BG Kritik: „High Life“
Eine Crew aus ehemaligen Kriminellen befindet sich auf einer Mission zu einem schwarzen Loch. Ein Mann (Robert Pattinson) und ein Säugling sind lange Zeit auf sich allein gestellt. Und das Hauptaufgabenfeld der Wissenschaftlerin am Bord dreht sich um Fortpflanzung. Natürlich.
High Life (UK, USA, Frankreich, Deutschland, Polen 2018/19)
Regie: Claire Denis
Darsteller: Robert Pattinson, Juliette Binoche, Mia Goth u.a.
Gleich zu Beginn von „High Life“ sehen wir Robert Pattinson alias Monte bei Außenarbeiten am Raumschiff, als ihm etwas aus der Hand rutscht und herunterfällt. Ja, herunterfällt. Es rollt die Außenseite entlang und plumpst dann hinab, nach unten, in die, äh, Tiefen des Alls. Wie man mit dieser physikalischen Unsinnigkeit umgeht, könnte schon früh darüber entscheiden, ob man für den neuen Film von Regisseurin Claire Denis empfänglich ist. Auf der einen Seite ist es ein absolutes No-Go des Science-Fiction Genres, auf der anderen Seite könnte es ein Statement sein, ein provozierender Aufruf, sämtliche klassischen Genreerwartungen abzulegen, wenn nicht gar komplett zu vergessen. Wenn wenige Minuten später erneut gleich mehrere Dinge hintereinander hinabplumpsen, liegt der Verdacht nahe, dass es nicht einfach nur ein Fehler war. Erwartungen sollen sofort konfrontiert und gesteuert werden. Natürlich ist „High Life“ kein „Star Trek“, ist nicht einmal ein „Sunshine“. Die Ähnlichkeiten mit Tarkowski sind irgendwo logisch, liegen aber eher bei „Stalker“ als bei „Solaris“. Der erste englischsprachige Film der seit jeher unangepassten und provokativen Claire Denis macht mit Weltraum Science-Fiction in etwa das, was Michael Haneke in „Wolfzeit“ mit dem Endzeitthriller machte.
Die Crew dieses eigenartig kastenförmigen Raumschiffs besteht aus Kriminellen, aus gescheiterten Seelen, die auf der Erde einer vage chaotischen Zukunft entweder auf die Todesstrafe warten oder sich dieser Mission zur Erforschung eines schwarzen Lochs anschließen konnten. Doch dies wissen wir zunächst nicht. Zunächst sind wir mit Monte und einem Kleinkind allein, sehen den täglichen Ablauf auf dem Schiff, den Garten an Bord, das Recyclingprogramm und den Protokollcomputer, der über die Fortsetzung der Systeme entscheidet. Es dauert eine Weile, ehe Denis zurückblendet; erst zu einem verhängnisvollen Moment in Montes Kindheit, dann etwa drei Jahre nach dem Start der Mission, angeblich ungefähr auf halber Strecke und mit noch vollständiger Crew.
Claire Denis ist in ihren Werken nicht am Plot interessiert. Ihre Filme sind Beobachtungen und Reisen, oft elliptisch erzählt, mit Auslassungen, mit einer gelegentlich radikalen Vermeidung von hintergründigen Erklärungen. So finden wir es im Fremdenlegionsdrama „Beau Travail“, in „White Material“, der Geschichte eine Französin, die in Afrika eine Kaffeeplantage betreibt, oder in „Trouble every Day“, der in etwa so sehr Horrorfilm ist wie „High Life“ Science-Fiction. Es ist nur verständlich, die gesamte Weltraummission auf dem Weg zum schwarzen Loch hinterfragen zu wollen, nach einem klareren Ziel zu suchen, oder die gesamte Durchführung aus logischen und logistischen Gründen von Anfang bis Ende anzuzweifeln. Es ist keine Schande, beißt man sich daran die Zähne aus und trudelt vom Film weg, sieht ihn unaufhaltsam in die Ferne rücken, verloren in der Schwerelosigkeit des Alls. Doch Denis spielt so ihre eigentlichen Ziele durch, schickt ihre Figuren in eine Extremsituation und lässt sie auf Umstände reagieren, die sich immer weiter verfinstern.
„High Life“ ist weder angenehm noch einfach. Das schwarze Loch wird immer stärker zu einem Bild, zu einem Symbol der Gemütslage der Protagonisten; ein gewaltiges, alles verschlingendes und endlos finsteres „Nichts“. Die Besatzung realisiert irgendwann, auf jeweils unterschiedliche Art und Weise, dass sie Teil des strengen Recyclingprotokolls sind, dass ihre gescheiterten Leben neu verfeuert werden, einen Prozess durchlaufen wie das Wasser auf dem Weg von Schwarzwasser über Grauwasser bis Weißwasser. Und dabei haben wir noch gar nicht über Dr. Dips (Binoche) gesprochen, ebenfalls eine Kriminelle, die als Medizinerin dennoch so etwas wie die Anführerin und Chefin ist. Ihr Forschungsgebiet ist Fortpflanzung, wofür sie regelmäßig Samenspenden der männlichen Besatzung nimmt. Mit Lust hat das wenig zu tun. Lust findet in der „Fick Box“ statt, einem Raum zur Selbstbefriedigung, den Denis inszeniert wie den Ritt auf der Kanonenkugel. Es ist auch, aber nicht ausschließlich sexuelle Frustration, die immer wieder zu Konflikten und auch zu Gewalt führt. Es ist kein Zufall, dass Denis einen gewaltsamen Übergriff zweimal inszeniert, von zwei verschiedenen Personen an zwei verschiedenen Opfern in gänzlich unterschiedlicher Art und Weise. Hier, so scheint es, liegt Denis Kernanliegen, ihr Verständnis über menschliche Sozialisation und die Schwächen des Individuums. So oder so ähnlich haben wir es in vorherigen Filmen der Regisseurin gesehen. So sind die Szenen des Anfangs und des Endes eine Erweiterung und eine augenscheinlich optimistische, die sich dennoch so anfühlt wie Ethan Hawke am Ende von „First Reformed“.
Fazit:
Ungewöhnliche und schwierige Science-Fiction, zwischen Soziologie und Biologie. Und eigentlich nicht einmal wirklich Science-Fiction. Für ein ausgewähltes Publikum fraglos sehenswert.
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