BG Kritik: „Dune“ (2021)

17. September 2021, Christian Westhus

Die gigantische Neuverfilmung des Science-Fiction Klassikers: Im intergalaktischen Imperium wird das ehrwürdige Haus Atreides beauftragt, über den Wüstenplaneten Arrakis zu walten. Auf Arrakis – und nur dort – wird Spice gewonnen, die kostbarste Substanz des Universums. Gefahr geht vom finsteren Haus Harkonnen aus, die jahrzehntelang über Arrakis herrschen durften. Und der junge Kronprinz Paul Atreides (Timothée Chalamet) ist von zentraler Bedeutung, könnte er doch die Kernfigur einer uralten Prophezeiung sein.

Dune (Part 1)
(USA, Kanada 2021)
Regie: Denis Villeneuve
Darsteller: Timothée Chalamet, Rebecca Ferguson, Oscar Isaac, Josh Brolin, Zendaya, Jason Momoa, u.a.
Kinostart Deutschland: 16. September 2021

Das ist Kino! Oder zumindest soll das, welches da „Dune“ heißt, Kino in und aus den Augen von Denis Villeneuve sein. Vielleicht wirken Kinoleinwände nach anderthalb unruhigen Corona-Jahren einfach gewöhnungsbedingt größer, und doch ist die Bildgewalt und schiere Größe dieses Films gewaltig und allem voran echt. Vielleicht hat uns ein Kino-Jahrzehnt aus zunehmend abgespaceten Superheldenstreifen auch vergessen lassen, wie groß „echte“ Kino-Epen wirklich sein können. Egal ob „Batman v Superman“ oder „Avengers Endgame“, „Dune“ lässt sie beide alt aussehen. Nicht in Sachen Spektakel oder Unterhaltungsfaktor, jedoch in der Strahlkraft der Bilder, im so implizierten wie intendierten Selbstbewusstsein der Präsentation.

Es ist eine Entwicklung, die sich wie ein gerader Strich durch die Filmographie des Kanadiers Denis Villeneuve zieht. Selbst seine kleinstbudgetierten Anfänge, wie etwa das in Schwarzweiß gedrehte und dokumentarisch anmutende Drama „Polytechnique“, über den historisch realen Amoklauf an einer Uni in Montréal, sind von einem Stilwillen und – wichtiger noch – von einem Bedeutungsdrang durchzogen. Villeneuves ruhige Erzählweise ist nicht nur geduldig weil vermeintlich sorgfältig, sondern weil der Filmemacher und sein Team das Bedeutungs- und Wirkungsmaximum aus jedem Bild pressen wollen, pressen müssen. Bei „Blade Runner 2049“ angekommen, konnte es für Villeneuve eigentlich nur noch diesen einen nächsten Schritt geben.

© Warner Bros.

Nicht ohne Grund wird Frank Herberts „Dune“ Saga gerne als „Der Herr der Ringe“ des Science-Fiction Genres bezeichnet. Mit diesem Selbstverständnis präsentiert sich dann auch Villeneuves monumentale Neuverfilmung, direkt und ohne Umschweife als „Dune Part 1“ vorgestellt, denn dieser Film erzählt nur grob überschlagen die Hälfte des ersten Romans. (Frank Herbert schrieb schon allein sechs Romane zum „Wüstenplaneten“; seine Söhne legten weitere Geschichten nach.) Ein vager und doch stimmungsvoller Prolog macht uns mit den ersten Aspekten und Grundsätzlichkeiten dieser Welt vertraut, ehe wir uns auf Caladan niederlassen, dem Heimatplaneten des Hauses Atreides. Hier lernen wir unsere Hauptfigur kennen, Paul (Timothée Chalamet), Sohn von Herzog Leto (Oscar Isaac), Kronprinz der Atreides und vielleicht-möglicherweise der Auserwählte einer über Jahrhunderte erwarteten religiösen Prophezeiung. Es geht um Arrakis, den Wüstenplaneten, und um Spice, die kostbarste Substanz im Universum, die es nur auf Arrakis gibt. Der mächtige Imperator zog nun das machthungrige und blutrünstige Haus Harkonnen von Arrakis ab und beauftragt Haus Atreides damit, den Planeten und die Spice-Gewinnung zu verwalten.

In diesem quasi-logistischen Vorlauf klotzt und protzt Denis Villeneuves Gestaltungswille bei jeder Gelegenheit. Sei es bei einem religiös-spirituellen Test, beim Empfang der imperialen Gesandten oder beim Aufbruch der Atreides in Richtung Arrakis – Größe zeigen, weil es groß ist. Es sind die gewaltigen Zahnräder des Universums, die sich hier in Bewegung setzen und das Schicksal der handelnden Figuren bestimmen. Hier setzt sich ein großes Epos in Bewegung. Wenn sich ein gewaltiges Schiff bedeutungsvoll aus dem Wasser erhebt, ist praktisch keine Leinwand groß genug. Dazu zimmert sich Hans Zimmer mal wieder einen dröhnenden und bebenden Musikscore, zumeist mehr Klangteppich mit wilden Percussions und ätherischem Gesang, als hätte er sich nach „Gladiator“ noch einmal mit Lisa Gerrard zusammengetan, aber nun Ludwig Göransson zur Unterstützung dazu geholt. Hat er aber nicht, es klingt nur so. Zimmers Musik ist der perfekte Partner für Villeneuves Film, sind sie nicht nur bombastisch und oft überwältigend schön, sie teilen sich teilweise auch so manche Schwäche.

„Dune“ ist zu weiten Teilen wahrlich atemberaubend, ein wuchtiger und formvollendeter Kinogenuss. Doch Frank Herberts Saga ist nicht bloß durch lebendige Beschreibungen und dichte Atmosphäre Bestseller und Kult-Objekt geworden. Die epische Natur der Geschichte fußt auf vielschichtigen Figuren und auf der komplex verwobenen politischen Prämisse. So ist „Dune“ auch ein wenig „Game of Thrones“, mit einem Machtkampf einflussreicher adliger Häuser, weitreichender Intrigen, ruchloser Machtmenschen und fehlerhafter Helden. „Dune“ war eben tatsächlich ein Meilenstein wie „Der Herr der Ringe“. Kein englischsprachiger Genre-Autor, also auch nicht George R.R. Martin, kommt daran wirklich vorbei. Regisseur Denis Villeneuve nimmt sich der Herkulesaufgabe mit dem erwähnten Gigantomanismus an, gerät hier und da aber an seine Grenzen. Die Romane brachten nicht ohne Grund ein mehrseitiges eigenes Lexikon mit, um sich in der „Dune“ Welt und Terminologie zurecht zu finden. Hier muss sich eine zweieinhalbstündige Verfilmung aufs Wesentliche konzentrieren, muss selektieren und simplifizieren. Zumeist findet Villeneuves „Dune“ einen guten Mittelweg, erwartet vom Publikum Aufmerksamkeit und Interpretationswillen, sich mit Konzepten wie Die Stimme und Namen wie Shai-Hulud und Kwisatz Haderach zu befassen, versperrt uneingeweihten „Dune“ Neulingen aber keineswegs den Zugang zu dieser Welt. Und doch erahnt man, ob eingeweiht oder nicht, dass in dieser so bombastisch präsentierten Welt Details schlummern, die ein Kinofilm nicht adäquat reproduzieren kann.

© Warner Bros Pictures

Diese Makel auf hohem Niveau machen sich beim politischen Hintergrund, bei der Historie des Universums, aber auch bei den Figuren bemerkbar. Paul ist zweifellos das Zentrum dieses Films und ist als Charakter spannend genug. Doch das Rätsel um seinen Auserwähltenstatus ist von vornherein nichtig, wirkt nicht ansatzweise so spannend wie beispielsweise Neos vergleichbare Reise in „Matrix“. An Pauls Seite darf Rebecca Ferguson als Lady Jessica erfreulicherweise mehr sein als nur die Mutter eines potentiellen Erlösers, doch schon sie, die vermutlich zweitwichtigste Figur dieses Films, besteht irgendwann nur noch aus halbwegs spannenden Ansätzen. Bei aller inszenatorischen Größe ist „Dune“ dann vielleicht doch zu groß fürs Kino, zu groß fürs Medium Film. Daran scheiterte schon David Lynch in seiner 1984er Vision und (unter anderem!) daran scheiterte das fast schon mythologische Unterfangen von Film-Visionär Alejandro Jodorowsky in den 1970ern. Dieser neue Film ist dann folgerichtig nur Teil 1 von 2, um sich dem ersten Roman anzunähern, verstärkt dadurch aber auch das Gefühl, unvollständigen Figuren zu folgen.

Ab einem gewissen Punkt stellt sich wieder die Frage, ob Herberts „Dune“ überhaupt jemals ein Film sein kann und wenn ja, was für einer? Kann oder muss eine „Dune“ Verfilmung mehr sein als eine Zusammenfassung und Verbildlichung des Romans? Die zynische Natur des Businessmodels Film lässt diesen Versuch noch stärker wie einen Appetitanreger wirken. Erst, wenn das Publikum dem Werbe-Ruf folgt und Kinotickets löst, wird die Kinoversion des ersten „Dune“ Romans zu Ende erzählt. Geht die Saat auf, könnten wir über viele Jahre hinweg wieder und wieder nach Arrakis zurückkehren. In diesen zwei Extremen bewegen sich heute Blockbuster. Wenn sich Paul am Ende des ersten Drittels mit seiner Familie zum Wüstenplaneten aufmacht, fühlt es sich an, als hätten wir das Ende des Pilotfilms einer neuen, überteuren und monumentalen HBO-Serie erreicht. Den Verantwortlichen bei Warner Bros. wäre eine Kino-Serie wohl gerade recht, vorausgesetzt sie ist finanziell rentabel. Doch auch wenn „Dune“ 2021 einen überraschend passenden und nachvollziehbaren Punkt setzt, um es „für heute“ dabei zu entlassen, um uns für mindestens zwei Jahre auf die Folter zu spannen, ist der Film als erzählte Geschichte per Definition unvollständig. So wirken Pauls Visionen gleichzeitig auch wie Teaser für einen bisher nicht gedrehten und nicht fest versprochenen zweiten Film. Als sich die Gefährten von Mittelerde am Ende des ersten Films trennten, um in verschiedene Richtungen weiter zu ziehen, konnte sich der Zuschauer auf die Fortführung im nächsten Jahr fest verlassen. Denis Villeneuve und die Verantwortlichen von „Dune“ haben dem Publikum mit diesem Film ein Angebot unterbreitet, haben ihre audio-visuell epochalen und erzählerisch ausreichend interessanten Karten auf den Tisch gelegt. Es ist nun am Zuschauer, diesem Angebot zu folgen und geduldig zu sein … oder eben nicht.

Fazit:
Ein audio-visuell gigantischer Kino-Rausch, der schon allein als Erfahrung das Kinoticket wert ist. Dass adaptions- und mediumsbedingt manche Details der Geschichte zu kurz kommen, ist gleichermaßen Appetitanreger für mehr und doch auch ein wenig unterwältigend. Dennoch…

8/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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