Treasure Tuesday Spezialkritik: „Bright Star“ (2009)

15. September 2020, Christian Westhus

Das Leben von Dichter John Keats (Ben Whishaw) und seiner Beziehung zu Fanny Brawne (Abbie Cornish). Der Kostümfilm „Bright Star“ wird in den Händen von Regisseurin Jane Campion zu einem der besten Liebesfilme der letzten 20 Jahre. Unser heutiger Treasure Tuesday Tipp. Jeden Dienstag auf Erkundungstour gehen. Wir stöbern nach vergessenen Filmen, unterschätzten Filmen, alten Filmen, fremdsprachigen Filmen. Nach Filmen die sich lohnen, auch wenn gerade nicht die halbe Welt über sie spricht.

© Pathé / Universum Film

Bright Star
(UK, Frankreich, Australien 2009)
Regie: Jane Campion
Darsteller: Ben Whishaw, Abbie Cornish

Was ist das für ein Film?
Ein Biopic, wenn man so will, über den Dichter John Keats (gespielt von Ben Whishaw), einem der bedeutendsten Vertreter der englischen Romantik. Wie verhält es sich mit Spoilern bei realhistorischen Stoffen? Nun ja… Es sind die letzten Jahre in Keats‘ Leben, der verarmt und kaum bekannt von seinem Förderer Mr. Brown (Paul Schneider) versorgt wird. Über Mr. Brown lernt Keats Familie Brawne und deren älteste Tochter Fanny (Abbie Cornish) kennen. Die Brawnes sind eine angesehene und relativ wohlhabende Familie und Fanny darin als Älteste in wichtiger Position. Sie ist eine talentierte Näherin, ist klug und schlagfertig, insbesondere in ihrer Ablehnung zum polternden Mr. Browne, den sie verachtet. Doch Fanny und John Keats kommen sich näher, zunächst über Poesie Nachhilfe, dann durch Keats‘ Poesie an sich, ehe sie einander schließlich komplett emotional ausgeliefert sind. Doch es ist eine Liebe, die nicht sein kann, die nicht sein darf. Ein mittelloser Künstler wie Keats könnte niemals in eine Familie wie den Brawnes einheiraten. Und dennoch flüchten Fanny und John immer wieder gemeinsam in die Natur und in die Grenzenlosigkeit von Keats‘ Lyrik.

Warum sollte mich das interessieren?
Ein romantisches und ein Romantisches Kostümfilm-Melodrama über einen sterbenden Dichter ist sicherlich nicht jedermanns Sache, doch „Bright Star“ konnte selbst einen Quentin Tarantino aus der Reserve locken. So schrieb der Regisseur von „Pulp Fiction“ und „Inglourious Basterds“, der nicht unbedingt für Feinfühligkeit und große Liebesszenen bekannt ist, Regisseurin Jane Campion einen handschriftlichen Brief seiner Bewunderung und Verehrung für diesen Film. Und wahrlich, „Bright Star“ ist ein Wunderwerk im (oft unklaren) Sub-Subgenre des romantischen Kostümfilms. Es ist das herausragende Beispiel eines neuen Kostümfilmtrends, der sich zwischen Joe Wrights „Stolz und Vorurteil“ Neuverfilmung (2005) und „Jane Eyre“ (2011) durch die frühen 2000er erstreckte.

Campion, quasi-legendäre Regisseurin des Klassikers „Das Piano“ (1993), die etwas später mit „Top of the Lake“ einen beachtlichen Serienerfolg hinlegte, ringt einer vermeintlich altbekannten „Eine Liebe, die nicht darf“ Romanze schier unermessliche Empfindungswelten ab. Dies setzt voraus, man kann sich auf Campions gleichermaßen kunstvolle und verkünstelte Inszenierung einlassen. Gedreht im englischen Bedfordshire ist Greig Frasers Kameraarbeit eine sinnliche Sensation und der erste Schritt für eine zur Perfektion kombinierte Stil-Synthese. Dazu gehören auch Janet Pattersons Kostüme, die nicht prunkvoll-protzig sind und dennoch in Form und Farbe Außerordentliches leisten. Mark Bradshaws Musik umspielt diese visuellen Einflüsse und unterstützt schließlich auch die Gedichte Keats‘ und damit die Stimme von Ben Whishaw, der gleich mehrere Stücke ausführlich und häufig vollständig via Voice Over zum Besten gibt. Whishaw, heute als Bonds Q und als Originalstimme von Paddington bekannt, scheint der perfekte Sprecher für Keats‘ schwermütig-melancholische Lyrik zu sein. Ihn „Ode to Nightingale“ vortragen zu hören wäre schon losgelöst von jeglicher Handlung und der bildgestalterischen Untermalung ein Highlight.

Doch nicht nur als Sprecher begeistert Whishaw, der mit seiner nicht weniger herausragenden Partnerin Abbie Cornish eines der besten Kino-Liebespaare des bisherigen Jahrtausends erschafft. Keats‘ tragisches Leben, sein schmerzhaftes „l’art pour l’art“ Empfinden, die Sittenvorstellungen, die Keats und Brawne das Glück verwehren, sowie komplexe und nuancierte Nebenfiguren geben „Bright Star“ eine bemerkenswerte Tiefe. Doch in Jane Campions bemerkenswert gefühlsbetonter Inszenierung, mit diesen beiden fantastischen Hauptdarstellern und der unsterblichen Poesie von John Keats ist der Film im Zentrum eben „nur“ das, eine tragische und überlebensgroß romantische Liebesgeschichte, wie es sie nicht allzu häufig in der Filmgeschichte gibt.

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Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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