BG Kritik: „Auslöschung – Annihilation“

12. März 2018, Christian Westhus

Neue seltsame Sci-Fi vom Macher von „Ex Machina“. Biologin Lena (Natalie Portman) schließt sich der gefährlichen Erkundung eines fremdartigen mysteriösen Areals an. – Auf Netflix.

Auslöschung
(Originaltitel: Annihilation | UK, USA 2018)
Regie: Alex Garland
Darsteller: Natalie Portman, Jennifer Jason Leigh, Tessa Thompson, Gina Rodriguez, Oscar Isaac
Veröffentlichung Deutschland: 12. März 2018 (Netflix)

Wir leben in einem goldenen Zeitalter für Science-Fiction, obwohl kaum ein Genrebegriff mehr Vorurteile auslöst. Man möchte jemandem einen Film beschreiben, zum Beispiel diesen. Science-Fiction, sagt man. Medial geprägt denken die meisten Menschen zunächst an Raumschiffe und ferne Planeten, denken an Star Wars und Star Trek. Vielleicht sind wir aufmerksam genug, um genauer nachzufragen: Welche Art von Science-Fiction? Genres sind immer schwierig, doch ein Genre, welches besagte Weltraumabenteuer beinhaltet, gleichzeitig aber auch Filme wie „Planet der Affen“, „Hunger Games“, „Zurück in die Zukunft“, „Terminator“, „A.I.“, „Gattaca“, „Vergiss mein nicht“ oder „Jurassic Park“ einschließt, welches (s)einen Ursprung in „Frankenstein“ fand, ist besonders schwer zu greifen. Alex Garlands neuer Film hat dann passenderweise auf thematischer Ebene durchaus ein paar Ähnlichkeiten zu Mary Shelleys Roman. Mit Vergleichen muss man allerdings vorsichtig sein. Vermeintliche Ähnlichkeiten zu anderen Dingen können einerseits Spoiler kreieren, andererseits Erwartungen schüren. „Auslöschung“ ist zudem zu anders, zu bizarr, um sich wirklich vergleichen zu lassen. Da reicht ein Verweis auf „Arrival“ nicht aus, da setzen Gedanken an „Solaris“ oder „Stalker“ vielleicht zu hoch an, ehe man irgendwie gar beim Klassiker „Andromeda: Tödlicher Staub“ landet. Klar ist nach all dem nur, dass dieser Film keine bunt-unterhaltsame Space Opera ist.

Jedes Genreverständnis verändert sich mit dem fortschreitenden Verständnis unserer Umwelt. Science-Fiction jedoch verändert sich noch einmal schneller, sind die fantastischen Zukunftswelten doch immer auch an den technologischen Gegenwartsstandard gebunden. Nicht ohne Grund funktioniert Technologie aus Zukunftsvisionen, die vor dem Jahr 2000 entstanden sind, auffällig häufig noch analog mit Kabeln statt „unsichtbarer“ Datenübertragung. Ein Science-Fiction Film ist ein Prisma, eine Melange aus Vergangenheit, Gegenwart und (erdachter) Zukunft. Geschichtenerzähler tragen Genreprägungen der vorherigen Generationen in sich, die sich mit persönlichen Erfahrungen und dem Fortschritt der Welt zu etwas Neuem entwickeln, die – so könnte man sagen – zu Mutationen werden. So gesehen ist eine Genreidee bzw. -prägung wie eine Zelle, der Geist eines Erzählers wie eine Petrischale in der diese Idee wuchern kann. Irgendwo hier setzt „Auslöschung“ an. Oder so ähnlich.

© Paramount / Netflix

Wie das mit Zellen und Zellteilung funktioniert, erklärt uns Natalie Portmans Lena gleich zu Beginn. Noch ist Lena hochangesehene Biologin und unterrichtet die neue Generation an der Uni. Viel mehr als die Arbeit gibt es in ihrem Leben nicht, seit ihr Mann Oscar Isaac als Soldat bei einer geheimen Mission verschwand und als tot gilt. Die spärlichen Szenen bevor Lena zum Area X genannten Gebiet wechselt zeigen eine Frau, die sich abschottet, die mit Trauer und Schuld lebt, ohne ein Ventil dafür zu haben oder gar zu suchen. Sich in einer wahrscheinlichen Selbstmordmission ins Innere des „Schimmers“ zu begeben, ist für Lena dann keine schwierige Entscheidung. Auch ihre vier Begleiterinnen haben ihre Gründe, ihre Traumata und Narben, die sie motivieren. Im Inneren des kontinuierlich größer werdenden Gebiets werden die Gesetze der Natur auf den Kopf gestellt; zunächst sind es eigentümliche Pflanzen, dann Tiere, ehe sich die Frage stellt was mit den vorherigen Missionen passiert sein könnte.

Basierend auf dem ersten Roman der Southern Reach Trilogie von Jeff VanderMeer führt uns Drehbuchautor und Regisseur Garland in eine zunehmend bizarre Welt, die umso verstörender wirkt, da ihr Ursprung noch immer irgendwie vertraut erscheint. In wunderbarer Ausstattung erblicken wir eine verzerrte Flora und Fauna; nicht unbedingt als Horrorwelt der Marke „Alien“ entworfen, oftmals wirklich zauberhaft schön, und dennoch beunruhigend. Garland gibt uns ein paar erstaunlich effektive Horrormomente und pflanzt unbemerkt Samen für die faszinierenden Kernfragen, die dieser Stoff bereithält. Mehrfach blicken wir zurück, dorthin wo die Ehe von Lena und ihrem Mann noch in Ordnung war bzw. so schien. Attestiert man dem „Schimmern“ eine Persönlichkeit, ist diese in ihrer Wirkung vielleicht nicht unbedingt friedlich, sicherlich aber auch nicht aggressiv oder feindlich. Es ist Jennifer Jason Leighs Figur, die den Unterschied zwischen Selbstmord und Selbstzerstörung im menschlichen Verhalten hervorhebt. So etwas kann in einem Film namens „Auslöschung“ kein Zufall sein. Das „Schimmern“ zeigt einen fremdartigen Prozess der Veränderung, der irgendwann womöglich den kompletten Planeten befallen könnte. In jeder Veränderung steckt Zerstörung, steckt die Vernichtung des Vorherigen, aber auch die Chance zu etwas Neuem. Nicht zuletzt darin liegt für Alex Garland und seine Hauptfigur Lena der Reiz. Möglicherweise lässt Garlands wundervolle Genrekreatur am Ende die Chance auf eine (noch) größere Emotionswirkungen fahren, doch er öffnet eine Tür wildester Ideen, gleichermaßen faszinierend und zutiefst beunruhigend.

Fazit:
Faszinierendes und wunderbar eigensinniges Genrekino. Komplex, mysteriös und ruhig erzählt, aber keineswegs verwirrend. Ein wunderbar inszenierter Film der die große Leinwand verdient gehabt hätte.

8,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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