BG TV-Kritik: „Castlevania“ (Staffel 3)
Neue Staffel „Castlevania“ bei Netflix: Die Schlacht ist gewonnen, aber der Krieg noch nicht vorbei? Unser Heldentrio hat sich getrennt. Während Alucard die Welten des Wissens verwaltet, ziehen Trevor Belmont und Magierin Sypha als freie Abenteurer durch die Welt. In der kleinen Stadt Lindenfeld stoßen sie bald auf mysteriöse Vorgänge. Und was macht Carmilla, die zurückgeschlagene, jedoch nicht besiegte Vampirin?
Castlevania (Staffel 3)
Entwickler: Warren Ellis
Sender: Netflix, 2020
Sprecher: Richard Armitage, James Callis, Alejandra Reynoso, u.a.
Diese Kritik geht davon aus, dass du Staffel 1 und 2 gesehen hast. (Kritik Staffel 1 | Kritik Staffel 2 | Kritik Staffel 4)
Der Fürst der Finsternis ist tot, lang lebe die, äh, Fürstin der Finsternis. Man brauchte nur einen Blick auf Hochvampirin Carmilla in Staffel 2 zu werfen, nur eine einzige Dialogzeile hören, um zu wissen, dass wir längerfristig unsere zweifelhafte Freude an dieser Figur haben sollten. Irgendwie war es klar, dass Carmilla eine zentrale Gegenspielerin werden würde, entweder gleichauf an der Seite von Dracula oder sogar als dessen Widersacherin. Nun, da Dracula von seinem Sohn Alucard in die hintersten Winkel der Hölle gesandt wurde, rückt Carmilla vollends ins schurkische Zentrum. Und sie hat Verstärkung in Form dreier Vampirschwestern mitgebracht, die einen großspurigen Plan hervorbringen, der die Walachei und halb Europa in neuerliche Finsternis rücken könnte.
Es ist erstaunlich und ein Zeugnis der hohen Qualität, wie schnell sich „Castlevania“ entfalten konnte und wie effektiv sich nach nur anderthalb Staffeln (Staffel 1 war mit lediglich vier Episoden gefühlt nur eine halbe Geschichte) das Figurenensemble entwickelt hat, wie es lange Zeit unabhängig voneinander agieren und dennoch faszinieren kann. Bestes Beispiel: Isaac. Der misanthropische Nekromant, den es in die Wüste verschlagen hat, formiert und generiert seine Dämonenarmee, konfrontiert aber auch regelmäßig sein Weltbild, sein Vorhaben, die Menschheit auszurotten, und welche Position er selbst darin einnimmt. Ex-Kollege Hector hat es da schwieriger, befand er sich doch am Ende der letzten Staffel in Carmillas brutalen Händen und soll nun eine entscheidende Rolle im Plan der Vampirschwestern einnehmen.
Dracula ist tot. Stattdessen haben wir Carmilla, ihre Schwestern, Isaac und Hector. Serienentwickler Warren Ellis und sein Team haben das Personal geschickt ausgebaut. Doch „Castlevania“ muss sich um Familie Belmont drehen. Oder um Alucard. Trevor Belmont und Sypha kehren für den Großteil der Staffel in der kleinen Dorfgemeinschaft Lindenfeld ein. Hier hat ein gewisser Richter das Sagen, der undurchsichtige St. Germaine schleicht herum und eine religiöse Bruderschaft ist nach einer Begegnung mit einem mächtigen Dämon verändert und scheint in den versperrten Kirchenkellern finster-magische Pläne zu schmieden. Das jedenfalls denken bald unsere Helden.
Ja, Dämonen bilden die zentrale Bedrohung dieser Staffel. Die Vampirschwestern sind eben das, Vampirschwestern, die zur zentralen Besetzung gehören. Wenn es zur Sache geht, wirft uns „Castlevania“ mehräugige, vielbeinige, geflügelte und mit messerscharfen Zähnen besetzte Ungetüme vor. Und es ist ein Fest. Allerdings muss man Geduld haben, bis es zu einem echten Fest wird. „Castlevania“ möchte mehr sein als eine laue Monsterschlachtplatte in Anime-Optik. Gerade weil die Handlung aufgesplittet ist, da wir neuen und alten Figuren auf ihren individuellen Wegen folgen, braucht es Geduld. Mit zehn Episoden ist diese Staffel noch einmal länger als Staffel 2 – und gefühlt nicht lang genug. Insbesondere die komplexen Vorgänge in Lindenfeld erfordern es, dass wir diesen Ort, seine Bewohner und die mysteriösen Vorgänge einordnen können.
Kleinere Scharmützel halten uns bei der Stange, auch wenn die Serie die eigene Coolness hin und wieder überschätzt, sei es durch etwas plumpe Dialoge und ein deplatziertes Fluchwort (insbesondere die F-Bombs im Englischen untergraben so manchen spannungsgeladenen Moment), oder durch den Anblick wartender bizarrer Dämonen, die „idle“ in der Gegend herumstehen und dadurch kurzzeitig lächerlich wirken. Doch die Handlungskonstruktion ist jedoch mittlerweile gut genug, um nicht nur durch die Aussicht auf Action bei der Stange zu halten. Die Vorgänge sind mitunter wirklich spannend und mit einer Vielzahl reizvoller Ideen gespickt. Und dann, nach ausgiebigem Luftholen, geht es zum Ende hin erwartungsgemäß rund. Und zwar richtig. Erneut erinnert die Action stark an „Avatar: Herr der Elemente“, nur mit mehr Blut und prachtvolleren Monstern, die hin und wieder auch aus einem Guillermo del Toro Film stammen könnten. Syphas Magie hat sich noch einmal enorm gesteigert und wenn Trevor die doppelte Peitsche auspackt, Leder und Ketten, dann kracht es. Das hat Wumms, Energie und echte Dramatik, driftet in teils bizarre Sphären ab und fügt in einer Folge überraschend deutlich erotische und sexuelle Aspekte hinzu.
Etwas außerhalb von alledem verweilt Alucard, nicht nur geographisch. Er ist der Hüter des Wissens in der Fusionswelt aus Draculas Schloss und dem Belmont Anwesen. Über zwei Gäste erforscht und konfrontiert Alucard seine Einsamkeit, seine auch für ihn schwierig zu vereinbarende Rolle als Halbvampir, zwischen Menschen und Vampiren, auf beiden Seiten nicht ganz zugehörig. Diese Szenen und die Beziehung zu den Gästen sind nicht ohne Reiz, doch der gesamte Alucard Plot fühlt sich an wie ein Nachtrag, wie halb vergessen und etwas ungestüm (und dadurch undeutlich) beigefügt. So „nett“ das Schlussbild dieser Handlung auch ist, es lässt nicht vergessen, dass der Weg dorthin unzureichend war, nicht auf dem mittlerweile beachtlichen Erzählniveau stattgefunden hat, wie der Rest der Serie.
Doch wir sind noch nicht am Ende. Staffel 2 hatte natürlich nicht alle Enden gekappt, denn wie sonst sollte diese dritte Staffel nun starten, doch der Sieg über Dracula war rund, war ein Abschluss. Dort hätte die Serie enden können. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir mehr bekommen, dass Warren Ellis und sein Schreibteam neue, ungewöhnliche und schlichtweg coole Ideen zusammenfügen konnten. Das heißt aber auch, dass sich Staffel 3 wieder „nur“ wie eine Staffel anfühlt. Wir enden nicht mittendrin, nicht auf halber Strecke, wie das noch in der mehr als Prolog zu verstehenden ersten Staffel der Fall war, doch auf diese Vorgänge muss (und wird) noch etwas folgen. Und mittlerweile ist „Castlevania“ nicht mehr nur ein netter „Kann man mal gucken“ Zeitvertreib, sondern ein echtes Highlight und die – zweifellos – beste Videospieladaption bisher.
Fazit:
Auch ohne Dracula büßt Netflix‘ Animationsserie nichts in Sachen Faszination und Unterhaltungsfaktor ein. Tatsächlich ist „Castlevania“ an manchen Stellen noch einmal besser geworden, so dass Staffel 4 gerne schon nächste Woche erscheinen dürfte.
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