BG Kritik: „Blair Witch“ (2016)

8. Oktober 2016, Christian Westhus

Späte Fortsetzung des Kult-Horrors von 1999: Durch ein Internetvideo glaubt James eine Spur zu seiner seit vielen Jahren verschwundenen Schwester Heather gefunden zu haben. Mit Freunden macht er sich auf nach Burkittsville, in einem Wald in dem sich laut Legende die Hexe von Blair aufhalten soll.

Blair Witch
(USA 2016)
Regie: Adam Wingard
Darsteller: James Allen McCune, Callie Hernandez, Corbin Reid, Brandon Scott
Kinostart Deutschland: 06. Oktober 2016

Ding-Dong, die Hex‘ ist tot. Zumindest dürfte es der Franchise zur Hexe von Blair schwer haben, noch einmal von sich reden zu machen.

Manche Dinge sind besser, wenn man sie ruhen lässt. Das originale „Blair Witch Project“ von 1999 ist in Relation aus Budget (rund 60.000 Dollar) und Einspielergebnis (rund 250 Millionen Dollar) noch immer der erfolgreichste Film aller Zeiten. Selbst die verspäteten Found Footage Nachzügler der Paranormal Activity Reihe können da nicht mithalten. Bei dieser gewaltigen Gewinnspanne ist es wahrlich unerklärlich, dass es bis auf eine befremdlich a-typische (und deutlich weniger erfolgreiche) Fortsetzung 2000 bisher nichts Neues zur Hexe von Blair gab. Das junge 21. Jahrhundert war wohl noch nicht so extrem auf Gewinnmaximierung und endlose Franchises gepolt. Doch die neuen Wettbewerbsvorgänge erreichen nun rund 16 Jahre danach auch den prägenden Quasi-Klassiker von Daniel Myrick und Eduardo Sánchez. Die beiden damaligen Macher sind zwar als ausführende Produzenten dabei, hatten jedoch keinerlei Einfluss auf Drehbuch und Inszenierung von „Blair Witch“.

Geschrieben von Simon Barrett und inszeniert von Adam Wingard (You’re Next, The Guest) war der Film lange Zeit als „The Woods“ bekannt und gab sich als gewöhnlicher Horrorfilm aus, in dem eine Gruppe junger Leute in übersinnliches Unheil im Wald gerät. Erst ein später Trailer offenbarte „The Woods“ als „Blair Witch“ und damit als späte Fortsetzung zum originalen „Project“. Die wahre Natur des Films war ein Marketing-Twist und das heutige Pendant zum damals verbreiteten Glauben, die Geschehnisse des Films seien real. Man verließ sich auf den Überraschungseffekt, so viele Jahre nach dem Original und ohne große Vorankündigung plötzlich eine Fortsetzung zu bekommen. Die Massen konnte man mit diesem PR-Trick allerdings nicht mobilisieren. Dank eines geringen Budgets müssen die bisherigen Einspielzahlen niemandem Grund zur Sorge geben, doch selbst im Vergleich zu heutigen Genrevertretern lief „Blair Witch“ bisher unterdurchschnittlich. „Blair Witch Project“ war der Grundstein zur Found Footage Welle, die aber auch erst 2009 mit „Paranormal Activity“ so richtig durchstartete und im Jahr 2016 auch schon wieder fast vorbei ist. Die Hauptzielgruppe von Horrorfilmen dieser Art sind zudem nach wie vor junge Leute, die zum Start des ersten Teils kaum laufen konnten, geschweige denn auf der Welt waren.

© Studiocanal

Im Jahr 2016 eine Fortsetzung zum „Blair Witch Project“ auf den Markt zu bringen, ist ein verzweifelter Versuch. Sicher, es steckt Potential im Wald nahe Burkittsville. Und doch fühlt sich „Blair Witch“ an wie eine aus dem Totenreich hervorgequälte Kreatur, als habe man „Blair Witch Project“ auf dem Friedhof der Kuscheltiere vergraben, so dass „Blair Witch“ als gewalttätiger quasi-Zombie nun das Licht der Leinwand erblicken kann. Neue Zuschauer haben womöglich das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Und ist man mit dem Original vertraut, befindet man sich in einer aussichtslosen Situation. Alles, was „Blair Witch“ an Neuerungen bereithält, führt zu Irritationen mit dem ersten Teil. Was die Fortsetzung aus dem Original übernimmt, langweilt schnell. Von der ersten Minute an steht das Projekt auf extrem wackligen Beinen, wenn James, der Bruder von „Project“ Filmemacherin Heather, rund 20 Jahre (BWP spielt 1994, BW 2014) nach dessen Verschwinden plötzlich motiviert wird, doch einmal selbst nach seiner Schwester zu suchen. Die zwanzig Jahre sind so oder so schon ein beachtlicher Zeitraum, doch James ist selbst gerade einmal 24 Jahre alt, was zu mehr Fragen führt als dem Film guttut.

Sechs Personen stapfen kurz darauf durch einen Wald, der störend anders aussieht als der Wald aus BWP. Sie sind beladen mit modernstem Equipment aus Funkgeräten, Drohnen, kleinen Kopfkameras und GPS. Nichts davon ist wirklich relevant. BWP war erstaunlich effektiv darin, den schleichenden Wahnsinn der drei Protagonisten glaubhaft und nachvollziehbar zu gestalten, die Risse im Gruppengefüge auszudehnen, die langsame Eskalation und den Einfluss des Übernatürlichen immer vage und uneindeutig zu lassen. „Blair Witch“ stolpert bereits beim Versuch, die Gruppe zu etablieren und zu begründen, warum sie so hochgerüstet durch den Wald spazieren. Und nachdem nahezu die komplette erste Hälfte zur Etablierung von Gruppe, Technik und Wald verschwendet wird, inklusive nervig-unglaubwürdiger menschlicher Konflikte, schaltet der Film innerhalb weniger Minuten vom zweiten in den sechsten Gang. Erst passiert gar nichts und dann alles gleichzeitig.

Regisseur Wingard und Drehbuchautor Barrett hatten nach eigener Aussage sämtliche Freiheiten, was die Mythologie des Blair Witch Mythos betraf. Entsprechend anders und größer fühlt sich der Schrecken der zweiten Filmhälfte an, wenn jegliche Ambivalenz über Bord geworfen wird, um unverfälscht übernatürlichen Terror in Found Footage Optik zu präsentieren. Häufig kann man überhaupt gar nicht erkennen, was sich zwischen Wackelbildern und Kamerafehlern abspielt. Das passt zum generellen Prozess der Desorientierung, denn die Mächte der Hexe verzerren das Gefühl von Raum und Zeit, doch wirkliche Spannung will dadurch nicht so recht aufkommen. Erst das Finale bietet einige wirklich effektive Momente aus Panik, Schrecken und Klaustrophobie, funktioniert aber auch als Sinnbild, warum „Blair Witch“ eigentlich nur scheitern konnte. Über Egoperspektive ist man inhaltlich ganz nah beim Original, schmeißt aber gleichzeitig einen großen Batzen neuer Bilder und Mythologie-Anreize hinein, die für den einen oder anderen spannenden Moment sorgen, aber keinerlei Mehrwert besitzen, wohl aber den ersten Film (negativ) beeinflussen. Hier gibt es – ganz im Sinne des Vorgängers – keine zu entschlüsselnde Faktenwahrheit, sondern ein Panoptikum an Einflüssen und Ideen, das für Beklemmung sorgen soll. Bei „Blair Witch“ stehen sich Wiederholung und Neuerung ständig im Weg und ergeben einen Film, der zu spät erst überhaupt irgendetwas Vorzeigbares aufweist.

Fazit:
Als viel zu späte Fortsetzung ist „Blair Witch“ lange Zeit zu ähnlich und dann plötzlich störend neu und anders als das Original von 1999. Kann man sich vom alten Film lösen, ist „Blair Witch“ dennoch kein besonders herausragender Film, trotz beachtlichem Schlussakt.

4,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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