lässt Luft zu holen. Wir verschwenden keinen Augenblick mit Hintergründen und Erklärungen; ein paar flüchtige Blicke auf Zeitungsausschnitte reichen aus. Die recht originell gestalteten Monsterwesen tauchten irgendwann auf; Begründung unnötig, denn die Aktionen der Ungeheuer sind gleichermaßen simpel und effektiv. Ein zurückliegendes Unglück wirkt als dramatisches Element wie Spiritus auf die offene Spannungsflamme. Dann ist Mutter Evelyn (Emily Blunt) auch noch schwanger, was ein ganz eigenes Problem darstellt, denn so eine Geburt ist bekanntlich selten eine leise Angelegenheit. Und wie bringt man einem Neugeborenen bei, dass es nicht schreien darf, um die geräuschsensitiven Monster nicht anzulocken?
Trotz einiger überaus effektiv inszenierter Spannungsmomente und einem vielseitigen Umgang mit der Klangwelt, liegt in diesen Feinheiten der Familiengeschichte der eigentliche Reiz des Films und wohl auch der Reiz für Regisseur, Ko-Autor und Hauptdarsteller John Krasinski. So entwickelt sich in der Beziehung zwischen Vater Lee und der hörgeschädigten Tochter Reagan eine nicht originelle und doch wirkungsvolle Beziehung. Empathisch gespielt von Jungdarstellerin Millicent Simmonds, die selbst gehörlos ist, hat diese Welt der Stille eine besondere Wirkung auf das junge Mädchen, während ihr Vater nicht nur seine Familie beschützen, sondern seiner Tochter auch ein neues technisches Hörhilfsmittel schaffen will. Es mag auf den ersten Blick eigenartig gewesen sein, sich einen Horrorfilm inszeniert von „Jim Halpert“ aus „Das Büro“ vorzustellen, doch dass John Krasinski eben kein obsessiver Genreliebhaber ist, könnte „A Quiet Place“ das gewisse Etwas verliehen haben. Er ist, so kann man annehmen, ein netter Kerl. Anders als beispielsweise Fede Alvarez („Don’t Breathe“) will Krasinski nicht schockieren und verletzen, suhlt sich nicht in garstigen Schockszenen, sondern sucht den Reiz des Horrorkinos im Zwischenmenschlichen. Dass in Emily Blunt seine reale Ehefrau und Mutter seiner Kinder um die Sicherheit ihrer Filmkinder bangt und kämpft, zeugt von einer persönlichen Motivation, die man zu jeder Sekunde spürt. „A Quiet Place“ ist nicht bloß top inszeniert, sondern steht auf einem mehr als soliden dramatischen Fundament.
Fazit:
Top inszeniert, mitreißend spannend und mit wirkungsvollem dramatischem Unterbau. „A Quiet Place“ erfordert Ruhe, kann so aber zu einem kleinen Highlight werden.
7,5 / 10
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