Treasure Tuesday Spezialkritik: Zeuge einer Verschwörung

23. Juni 2020, Christian Westhus

Gemeinsam neue Filme entdecken. Zum Beispiel einen der ausgewählten Schätze, die wir wöchentlich beim Treasure Tuesday vorstellen. Vergessene Filme, unterschätzte Filme, alte Filme, fremdsprachige Filme. Filme die sich lohnen, auch wenn gerade nicht die halbe Welt über sie spricht. Die Welt ist kompliziert, also schauen wir heute ganz genau hin, wenn uns Regisseur Alan J. Pakula als ZEUGE EINER VERSCHWÖRUNG (1974) einlädt.

© Paramount

Zeuge einer Verschwörung
(Originaltitel: The Parallax View | USA 1974)
Regie: Alan J. Pakula
Darsteller: Warren Beatty, Paula Prentiss, William Daniels, Hume Cronyn u.a.

Was ist das für ein Film?
Ein Verschwörungsthriller Mini-Klassiker von Regisseur Alan J. Pakula. Ein Präsidentschaftskandidat wird in Seattle ermordet. Der Verantwortliche, ein Einzeltäter, inzwischen tot. TV-Moderatorin Lee Carter war damals dabei und glaubt nicht an die Einzeltäter-Theorie. Sie hat mehr gesehen, wie sie ihrem Freund Joseph Frady (Warren Beatty) erklärt. Und sie stellt irgendwann fest, dass andere potentielle Zeugen des Attentats auf mysteriöse Weise verschwinden oder durch Unfälle sterben. Auch sie hat Angst um ihr Leben. Frady, der diese Theorie zunächst belächelt, realisiert schließlich doch den Ernst der Lage und die Gefahr, in der Lee und er schweben. Frady ermittelt auf eigene Faust, gerät an die geheimnisvolle Parallax Corporation und befindet sich bald mitten im Schussfeld einer größeren politischen Intrige.

Warum sollte mich das interessieren?
Verschwörungsthriller haben eine lange Tradition und sorgen seit jeher für große Faszination. Unter anderem, da von ihnen doppeltes Gefahrenpotential ausgeht. Denn einerseits umgibt jedes vermeintlich fiktive filmische Verschwörungsszenario immer die Frage: „Was, wenn es wirklich so/so ähnlich abläuft?“ Und andererseits laufen solche Gedankenspiele immerzu Gefahr, mentale und realweltliche Türen zu öffnen, Vernunftfilter zu umgehen und zerstörerischem Unsinn Einlass zu gewähren. Die Hintergründe Hollywood’scher Verschwörungsthriller sind seit jeher ein Stück weit real, ganz egal wie sehr man einfach nur unterhaltsamen „Thrill“ liefern möchte.

Im amerikanischen Kino gab es Nazi-Verschwörungen in den 40ern und Kommunistenverschwörungen in den 50ern und 60ern. Hitchcock drehte z.B. Filme über beides (u.a. NOTORIOUS, TORN CURTAIN). John Frankenheimers BOTSCHAFTER DER ANGST („The Manchurian Candidate“, 1962) ist der große Klassiker der fiktiven Verschwörungsthriller, zu denen auch BLOW OUT von Hitchcock-Verehrer Brian de Palma gehört. Auf der anderen Seite stehen DIE UNBESTECHLICHEN (ebenfalls von Regisseur Pakula) und Oliver Stones JFK, die entweder eine ganz reale politische Verschwörung (Watergate) aufgreifen oder die sich einem realhistorischen Vorfall (das Kennedy Attentat) über eine mögliche Verschwörungstheorie nähern. THE PARALLAX VIEW befindet sich irgendwo dazwischen, klar fiktiv und sicherlich näher bei Frankenheimers Klassiker, und doch irgendwie weniger weit hergeholt und dabei direkter.

Regisseur Pakula hatte ein besonderes Interesse an solchen Stoffen. Neben genannten Klassikern schuf er auch den exzellenten modernen Quasi-Noir KLUTE (1971), den Harrison Ford Krimi AUS MANGEL AN BEWEISEN (1990), durfte selbstverständlich einen John Grisham Roman verfilmen (DIE AKTE, 1993) und lieferte mit seinem letzten Film VERTRAUTER FEIND (1997) abermals einen Thriller um Anschläge, Terroristen und doppelte Identitäten ab. Dass er dazwischen auch den Meryl Streep Über-Klassiker SOPHIES ENTSCHEIDUNG (1982) drehte, ragt in dieser Filmographie irgendwie heraus.
Eingefangen von DER PATE Kamerameister Gordon Willis ist ZEUGE EINER VERSCHWÖRUNG wunderbar altmodisches Spannungskino, mit der richtigen Mixtur aus Dringlichkeit, theoretischer Gefahr und konventioneller Genreunterhaltung, bis hin zum überraschenden Schluss. Es ist der nächste Schritt für Genrefreunde, die die genannten Verschwörungsklassiker schon abgegrast haben, aber auch ein guter Film, um einen oft unterschätzten Regisseur noch etwas besser kennen zu lernen.

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Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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