BG Kritik: „Malcolm & Marie“

10. Februar 2021, Christian Westhus

Der „Euphoria“ Macher schickt Zendaya und John David Washington in ein Zwei-Personen Beziehungsdrama. Eine Nacht, ein Haus, zwei Personen und ein großer Streit. Aber vielleicht auch eine Versöhnung. „Malcolm & Marie“, jetzt neu bei Netflix.

Malcolm & Marie
(USA 2021)
Regie: Sam Levinson
Darsteller: John David Washington, Zendaya
Veröffentlichung Deutschland: 05. Februar 2021 (Netflix)

Regisseur Sam Levinson („Assassination Nation“ und HBOs „Euphoria“), Sohn von Regisseur Barry Levinson („Rain Man“), tat sich im ersten Covid-Sommer mit seinem „Euphoria“ Star Zendaya und „Tenet“ Star John David Washington zusammen, um mit kleinem Personal dieses intime Zwei-Personen-Stück zu inszenieren. Malcolm (Washington) ist ein Filmemacher, der gerade von der Premiere seines Durchbruchsfilms kommt. Seine Freundin Marie (Zendaya), Ex-Drogensüchtige, Model und Schauspielerin, die noch auf den Durchbruch wartet, gibt sich bei der Rückkehr ins stylishe Haus zurückhaltend und verschwiegen. Während Malcolm mit stolzgeschwellter Brust durch die Wohnung marschiert und im Rausch des kreativen Erfolgs über sich, seinen Film und seine Kunst schwadroniert, liegt etwas Unausgesprochenes in der Luft. Diese Luft wird bald zu dicker Luft, denn Malcolm ist ein Malheur unterlaufen, ein Missgeschick, ein Versäumnis. Das jedenfalls denkt Marie, die aber zunächst nur schweigt und zuhört, den lauten Egotrip ihres Freundes duldet, ihm Makkaroni mit Käse macht und explizit davon abrät, noch in dieser Nacht darüber zu sprechen und zu streiten, als Malcolm die dicke Luft bemerkt und unbeherrscht nachstochert.

„Malcolm & Marie“ wird nicht müde, über andere – reale – Filme und Filmemacher zu philosophieren. Ein auf wenige Figuren und Räumlichkeiten beschränktes Beziehungsdrama, noch dazu in Schwarzweiß, würde jemanden wie Malcolm vermutlich schnell zu John Cassavetes oder nach Italien führen, zu Fellini oder Antonioni. Doch gleichzeitig ist es auch ein einfacher und beliebter Kniff fürs Indie- und No/Low Budget Kino. Auch das kann mit Cassavetes in Verbindung gebracht werden. Muss aber nicht. Durch die Netflix-Nähe erinnert man sich vielleicht eher an „Marriage Story“, der sich fraglos anders präsentierte und doch erfolgreich offenbaren konnte, was diesem Film fehlt. Als Autor und Regisseur einen eben solchen zur Hauptfigur des Films zu machen, ist ein Wagnis, wirkt es doch immerzu selbstreferentiell, wie ein Romanautor, der – z.B. Stephen King – wieder und wieder Romanautoren zur Hauptfigur macht. So kommt es für Sam Levinson unweigerlich zur Frage nach der Authentizität, die folgerichtig auch ganz direkt im Film kommuniziert wird. Marie hält Authentizität in der Kunst für enorm wichtig und findet daher Probleme in Malcolms Film. Der hingegen kommt mit dem Argument der künstlerischen Interpretationen, Dramatisierung und Artikulation. Erst der Künstler, so Malcolm, könne eine Wahrheit in ein empathisches Werk verwandeln.

© Netflix

Der Streit springt vom Persönlichen zum Theoretischen, vom Beziehungskonflikt zum Diskurs über den Film, den Malcolm gerade der Weltöffentlichkeit vorgestellt hat. So gipfelt das Hin und Her zwischendurch in einer mehrminütigen Tirade Malcolms, der gegen – wie sollte es anders sein – Filmkritiker wettert. Natürlich stehen Film und Liebesbeziehung in einer Verbindung, eben das ist (u.a.) das Problem für die beiden Protagonisten. Und doch droht man als Zuschauer mehrfach den Faden zu verlieren, wo genau man sich gerade zwischen Streit, Versöhnung, Annäherung und einem Diskurs auf Augenhöhe befindet beziehungsweise wie genau man dort gerade gelandet ist. Denn, ja, der Streit wird mitunter erwartungsgemäß hässlich und unangenehm, kann dieses Gefühl aber nur selten wirklich effektiv übertragen. Malcolm und Marie reden häufiger darüber, dass der Streit nun hässlich würde, dass nun die redensartlichen Samthandschuhe abgelegt werden, doch als Zuschauer schaut man der rhetorischen Hässlichkeit überwiegend neutral zu, wägt allerhöchstens mal ab, auf welcher Seite man nun gerade steht.

Dieser Eindruck rührt auch daher, wie Informationen vermittelt werden. Biographische Details, intime Geheimnisse und verdrängte Wahrheiten dringen wieder und wieder ans Licht, oft ausgespielt wie eine Trumpfkarte beim Kartenspiel, für den richtigen Augenblick zurückgehalten und dann im günstigsten Moment des Beziehungsduells offenbart. Das sieht im ersten Moment gut aus und klingt auch so, bis man bei der dritten, vierten oder fünften „Ach übrigens, hier ist etwas, was du bisher nicht wusstest“ Offenbarung erkennt, dass diese Figuren nur so lebendig und mehrdimensional sind, wie sie das Script braucht. Malcolm und Marie haben eine vage Gestalt und immer nur so viel Charakter, wie Sam Levinson ihnen zugesteht. Dabei sind Zendaya und John David Washington famos, wringen das Maximum an Emotionen (und Authentizität) aus diesen Figuren, blühen in den Mono- und Dialogen auf, bleiben unterm Strich aber eingeschränkt. „Malcolm & Marie“ wirkt am Ende wie überambitionierter Ideensalat. Engagiert, mit klugen Details, famosen Darstellern und einer grandiosen Optik. Doch wie schon bei „Assassination Nation“ will Sam Levinson zu viel und leistet zu wenig, verhebt sich in der Tragweite seines Themas und verfehlt zu häufig entscheidende Details. Das macht „Malcolm & Marie“ nicht zu einem schlechten Film, wohl aber zu einem enttäuschenden, der unbefriedigt und wenig erhellt zurücklässt.

Fazit:
Ambitioniert, wunderbar stilisiert und stark gespielt, aber auch überambitioniert, unbeherrscht und ziellos.

5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

Um an dieser Diskussion teilzunehmen, registriere dich bitte im Forum:
Zur Registrierung