BG Kritik: „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“

14. November 2021, Christian Mester

Der neueste Heldenfilm des Marvel Universums kungfu-t, was das Zeug hält und greift inhaltlich einige offene Themen auf, die vor über 10 Jahren mit den „Iron Man“ Filmen angefangen wurden. Auftritt eines formidablen neuen Avengers? Ab jetzt kostenlos bei Disney+ zu finden.

© Marvel – Trailerscreenshot https://youtu.be/8YjFbMbfXaQ

Wir erinnern uns: im ersten „Iron Man“ wurde Tony Stark von seinem Kollegen Obediah Stane (Jeff Bridges) verraten, der Starks Firma für sich haben wollte. Dafür engagierte er ein paar Terroristen, Tony zu entführen und letzten Endes von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Eben diese Terroristen gehörten zu der Gruppe The Ten Rings, die mit ihrem Erscheinen einen berühmten Marvel Bösewicht ankündigten: den Mandarin. Dieser trat dann auch in „Iron Man 3“ in Erscheinung, gespielt von einem überaus theatralischen Ben Kingsley. Im wohl größten aller Twists der ganzen Marvel Reihe stellte sich heraus, dass dieser Mandarin gar nicht echt und nur ein engagierter Schauspieler war, der den wahren Drahtzieher, Starks anderen Rivalen Aldrich Killian (Guy Pearce), verschleiern sollte. Nachdem Fans sich darüber beschwerten, dass die berühmte Comicfigur nun für einen reinen Witz verbraucht worden war, gab es dann auf der „Thor 2“ Blu-ray einen Kurzfilm, in dem der falsche Mandarin im Gefängnis davon hört, dass es tatsächlich einen echten gibt.

Und dieser spielt nun eine wichtige Rolle in „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“. Wie sich herausstellt, ist er ein chinesischer, unsterblicher alter Herrscher, der mit Hilfe 10 magischer Armringe seit über tausend Jahren eine geheime Basis leitet und eine ganze Gruppe von Kung Fu Kämpfern hat, mit denen er immer wieder ins Weltgeschehen eingreift. Mittelpunkt dieses Films ist nun sein Sohn Shang-Chi, der seinen Vater in jungen Jahren verließ und seither als Shaun ein unauffälliges Leben in San Francisco führt. Die Vergangenheit holt ihn jedoch ein, als die Schergen seines Vaters (u.a. Florian Munteanu, Dragos Sohn aus „Creed II“) ihn aufspüren und ihm eine Prophezeihung mit Drachen, Seelenfressern und dergleichen aufzwingen…

Bricht Marvel langsam zu neuen Ufern auf? Natürlich ist „Shang-Chi“ im Großen und Ganzen ein völlig typischer Marvel Film mit familienfreundlicher Action, obligatorischem Spektakel, lustigen Onelinern und einfach gestrickten Charakterentwicklungen, es ist aber auch ein auffälliger Film mit hauptsächlich chinesisch(aussehend)er Besetzung und chinesischen kulturellen Elementen (sprich, einfachen Klischees wie fliegende lange Drachen, Martial Arts und Drachenhunde) und wirkt damit ein klein wenig wie eine Marvel McDonalds Themenwoche, nachdem „Black Panther“ zuvor Afrika feiern ließ. Dann gabs dieses Jahr nach über 20 Filmen mit „Black Widow“ auch noch den ersten mit einer Frau in der Hauptrolle, und nebenan haben die „Eternals“ die erste onscreen-Sexszene und ein gleichgeschlechtliches Paar. Löbliche Progressivität oder bloß ein Versuch, Trends zu folgen?

Sieht man die Sache noch etwas zynischer, hat Marvel mittlerweile registriert, dass das chinesische Kino das weltweite Box Office dominiert. Allein dieses Jahr sind die Plätze 1, 3 und 4 der weltweit größten Erfolge alles chinesische Werke. Da ist es also nur logisch, dass Powerhouse Disney nichts unversucht lässt, auch dieses Zielpublikum für sich zu gewinnen… allerdings hat Hauptdarsteller Simu Liu diesem Versuch, in China groß abzuräumen, selbst einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nicht aber mit dem Film selbst – weil er sich 2017 kritisch über die Regierung geäußert hatte, wurde dem Film schlichtweg keine Starterlaubnis erteilt. Ärgerlich für Disney und Marvel, denen so vermutlich ein dreistelliger Millionenbetrag entgangen ist.

Wer jetzt anmerkt, dass die Figur Shang-Chi als Comic-Vorlage doch selbst schon 50 Jahre alt ist, muss auch registrieren, dass sie trotzdem schon damals ein Versuch war, auf Trends aufzuspringen, genauer gesagt auf Bruce Lee und die damalige Martial Arts Serie „Kung Fu“ mit David Carradine. Dementsprechend passt es eigentlich wie die Faust aufs Kantholz, dass auch der Shang-Chi der Moderne auf die Trends der Moderne aufspringt und brav seine erwartete Kata durchläuft.

Mal von dem ganzen Hintergrundkrams abgesehen – ist „Shang-Chi“ denn ein ordentlicher neuer Held? Zugegeben, Simu Liu wirkt anfangs recht hölzern und nicht allzu charismatisch, doch nach einigen Filmminuten gibt sich das. Es ist auch Gold wert, dass er von der schrägen Akwafina begleitet wird, die dem stevenseagaligen Liu mit entsprechend Expressionen und Humor aushilft. Zusammen ergeben die beiden ein amüsantes Gespann ab, die hier ein zwar recht übertrieben ausuferndes Fantasyabenteuer erleben, damit aber halbwegs auch an einen alten John Carpenter Klassiker erinnern: „Big Trouble in Little China“. Ob sie mit anderen Marvel Figuren harmonieren können, wird sich erst noch zeigen müssen, aber Shang-Chis Superkräfte allein dürften interessante Unterstützung darbieten.

„Shang-Chi“ ist rundum recht okay gemacht, in technischer Hinsicht gibt es einen auffälligen Makel: immer wieder wird deutlich, dass nahezu alles vor Greenscreenleinwänden gedreht worden ist. Bei einigen Szenen, wie etwa einem Ritt auf einem Drachen oder einem destruktiven Kampf in einem Bus ist das nachvollziehbar, aber auch bei banalen Setmomenten in einem Wald zum Beispiel wird immer wieder ersichtlich, dass fast jeder Hintergrund aus dem Computer stammt. Mag an Corona-Maßnahmen liegen, verleiht dem Film aber nonstop einen unnötig künstlichen Filmlook, den andere Marvels zuvor so nicht hatten.

Andere MCU Filme muss man für diesen nicht kennen, aber für Fans gibt es das ein oder andere Easteregg zu finden. Amüsant ist zB ein Kurzauftritt von Doctor Stranges Gehilfen Wong und dem Monster Abomination aus dem alten „Der unglaubliche Hulk“ mit Edward Norton. Wichtig für die Zukunft dürfte auch die erste der beiden Post Credits Szenen sein, die wahrscheinlich den nächsten Big Bad nach Thanos anteasert.

Fazit:

Wer mit den bisherigen Marvels nichts anfangen konnte, wird auch hier gelangweilt die Nase rümpfen und die offensichtlich gänzlich oberflächliche Verarbeitung asiatischer Kulturelemente kritisch betrachten, doch wer hingegen Fan ist, bekommt wieder etwas Abwechslung. Schon „Iron Fist“ und „Daredevil“ bedienten sich Martial Arts als Kernthema (wenn auch rauer und blutiger), aber „Shang-Chi“ ist die erste Big Budget Umsetzung. Die macht zwar alles familienfreundlich glatt und kurzweilig, spendiert dafür aber jede Menge Spektakel.

7/10

Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

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