BG Kritik: „Es – Kapitel 2“

8. September 2019, Christian Westhus


27 Jahre sind vergangen. Die sieben Freunde des Losers Clubs haben sich entfernt und die Erlebnisse ihrer Kindheit in Derry größtenteils vergessen. Doch Es alias Pennywise der Clown ist zurück, also müssen die Freunde ihren damaligen Bund bestätigen und sich noch einmal gegen das Monster vereinen.

(C) New Line Cinema, Warner Bros.

Es: Kapitel 2
(Originaltitel: It – Chapter 2)
USA 2019
Regie: Andy Muschietti
Darsteller: Jessica Chastain, James McAvoy, Bill Hader, Bill Skarsgård u.a.
Kinostart Deutschland: 05. September 2019

Es … war einmal ein rund 1.200 Seiten langer Roman, der zu einem gut fünfstündigen Kino Zweiteiler adaptiert wurde und daher logischerweise nur eine grobe Annäherung der Romanhandlung sein kann. Für reine Kinozuschauer ist die Herkunft von „Es“ als Geschichte allerdings egal. Sollte sie auch sein. Es – Teil 2, das zweite Kapitel, die zweite und abschließende Hälfte. Der Film bzw. dieses Filmduo braucht nur für sich stehend zu funktionieren, nur innerhalb seiner eigenen Grenzen Sinn zu ergeben. 27 Jahre sind seit den Ereignissen aus Teil – pardon – aus Kapitel 1 vergangen. Rückblickend wirkt der Blutpakt, mit welchem die Kids nach dem vermeintlichen Sieg über Pennywise eine eventuelle Rückkehr besiegelten, wie eine mächtig verdächtige Vorahnung. Dass im Roman zwischen diesem (bzw. einem ähnlichen) Pakt und dem Showdown dieses zweiten Films nur relativ wenige Seiten liegen, spielt keine Rolle. Die Filme haben es anders gemacht. So faszinierend das Vor und Zurück in Buchform auch war, ist die Trennung (jedenfalls größtenteils) von Kindheit und Erwachsenenalter die größte Stärke des Films. Die Vergangenheit definiert die Gegenwart und beeinflusst die Zukunft. Das ist sogar ohne zyklische transdimensionale Monsterwesen wahr.

Sechs Anrufe: Mike ist all die Jahre in Derry geblieben. Als Zuschauer kann man Mike leider nur an seiner Hautfarbe festmachen, erinnert sich bestenfalls an „irgendeine Szene“ in einem Schlachtbetrieb. Ansonsten war er im ersten Film das am schwächsten ausgearbeitete Mitglied des Losers Club, die leider allesamt nicht viel mehr als eine Kerneigenschaft oder eine zentrale Beeinflussung besaßen. Mike war schwer greifbar, nicht zuletzt da seine Kerneigenschaften aus dem Buch, das Interesse an der dunklen und oftmals grausigen Historie Derrys, auf Ben übertragen wurden. Dies war für sich genommen eine Entscheidung, die man treffen konnte. Doch über die Auswirkungen stolpert nun auch der „Nur die Filme“ Zuschauer, wenn Mike (nicht Ben) umringt von Büchern, Fotos und alten Landkarten in der Bibliothek von Derry sitzt und seine alten Freunde anruft, um das Versprechen ihres Pakts einzufordern. So war es auch in der Vorlage und offenbar war es nicht möglich, Mike und Ben konsequent zu tauschen. Ben aus „Kapitel 2“ ist, wie es die Vorlage verlangt, ein erfolgreicher Architekt, dessen körperlicher Wandel zunächst mit einer seltsamen falschen Fährte kommentiert wird, ehe wir den echten (fitten!) erwachsenen Ben kennen lernen. Ben der Architekt, Bill der Autor, Richie der Standup Comedian, Eddie der Investmentfachman, Beverly die – äh – Ehefrau. Und Stanley, der vor lauter Schreck über Es‘ Rückkehr erst einmal ein Bad nehmen muss.

(C) New Line Cinema, Warner Bros.

„Kapitel 2“ beginnt nach kurzem Rückblendenprolog mit einem fürchterlichen Hassverbrechen. Auch dieses entspricht zumindest im Ergebnis der Vorlage. Derry ist keine normale Stadt, die Menschen darin oftmals grundlos abweisend und feindselig, als verstärke eine dunkle Macht sämtliche negativen Energien der Menschen. Es sind ruppige, ja abstoßende und abscheuliche Szenen, zumindest so lange, bis Pennywise der Clown auftaucht und eine Heerschar Luftballone (die schweben!) herbeizaubert. Denn „Kapitel 2“ beginnt auch mit der Aufnahme eines Jahrmarkt Funhouses, einer grellen Geisterbahn mit Neonlicht und Spiegelkabinetten. Ungefähr so fühlt sich der Film größtenteils an. Schon Teil 1 krankte an der Natur des Clowns, der – insbesondere in einem visuellen Medium – gleichermaßen lächerlich wie unheimlich sein kann. Daraus gewann der Film nur selten eine Stärke, untergrub stattdessen sein Spannungspotential mit der hysterischen und oft albernen Clown Theatralik seiner zentralen Bedrohungsfigur. Die Fortsetzung setzt auf dieses Stilelement noch einen drauf. Oder eher fünf. „Kapitel 2“ ist ein greller, wilder, lauter und dadurch nie wirklich langweiliger Sturzflug durch irre Grimassen, schrille Lärmkulissen und besagte Theatralik. Das ist natürlich alles so gewollt, doch die Frage muss gestellt sein, ob sich Regisseur Andy Muschietti und Drehbuchautor Gary Dauberman damit einen Gefallen tun.

Dank des Erfolgs von „Kapitel 1“ kann „2“ nun mit höherem Budget klotzen statt kleckern. So etwas kann durchaus funktionieren, auch in einer Stephen King Adaption. Eine frühe Dinnerszene eskaliert für ein paar Augenblicke zu einem herrlichen überdrehten Schabernack, der genau den richtigen Punkt zwischen nackter Panik und erheiterter „Ist das denn zu fassen?!“ Verwunderung trifft. In einer anderen Szene plagt sich einer der Loser mit einer Angstfigur herum und bekommt einen großen Schwall undefinierbarer Schleimsoße ab, bis plötzlich, als schwappe der Ton einer leichten Komödie aus dem benachbarten Kinosaal herüber, ein kitschiger Popsong mit Humorabsicht aufspielt. Das Ergebnis ist verheerend, in seiner Wirkung katastrophal. Noch dazu geschieht es in der besten oder zumindest in der garstigsten und fiesesten Szene des Mittelteils des Films, wenn dieser halbwegs geschickt und logisch in ein gutes halbes Dutzend Episoden aufgeteilt wird. Doch dieser Musikeinspieler? Weder Fisch, noch Fleisch; weder Horror, noch Comedy. So geht es die meiste Zeit über. Da es „Kapitel 1“ versäumte, alle Loser mit individuellen Angstarchetypen auszustatten, bekommen wir es nur mit der einen wirklich etablierten Figur zu tun und lernen ansonsten rasch neue Versionen von Es bzw. Pennywise kennen. Doch tatsächlich bleibt sich Pennywise zu lange treu, zu sehr versunken und dadurch gefangen in seiner Clownsgestalt, die selbst im mystischen Finale nur unzureichend aufgebrochen wird.

(C) New Line Cinema, Warner Bros.

Klotzen statt kleckern hieß auch die Maxime beim Casting. „Kapitel 2“ profitiert vom Gewinn des Vorgängers, aber auch von der Verbindung seines Regisseurs. So war Jessica Chastain offenbar leicht zu überzeugen, nachdem sie bei „Mama“ Regisseur Andy und Produzentin Barbara Muschietti kennen lernte. Auf Chastain folgte X-Men Kollege James McAvoy, Bill Hader wurde sich von Richie Kinderdarsteller (und „Stranger Things“ Star) Finn Wolfhard ausdrücklich gewünscht und die restlichen erwachsenen Loser wurden ebenfalls adäquat besetzt. Die Jungdarsteller waren, neben der grimassierenden Höchstleistung von Bill Skarsgård, die größten Pluspunkte des ersten Films. In Flashbacks tauchen sie – digital verjüngt – erneut auf und finden sich als Erwachsene glaubwürdig entsprochen. Alt oder jung, die Darsteller verleihen den maximal durchschnittlich gezeichneten Figuren zusätzliche Tiefe und in einigen Szenen eine gewisse Echtheit, die abfärbt. Doch zwischen garstigen CGI-Monstern, „Deine Mutter“ Witzen, deplatzierter Komik und halbvagen Andeutungen können auch sie nicht alles retten. Mehr ist nicht immer besser und „Es – Kapitel 2“ will leider reichlich mehr, immer mehr, hysterisch viel mehr.

Wie gesagt, nichts davon ist wirklich langweilig und ist meistens zu originell oder zumindest ungewöhnlich, um eine zu negative Reaktion hervorzurufen. Wer bei einem Horrorfilm (oder irgendeinem Film) lieber böse lacht und mit großen Augen staunt, statt an den Nägeln zu knabbern und mit Herzklopfen im Sitz zu versinken, für den ist „Es – Kapitel 2“ genau richtig. Doch irgendwann muss man dann doch den Roman als Gradmesser heranziehen. Stephen King schrieb nicht grob überschlagen 1.200 Seiten, um in 300 bis 400.000 Worten literarisch krakeelend „Bu-huh!“ zu rufen und dabei finster zu lachen. Die Vergangenheit informiert Gegenwart und Zukunft. So viel haben auch Andy Muschietti und Gary Dauberman verstanden. Sie versuchen es, Figuren und Motiven einen Mehrwert abzugewinnen, ihnen ein Plus an Bedeutung zu verleihen. Doch vieles bleibt auf halber Strecke stehen, da zu viele Teller gleichzeitig balanciert werden. Zu viele, selbst für gut fünf effektreiche Stunden Kino. Ursprung und Bewältigung von Trauma, die zyklische Natur unserer Taten und unserer Leben, kindliche Phantasie und wie Erwachsene diese lesen – et cetera, et cetera. Wie bei so vielen Dingen dieser Adaption, gilt auch für diese thematischen psychologischen Ansätze: Ja, drin sind sie! Doch Vorhandensein ist nicht alles. „Es“ versäumt es, seine Motive und seine Figuren zu konkretisieren, sie wirklich lebendig werden zu lassen, so dass wir als Zuschauer mit ihnen interagieren können. Dieses Fehlen ist der größte Makel einer ansonsten sehenswerten und unterhaltsamen Adaption eines Buchs, das vielleicht nie ein Film werden wollte und es wahrscheinlich auch nicht sollte.

Fazit:
Mehr noch als Kapitel 1 ist die Fortsetzung garstig-unterhaltsam, statt wirklich spannend und unheimlich. Wem das zuvor gefallen hat, der bekommt davon ordentlich mehr und das technisch ansprechend und erneut mit einer starken Darstellerriege präsentiert. Die emotionale und dramatische Wirkung der Geschichte (und damit auch des Romans) bleibt jedoch auf einem durchschnittlichen Level.

6/10

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Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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