BG Schocktober Kritik: „You’re Next“

20. Oktober 2020, Michael Essmann

Auch dieses Jahr wollen wir euch mit Horrortipps für den schaurigen Oktober nicht alleine lassen und bieten deshalb täglich einen neuen Beitrag aus unseren Horror-Archiven…und nicht immer muss es ein Tipp sein, sondern auch mal eine Warnung…

YOU’RE NEXT (2013)
Regisseur: Adam Wingard
Cast: Sharni Vinson, Nicholas Tucci, Wendy Glenn, Ti West

Story:
Eigentlich wollte Crispian Davidson nur die Gunst der Stunde nutzen, und bei der anstehenden Familienfeier zum 35. Hochzeitstag seiner Eltern, seine Freundin Erin offiziell allen Anwesenden vorzustellen. Doch als die Davidsons mitsamt Anhang gemütlich beisammen sitzen und das Glas erheben, durchbrechen maskierte und todbringende Eindringlinge das Beisammensein. Von nun an fließt nicht mehr Wein, sondern Blut.

Kritik:
Zuhause fühlen wir uns sicher und geborgen. Dass diese Annahme ein Trugschluss ist, davon erzählen immer mal wieder Filme aus dem (meist Horror) Sub-Genre des so genannten „Home Invasion“-Films. Sei es ein „Straw Dogs – Wer Gewalt sät“, „The Strangers“, „The Last House on the Left, „Panic Room“ oder auch ein „Kevin – Allein zu Haus“. Sie alle haben uns gegenteiliges gelehrt, und all diese Filme (und mehr) haben auch sichtlichen Einfluss auf das hier vorliegende Ergebnis gehabt. Nein, die eigenen Vier Wände bieten keinen effektiven Schutz. Für diesen muss man bei Bedarf selber Hand anlegen.

Genau in diese Kerbe schlägt nun auch Adam Wingards „You’re Next“. Aber Wingard (dessen Name vor allem durch Segmente in den Episoden Horrorfilmen „V/H/S“ („Tape 56″), „The ABCs of Death“ („Q Is for Quack“) und „S-V/H/S” („Phase I Clinical Trials“) geläufig sein dürfte) will nicht nur Altes neu aufgewärmt servieren, sondern scheinbar etwas Neues, Eigenes und Frisches schaffen und gleichzeitig eine Reminiszenz aus dem Sub-Genre quetschen. Dies beginnt bereits mit dem Eröffnungs-Kill, welcher die Atmosphäre und Richtung vorstellt, und auch ohne weiteres einem neuen „Scream“ entstammen könnte.

© Splendid Film

Besonderen Anteil an der Atmosphäre tragen wie so oft die mysteriösen Killer, die mit unheimlichen Tiermasken verdeckt ihrem perfiden Spiel und Plan nachgehen, und deutlich an die Eindringlinge aus „The Strangers“ erinnern, und ebenso wie diese definitiv nicht auf Gefangene aus sind. Das Ziel des Angriffs, – also der Trupp aus Familie Davidson und Anhang – ist hierbei wie Genre-üblich breit gefächert, und mit absolut annehmbaren und unterschiedlichen Charakteren ausgestattet, die Septimus Winners „Zehn kleine Negerlein“ entsprechend, nacheinander dahingehen. Die Figuren sind zwar ein wenig nach Klischee und Schema-F gebürstet, aber auch nicht schlechter als in vielen anderen großen Horror Filmen. Den Regeln des Genres entsprechend erweist sich natürlich eines dieser auserkorenen Opfer als deutlich widerstandsfähiger als die anderen, und mutiert zum Überlebenskünstler. Für dieses Cast-Mitglied heißt es ab da Waffen schnappen, und den Eindringlingen zeigen wo der (Fleisch)Hammer hängt. Und zur Waffe wird hier so einiges. Kreatives Morden für Anfänger wäre wohl ein passender Kursname, den Regisseur Adam Wingard basierend auf „You’re Next“ vergeben könnte. Da wird in „MacGyver“ Manier beinahe alles zu einer todbringenden Waffe verbunden, einmal tief Luft geholt und dann fast schon genussvoll zum Gegenschlag ausgeholt.

Adam Wingard inszeniert seinen Film sehr zielgerichtet und punktgenau und scheint damit ausdrücken zu wollen, wie genau er dieses Genre kennt und liebt. Immer wieder spielt er mit den Konventionen, und erlaubt sich hier und da Untergrabungen. Der Plot erweist sich hierbei als angenehm Twist gespickt, ohne zu übertreiben oder in eine unhaltbare Richtung abzugleiten. Er entkommt aber auch nicht allen Klischees, und auch nicht jeder Twist ist tatsächlich überraschend. Dafür erscheinen die Geschehnisse aber durchaus logisch. Selbiges gilt für die Motivation der Täter, welche nicht neu aber absolut brauchbar ist.

Auch scheint Herr Wingard genau zu wissen, wie sein Publikum tickt, was es wann braucht, und wie man es bei der Stange, Axt, Armbrust und Küchengerät hält. Aber hier geht es nicht um pure und platte Darstellung von aneinandergereihten Gräueltaten, stattdessen will „You’re Next“ vor allem unterhalten, und etwas fürs Eintrittsgeld bieten. Also lockert der Regisseur die Gewalt mit Überspitzungen und humorvollem Unterton auf, welcher mit einem bitterbösen Grinsen auf den Lippen daherkommt. Abgerundet wird durch einen tollen, und wunderbar eingesetzten Soundtrack, der ebenfalls zum stimmigen Gesamtwerk beiträgt.

Dies alles ist kombiniert ungemein wirkungsvoll, und so dosiert eingesetzt, dass der Schock trotz dem zwischenzeitlichem Moment des Grinsens nie die Glieder verlässt, aber diese genügend auflockert werden, um weiterhin am Ball zu bleiben, ohne alsbald gelangweilt oder übersättigt abzuschweifen. Durch diesen steten und sich wiederholenden Wechsel, entsteht ein homogener Mix aus sowohl Terror, Horror, Slasher, Horror-Comedy und Familien-Drama, welcher mal wieder beweist, dass man sehr wohl unterschiedliche Tonlagen in einem Film zu einem harmonischen Ganzen verweben kann. Davon können sich gerne einige Genre-Kollegen ihre blutige 250g Filet-Scheibe abschneiden. Zartbesaitete werden wohl trotz der auflockernden Momente, den einen oder anderen Szenenteil mit einem zugekniffenen Auge dahocken, während Genießer von Blutgerichten jeden Frame aufsaugen können, denn die Inszenierung zelebriert vielerorts das Geschehen geradezu, wenn beispielsweise eine Glasscherbe in Großaufnahme und schön langsam aus einer klaffenden Wunde gezogen wird.

Fazit:
Wingards Film ist nicht fehlerfrei, aber unterm Strich ein (Nagel)Brett, welches vielerorts Freuden-tränen in die Augen des Horrorkonsumenten treiben dürfte. Vielleicht der „Scream“, „SAW“, „The Cabin In The Woods“ des Jahres 2013. Und das obwohl schon 2011 gedreht, und beinahe im Schrank vergessen. Wäre dies geschehen, es wäre wahrhaft ein Verlust für die Horror-Welt gewesen. Wer blutgetränktem, bitterbösem Horror voller wohldosierter und zelebrierter Bilder mit Humor-Momenten nicht gänzlich abgeneigt ist, dem kann ein Kinobesuch wärmstens ans Herz gelegt werden. Ein echtes Horror Jahres-Highlight, welches geschickt mit den Klischees der Genres spielt.

8,5 / 10

Autor: Michael Essmann

Ein B-Movie Freund, der seit einigen Jahren in Köln heimisch ist und dort erfolgreich Design studiert hat. Seitdem schiebt er u.a. Pixel hin und her.

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