BG Kritik: „Nocturne“ (Welcome to Blumhouse)

30. Oktober 2020, Christian Westhus

Studio Blumhouse bringt über den Oktober verteilt vier (hoffentlich) schaurig-spannende Filme via Amazon Prime Video heraus. Nach „The Lie“, „Black Box“ und „Evil Eye“ macht „Nocturne“ nun den Abschluss. Im Film geht es um zwei Schwestern an einer Musik- und Kunstakademie, die mitten in einem Konkurrenzwettbewerb stecken. Dann fällt einer Schwester ein möglicherweise satanisches Heft in die Hände, welches zuvor einer Studentin gehörte, die jüngst Selbstmord beging.

Nocturne
(USA 2020)
Regie: Zu Quirke
Darsteller: Sydney Sweeney, Madison Iseman, Ivan Shaw, Jacques Colimon, Julie Benz u.a.
Veröffentlichung: 13. Oktober 2020

Endspurt beim „Welcome to Blumhouse“ Viererpack. In gewisser Weise ist „Nocturne“ das Licht am Ende des Tunnels, die verdächtig gelbe Sonne, die Erlösung und Besserung verspricht. In gewisser Weise bestätigt das Langfilmdebüt von Regisseurin Zu Quirke aber auch die Schwächen, die sich durch „The Lie“, „Black Box“ und „Evil Eye“ bis hin zu „Nocturne“ zogen. Natürlich ist es nicht ganz fair und auch nicht wirklich nötig, diese Filme miteinander zu vergleichen und in einen Konkurrenzkampf zu zwingen. Streng genommen ist auch die Reihenfolge dieser Filme irrelevant. Wer „Nocturne“ als ersten und vielleicht auch einzigen Blumhouse/Prime Film auswählt, hat garantiert nichts falsch gemacht. Im Gegenteil.

Angstneurosen, Familienbände und eine vielleicht/vielleicht auch nicht übernatürliche Bedrohung mittendrin. Nimmt man „The Lie“ als kleine Ausnahme, ist die Verwandtschaft dieser Filme nicht zu übersehen. „Nocturne“ stellt uns die Zwillinge Juliet (Sydney Sweeney) und Vivian (Madison Iseman) vor, die schon als Kinder erfolgreich am Klavier saßen und nun beide an der renommierten Lindberg Akademie für Musik und Kunst studieren. Doch wo Vivians Talent augenscheinlich naturgegeben ist, sie entspannt, erfolgreich und in einer festen Beziehung ist, da verkrampft Juliet, ist zu verkopft, zu verkrampft und bald schon verzweifelt, dass sie einige der besten Jahre ihres Lebens für eine Karriere geopfert hat, die ihr möglicherweise verwehrt bleibt. Dann fällt Juliet plötzlich das Notizheft einer Studentin in die Hände, die sich erst vor wenigen Wochen aus einem Fenster in den Tod gestürzt hatte. In dem Notizheft finden sich Noten und seltsame Zeichnungen, die auf einen okkulten Ritus hindeuten. Juliet ist sofort fasziniert von diesen Aufzeichnungen und merkt nicht, wie sich ihre Persönlichkeit verändert.

© Amazon Studios / Blumhouse

So ganz kommt man in der Besprechung um die Vergleiche doch nicht herum. Von allen vier Filmen kommt „Nocturne“ am besten damit klar, auch ein Horrorfilm sein zu müssen. Mehr als ein kleiner Hauch „Black Swan“ schwingt mit, wenn sich Juliet in ihren Versagensängsten, ihrem inneren und äußeren Druck auf eine Abwärtsspirale begibt. Für eine Weile nutzt der Film das möglicherweise satanische Ritualbuch geschickt, um Juliets Panik zu kommentieren und zu verschärfen. Die Einflüsse des Übernatürlichen könnten real sein, sie könnten aber auch die Projektion einer zerbrochenen, nach Hilfe und Unterstützung suchenden Psyche sein. Diese Möglichkeit bespricht das Script sogar direkt, wenn sich Juliet mit einem Freund über die jüngsten Vorfälle unterhält. In der gelben Sonne findet der Film sogar ein erfrischendes und effektives Symbol, um den jenseitigen Einfluss darzustellen, noch verstärkt durch ein paar clevere akustische und musikalische Einspieler.

Doch alles Gute kommt irgendwann zu einem Ende. Trotz engagierter und talentierter Hauptdarsteller bleibt die Schwesternbeziehung unterentwickelt, zu oft ein Spielball in Genreklischees und zu wenig ein Objekt unter dem erzählerischen Mikroskop. Die Idee vom Leistungsdruck einer Kunstakademie, wie dieser Druck Versagensängste und Panik im einzelnen Studenten auslösen kann, wie der Wettkampfgedanke ein eigentlich harmonisches Schwesternpaar auseinander driften lässt, ist spannend, trägt in der hier dargestellten Form aber keinen ganzen Film. Und zu allem Überfluss wird die Genrepflicht auch diesem Film auf den letzten Metern zum Verhängnis. Der Verdacht liegt nahe, dass „Nocturne“ ohne seine Horrorverbindungen als Psychodrama ein runderes Erlebnis geworden wäre. Nur hätte sich dann vermutlich „niemand“ nach diesem Film umgesehen.

Fazit:
Vermutlich der beste Film der ersten vier „Welcome to Blumhouse“ Veröffentlichungen. Gute Darsteller, eine thematisch reizvolle Grundprämisse und sogar ein paar gelungene inszenatorische Kniffe beleben die erste Stunde, ehe man am Ende ein wenig den Faden verliert.

6/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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