Treasure Tuesday Spezialkritik: „Die Marx Brothers im Krieg“ („Duck Soup“)

10. November 2020, Christian Westhus

Comedy altert schlecht, heißt es. Aber von manchen Komödien der Stummfilm- und frühen Tonfilmjahre kann heutige Comedy noch etwas lernen. Zum Beispiel von den Marx Brothers in Form von „Die Marx Brothers im Krieg“ (1933), unser heutiger Treasure Tuesday Tipp. Jeden Dienstag auf Erkundungstour gehen. Wir stöbern nach vergessenen Filmen, unterschätzten Filmen, alten Filmen, fremdsprachigen Filmen. Nach Filmen die sich lohnen, auch wenn gerade nicht die halbe Welt über sie spricht.

© Paramount / Universal Pictures Home Entertainment (D)

Die Marx Brothers im Krieg
(Originaltitel: Duck Soup | USA 1933)
Regie: Leo McCarey
Darsteller: Groucho Marx, Harpo Marx, Chico Marx, Zeppo Marx
Kinostart Deutschland: 15. Juli 1949

Was ist das für ein Film?
Vielleicht der größte Klassiker und beste Film der Marx Brothers. Die vier (manchmal drei und eigentlich fünf) Brüder sind weniger als große Geschichtenerzähler bekannt, dafür als Meister des gepflegten Irrsinns. Narrative wird hier klein geschrieben („narrative“), um einer nicht enden wollenden Aneinanderreihung absurder und beknackter und noch beknackter werdenden Gags eine Bühne zu bieten.

Da ihn die reiche Witwe Teasdale (Margaret Dumont) verehrt, wird Rufus T. Firefly (Groucho) trotz fehlender Qualifikationen der neue Regierungschef im kleinen Land namens Freedonia. Der Staat steht kurz vor dem finanziellen Ruin und ahnt noch nicht, dass der große Nachbarstaat Sylvania die Eroberung Freedonias plant. So schickt Sylvania hinterlistig zwei Spione (Chico und Harpo), die von Firefly aber direkt zu freedonischen Ministern ernannt werden. Warum auch nicht. Nach Zwischenfällen mit einem Limonadenverkäufer, einem großen Spiegel und Verwirrungen rund um Botschafter Trentino eskaliert die Situation. Es kommt zum Krieg! Und das Parlament des hoffnungslos unterlegenen Freedonia singt und tanzt vor Freude.

Warum sollte mich das interessieren?
Die Marx Brothers gehören zu den größten Namen der amerikanischen Comedy-Filmgeschichte. Häufig mit Laurel und Hardy in einen Topf geworfen, stehen die Brüder eher in der Vaudeville-Tradition, die auch Buster Keaton und Harold Lloyd ausmachte. Die zirkusartige Sketchnummern-Revue mit Slapstick, Musik, Gesang und absurden Gags ist das Kernelement der Brüder. Doch blieben Keaton und Lloyd fast ausnahmslos „stumm“, entwickelte sich die Filmkarriere der Marx Brothers im Tonfilm. Der im besten Sinne „hirnverbrannte“ Wortwitz der Filme, verpackt in wildem Slapstick, hat vielleicht auch ein paar Ähnlichkeiten mit Abbott und Costello. Und obwohl natürlich anders, dürfte es die Monty Python ohne die Marx Brothers in der Form vermutlich nicht gegeben haben. Der Kern der Gruppe besteht aus Groucho, der arrogante Zyniker mit Brille, Zigarre und aufgemaltem „Schnurrbart“, Chico, das italo-amerikanische Großmaul, und Harpo, der stumme Kindskopf mit Harfe, den markanten Locken und allerhand verrückter Utensilien in Griffweite. In diesem Film ist zudem auch Zeppo dabei, der Vernünftige, der in den weiteren Jahren vermehrt hinter den Kulissen arbeitete.

„Die Marx Brothers im Krieg“ alias „Duck Soup“ war zunächst ein Rückschlag in der Filmkarriere der Komikertruppe, entwickelte sich im Laufe der Jahre aber zu ihrem vielleicht beliebtesten Film. Es ist die ideale Kombination aus grenzenlosem Irrsinn, unkontrollierbarem Einfallsreichtum und einer Behelfsstory, die trotz (oder wegen?) ihrer genialen Idiotie ein paar erstaunliche Wirkungsebenen erhält. Die Marx Brothers sind natürlich nicht Armondo Iannucci („Veep“, „The Death of Stalin“) und doch trägt dieser Film das Attribut „Kriegssatire“ nicht ohne Grund. Es ist Kriegssatire im Marx Brothers Modus. Da hagelt es ein gutes Dutzend saudämlicher und irrwitzig-genialer Sprüche und Aktionen pro Minute, wenn schon die Ernennung Fireflys mit geschliffenen Seitenhieben kommentiert wird. Auch von Firefly selbst. Ein „Kopfbedeckung wechsle dich“ Spiel mit einem Limonadenverkäufer ist hingegen ein für die eigentliche Handlung irrelevanter Sketch, der ganz auf Chico und Harpo zugeschnitten ist, die größten Kasper und Vorläufer heutiger „Trolle“. Ein gar tödliches Trinkspiel könnte veranstaltet werden für jede Situation, in der der gleichermaßen kindlich-unschuldige und doch auch hinterlistige Harpo irgendeinen Gegenstand einfach abschneidet, zum Beispiel eine absurde Schreibfeder oder eine angesteckte Zigarre

Das ist natürlich fast ausnahmslos bescheuert, aber eben genial bescheuert und ohne den geringsten Zweifel durchgezogen. Die Pointe eines Kalauers über die Vorzüge einer stehenden Armee kann man sich vermutlich bereits denken und doch ist es hier einfach zu komisch. Und selbst wenn nicht… während man noch über diesen vielleicht zu abgestandenen Gag grummelt, wurden schon wieder zehn neue präsentiert. Die Grenzenlosigkeit des Absurden wirkt noch bis heute, wenn Harpo beispielsweise sein „Zuhause“ zeigt, in Form einer Tätowierung auf seiner Brust. Was dann in diesem „Haus“ zu sehen ist, muss man einfach selbst erlebt haben. Die Kernszene dreht sich um einen großen Spiegel und die Vermutung des Betrachters, er könnte getäuscht werden. Es ist ein Meisterstück der Slapstick-Comedy, mehrfach kopiert, nie erreicht und zum Schreien komisch – wenn man sich denn darauf einlassen kann. Denn natürlich sind die Gags der Brüder fast 90 Jahre alt, in ihrer Bühnenprägung noch um eine Ecke älter. Und dennoch demonstrieren diese Filme – und insbesondere eben dieser – dass selbst die verrücktesten Komödien unserer Zeit noch mit angezogener Handbremse unterwegs sind.

Auf DVD erhältlich.

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Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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