BG Kritik: „Bridge of Spies – Der Unterhändler“
Der neue Spielberg: Die 1950er. Mit den USA und der Sowjetunion stehen zwei Weltmächte im Kalten Krieg, die sich nur durch die gegenseitig angedrohte nukleare Vernichtung in Schach halten. Als der russische Spion Rudolph Abel (Rylance) in den USA geschnappt wird, will man ein Exempel statuieren, ihm einen fairen Prozess gewähren, um sich von den vermeintlich barbarischen Sowjets abzugrenzen. Als Verteidiger wird James Donovan (Hanks) ausgewählt, der nicht nur die eigentlich geplante Todesstrafe für Abel umgeht, sondern bald auch einen Gefangenenaustausch in die Wege leiten soll, als ein amerikanischer Pilot über russischem Gebiet abgeschossen und gefangen genommen wird. Nach wahren Begebenheiten.
Bridge of Spies – Der Unterhändler
(Originaltitel: Bridge of Spies | USA, Deutschland 2015)
Regie: Steven Spielberg
Darsteller: Tom Hanks, Mark Rylance, Austin Stowell, Alan Alda
Kinostart Deutschland: 25. November 2015
Ein echter Spielberg und ein echter Prüfstein bei der Frage, was das eigentlich heißt.
Obwohl es zurzeit wahrscheinlich keine zehn noch aktiven Regisseure gibt, die Kino so gut verstehen, so sehr verinnerlicht haben wie Steven Spielberg, hat dieser einen verhältnismäßig durchwachsenen Ruf. Die Welt ist sich bei der unantastbaren Meisterschaft von „Jäger des verlorenen Schatzes“, „Der Weiße Hai“, „E.T.“ und „Jurassic Park“ größtenteils einig, doch immer wenn Spielberg ernst macht, wenn er politisch wird und auf klassische Unterhaltung und auf Spektakel verzichtet, ist es mit der Einigkeit vorbei. Das liegt einerseits in der Natur der Sache; etwas Ernstes, etwas augenscheinlich Wichtiges erfordert eine ernsthaftere Auseinandersetzung und erzwingt demnach kritischere Stimmen. Doch bei Spielberg hat diese Meinungsstreuung ganz konkret mit seinem Stil, mit seiner generellen Handschrift als Regisseur zu tun. Das Kino der Marke Steven Spielberg ist groß und wirkungsvoll, manchmal dann auch zu groß, zu sehr verliebt in große, schöne Bilder und effektvolle Einzelmomente. Form und Text sind bei ihm zum allergrößten Teil frei von Ambivalenz, was durch eine grundsätzlich humanistisch-hoffnungsvolle Weltsicht noch verstärkt wird. So gibt es in einem Spielberg Film selten größere Zweifel daran was passiert und wie wir das zu finden haben. Das Spielberg Kino wirkt in seinen besten Momenten so gut, weil es unmissverständlich und gnadenlos effektiv ist.
Ein anderer „Bridge of Spies“ ist nur zu gut vorstellbar. Die wahre Geschichte von Anwalt James „Joe“ Donovan, die sich als Paranoia- und Propagandathriller im Kalten Krieg entwickelt, in einer Welt der allgegenwärtigen Unsicherheit, in der man sich auf nichts und niemanden verlassen kann. Spielberg greift diese Elemente auf, setzt durch gewohnt effektiven Schnitt einige enorm wirkungsvolle Übergänge und Parallelen, wenn Gerichtssaal, Militärbasis oder Grundschüler beim Fahneneid kombiniert werden. Über weit geöffnete, teils tränenfeuchte Kinderaugen lässt Spielberg die Bilder atomarer Explosionen donnern, als Aufklärungs- und Sicherheitsvideos zur drohenden nuklearen Katastrophe in der Schule gezeigt werden. Zuhause begegnet Donovan, der noch vor einer Woche ein hochangesehener, aber einfacher Versicherungsanwalt war, seinem etwa zehnjährigen Sohn, der die Angst vor der ultimativen Katastrophe schon weit verinnerlicht hat und dem Vater mit vorsichtigen Fragen leise Vorwürfe macht, warum dieser einem Feind, einem Verursacher dieser nuklearen Angst, durch einen engagiert und anständig geführten Prozess hilft.
Väter und ihre Söhne spielen bei Spielberg seit jeher eine große Rolle und werden weiterhin eine große Rolle spielen, solange der Mann mit Bart und Basecap Filme dreht. Doch seit einiger Zeit dreht sich der künstlerische Kosmos Spielbergs um ein anderes, ein weitaus komplexeres Thema. Auch das ist so eine Sache, die gerne mal ignoriert wird; Spielberg als ein so genannter Auteur, ein Autorenfilmer, dessen Filme auch im filmographischen Gesamtkontext eine Bedeutung entwickeln. Weil das so häufig so gut geklappt hat, wollen wir von Spielberg häufig einfach nur bespaßt werden und geben uns damit zufrieden. Doch spätestens mit „Schindlers Liste“ setzte ein Prozess ein, der den Typus Steven Spielberg stärker beherrscht als jede Vater/Sohn Problematik. Seit also mehr als zwanzig Jahren dreht sich das Wesen Spielbergs um die Frage nach dem Wert des menschlichen Lebens, nach dem Wert und auch dem Preis – zwei unterschiedliche Dinge – insbesondere eines einzelnen Menschenlebens, was die Rettung und auch die Auslöschung dieses Lebens für Folgen haben könnte. „Bridge of Spies“ ist die Kulmination von allem, was seit „Schindlers Liste“ behandelt wurde, sei es bei „James Ryan“, „Minority Report“ oder „München“. Als „wahres“ Porträt eines bescheidenen und doch unschätzbaren Helden, dessen Wirken vor dem Hintergrund eines realen Krieges dargebracht wird, ist „Bridge of Spies“ der perfekte Schlusspunkt im Dreisatz nach Schindler und „Lincoln“.
Unbestreitbar ist „Bridge of Spies“ trotz seiner grundsätzlich ernsten und dialogreichen Art ein weniger trockener Film als „Lincoln“, weniger theaterhaft, vielleicht sogar weniger komplex, aber ganz gewiss nicht weniger relevant. In Zeiten einer neuen globalen Terrorwelle, in der neue Kriegsangst auch die so sicher geglaubten westlichen Industrienationen erreicht oder längst eingeholt hat, wenn potentielle US-Präsidentschaftskandidaten im aktionistischen Irrsinn die kategorische Schließung sämtlicher Moscheen fordern, inszeniert Spielberg einen Film über einen Mann als Verteidiger gegen die Angst, der nicht bereit ist, auf drohende Gefahr seine Menschlichkeit und Würde zu opfern. Vieles davon präsentiert Spielberg als reinen Text, häufig unmittelbar und unmissverständlich aus dem Mund von Tom Hanks, der hier die ganze Bandbreite seines Typs fantastisch ausspielt, um Joe Donovan zu einem zuweilen sehr direkten, aber hochanständigen und ebenso engagierten Mann zu machen. Das Entscheidende ist, dass es Spielberg – und Hanks – nicht bei den Dialogen belässt, dass er es schon immer wie kein Zweiter verstanden hat, der Deutlichkeit seiner Worte ein inszenatorisches Fundament zu verpassen. Spielberg verdient sich diese Offensichtlichkeit, verdient sich die Hoffnung, um die er hier so hochmotiviert kämpft, als wäre sie das höchste Gut auf Erden.
Donovans Odyssee führt ihn nach Verhandlungen in den USA bald ins geteilte Berlin, wo sich selbst die UdSSR und die noch junge DDR misstrauisch gegenüber stehen, wo eine Mauer als Mahnmal der Angst, der Illusion falscher Absicherung, mitten durch die Stadt gebaut wird. Trotz ständiger Kälte, mangelhafter Bekleidung und einem zehrenden Hin und Her im Tauziehen um nicht einen, sondern bald auch einen zweiten Amerikaner als Gegengewicht zum russischen Spion, hält Donovan an seinen Zielen fest. Für den sicheren Wechsel dreier Individuen ist er bereit alles zu riskieren, vom fragilen Schein-Frieden des Kalten Krieges bis zu seiner Karriere und seiner Familie. Diese muss unmittelbar erleben, wie die amerikanische Öffentlichkeit auf den vermeintlichen Kommunistenfreund reagiert, dessen Ideale der Menschlichkeit in dieser Welt schnell so naiv, so fehl am Platz wirken und gerade deshalb so ungeheuer wichtig sind. Nach ersten zehn Minuten in beinahe-Perfektion zerläuft „Bridge of Spies“ im Mittelteil ein wenig, und die Freundschaft Donovans – der eigentlich ganz konsequent jede Person als abstraktes Prinzip eines Menschen sieht – zu Spion Abel steht auf wackligen Beinen. Doch als Gesamtleistung ist „Bridge of Spies“ ein mitreißender und zurzeit unbestreitbar wichtiger Film, der einen nimmermüden Regisseur hat, der seine enorm bewegliche, aber auch klare Kamera immer dorthin bewegt, wo sie den größten Nutzen erzielt. Selten wurde ein Engagement gegen Angst und für Hoffnung so anschaulich umgesetzt. Spielberg zeigt an zwei Stellen des Films jeweils eine kleine Gruppe Menschen, die über eine Mauer klettern und springen, um auf die andere Seite zu kommen. Der Zynismus unserer Welt verleitet uns dazu, diese beiden Szenen in eine gewisse Reihenfolge zu setzen, um einen Zusammenhang und eine Aussage herbeizuführen. Wir brauchen Spielberg, weil er diese beiden Mauerszenen anders zueinander Bezug nehmen lässt, als die meisten von uns es wahrscheinlich getan hätten.
Fazit:
Mitreißende, spannende und tatsächlich wichtige historische Aufarbeitung, die Steven Spielberg mit einem großartigen Tom Hanks in der Hauptrolle zu einem überaus engagierten Appell formiert.
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