Treasure Tuesday Spezialkritik: „Schloss des Schreckens“ („The Innocents“)

13. Oktober 2020, Christian Westhus

Haben wir alle schon „Spuk in Bly Manor“ durchgesuchtet? Dann lohnt sich vielleicht ein Blick auf die erstklassige Verfilmung der Buchvorlage. Jack Claytons Version von Henry James‘ „Das Durchdrehen der Schraube“ zählt bis heute zu den besten Gruselfilmen überhaupt. „Schloss des Schreckens“ (1961), unser heutiger Treasure Tuesday Tipp. Jeden Dienstag auf Erkundungstour gehen. Wir stöbern nach vergessenen Filmen, unterschätzten Filmen, alten Filmen, fremdsprachigen Filmen. Nach Filmen die sich lohnen, auch wenn gerade nicht die halbe Welt über sie spricht.

© Capelight

Schloss des Schreckens
(Originaltitel: The Innocents | UK 1961)
Regie: Jack Clayton
Darsteller: Deborah Kerr, Michael Redgrave, Pamela Franklin, Martin Stephens

Was ist das für ein Film?
Gouvernante Miss Giddens (Deborah Kerr) reist zum Bly Anwesen, wo sie sich um die beiden Waisenkinder Miles und Flora kümmern soll. Doch nicht nur benehmen sich die beiden Kinder recht seltsam, auch ergeben sich für Miss Giddens geisterhafte Erscheinungen im alten und verwinkelten Anwesen. Sind diese Geister real oder stammen sie nur aus dem Unterbewusstsein der Nanny?

Dieser Handlungsansatz dürfte ganz aktuell vielen Leuten erstaunlich bekannt vorkommen, denn die jüngst veröffentlichte Netflixserie „Spuk in Bly Manor“ erzählt dieselbe Geschichte. Die Serie und dieser Film gehen beide auf Henry James‘ klassische Gruselnovelle „Das Durchdrehen der Schraube“ („The Turn oft he Screw“, erstmalig veröffentlicht 1898) zurück. Diese britische Adaption von Regisseur Jack Clayton gilt nicht nur als die (bisher) definitive Filmversion der schon mehrfach verfilmten Novelle, „Schloss des Schreckens“ wird auch regelmäßig als einer der besten Horrorfilme überhaupt gehandelt. Und das mit Grund. Aber Moment, wird sich der aufmerksam Leser fragen, wie heißt der Regisseur? Denn ja, Victoria Pedrettis Hauptroll in „Spuk in Bly Manor“ heißt mit Nachnamen Clayton und dürfte zweifellos in Anlehnung an Jack Clayton benannt worden sein, der diesen Film inszenierte und produzierte.

Warum sollte mich das interessieren?
Nicht nur aufgrund der Verbindung zur Netflixserie ist „Schloss des Schreckens“ auch heute noch einen Blick wert. Auf den ersten Blick ist „The Innocents“ (Originaltitel) ein klassischer ‚Haunted House‘ Grusler nach bekanntem Muster. Ein endloses altes Anwesen, Wälder, Gärten und Seen drum herum, und die endlosen Fluren, Winkel und Treppen im Innern – diese Muster haben dutzende und hunderte Filme im Laufe der Jahre bedient und erweitert. Doch ähnlich wie „Bis das Blut gefriert“ (1963), die definitive Verfilmung der Vorlage für die Vorgängerserie „Spuk in Hill House“, agiert dieser Film noch stärker im Dunstkreis zwischen Horror und Drama. Jack Claytons Drehbuch orientierte sich zunächst an William Archibald, der eine Theaterversion der Vorlage kreierte. Irgendwann wurde Truman Capote, Romanautor von „Frühstück bei Tiffany“ und „Kaltblütig“, hinzugezogen, der einen Kernaspekt dieser Verfilmung verfestigte: sind die Geister real oder nur Einbildung der psychisch aufgewühlten Gouvernante?

Bei einem solchen Spagat zwischen zwei Genres ist es immer hilfreich, ein ausgewogenes Drehbuch als sichere Basis zu haben, um den Grusel nicht zu sehr zu verwässern, aber gleichzeitig, um die emotionale und dramatische Tragweite nicht zu banalisieren. Es ist aber ebenso hilfreich, auf eine gute Besetzung zurückgreifen zu können. Deborah Kerrs Darbietung wird aus gutem Grund bis heute gefeiert und hervorgehoben, läuft doch die zentrale Intention des Films über ihre Figur. Kerr vermag es, die Unzuverlässigkeit ihrer Figur zu verinnerlichen, ohne dass wir den Bezug zu ihrer Miss Giddens verlieren. Die beiden Kinderdarsteller mögen (noch) nicht die Lebendigkeit und den Facettenreichtum ihrer Nachfolger aus „Spuk in Bly Manor“ besitzen, doch gerade das leicht affektierte Spiel kommt ihnen entgegen.

Den Rest erledigt die findige und stilsichere Inszenierung, die das Bly Anwesen innen und außen stimmungsvoll einfängt und einige wunderbar unheimliche Momente schafft. Der Anblick einer womöglich geisterhaften Erscheinung am Fenster zieht sich so markant von Henry James bis in diesen Film, dass auch die Serie nicht auf diesen Moment verzichten konnte. Natürlich kann ein nuanciertes Gruseldrama aus den 1960ern nicht den wilden Schock- und Jump-Scare Ritt moderner Horrorfilme liefern, wie es z.B. „The Conjuring“ vermochte. Dieser Unterschiede zwischen den Generationen und Intentionen muss man sich bewusst sein. Gelingt dies, ist „Schloss des Schreckens“ ein Klassiker, den man unbedingt gesehen haben sollte – sei es als Erweiterung zur Netflixserie oder als eigenständiger Klassiker-Ausflug. Für alle, die nicht genug von der schaurig-heimeligen Stimmung des „O‘ Willow Waly“ Lieds bekommen können.

„Schloss des Schreckens“ ist erst dieses Jahr in einer schicken neuen Blu-ray Edition via Capelight erschienen.

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Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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