BG Kritik: „Eine schwedische Liebesgeschichte“ (Treasure Monday)

14. August 2019, Christian Westhus

Der Titel ist Programm: Nach einer flüchtigen Begegnung ist es um Pär und Annika geschehen. Sie sind vermeintlich unsterblich ineinander verliebt, sehr zur teils amüsierten, teils strengen Skepsis der jeweiligen Eltern.

Eine schwedische Liebesgeschichte
(Originaltitel: En Kärlekshistoria | Schweden 1970)
Regie: Roy Andersson
Darsteller: Ann-Sophie Kylin, Rolf Sohlmann
Veröffentlichung Deutschland: 19. September 1971 (TV, Westdeutschland)

(Diese Kritik erschien im Rahmen der Kritikenreihe Treasure Monday, ursprünglich veröffentlicht im Dezember 2014.)

Teenagerliebe. Es ist nicht verboten, dabei zuerst an Die Ärzte zu denken, doch Roy Anderssons Spielfilmdebüt gehört zu den schönsten Filmen, die sich je mit der ungestümen Emotionswelt Heranwachsender beschäftigt haben.

Diese Emotionswelt ist zugleich ungeheuer reizvoll für das Medium Film, wie es auch Gefahren birgt. Fragen der Authentizität und des Wiedererkennungswertes, sowie der elendige Wunsch nach einem möglichen Happy End; Anderssons Film nähert sich der jungen Liebe ganz natürlich und doch ist die Gefühlswelt, die sich zwischen Pär und Annika aufbaut, dramatisiert und inszeniert. Was die beiden Jugendlichen betrifft verzichtet Andersson auffällig auf Dialoge. Statt sich und ihre Empfindungen totzureden, wählt Andersson für die beiden Verliebten in der Anfangsphase Stille, Blicke und ausgewählte Kernaussagen. Nach einem negativen Zwischenfall behauptet Pär, er habe Annika satt, ohne dass diese dabei ist. Nach einem Schnitt sehen wir Annika mit ihrer besten Freundin, die diese Erkenntnis wiederholt, die Pärs Grundaussage irgendwie mitbekommen hat. Mehr braucht es gar nicht, um Annika mit tränenzerflossenem Gesicht dastehen zu lassen, als sie für einen Moment glaubt, ihre eigene persönliche Welt würde untergehen.

Ann-Sophie Kylin und Rolf Sohlmann, die Annika und Pär spielen, sind keine Schauspielwunderkinder. Sie sind jedoch beide unglaublich ausdrucksstark in ihren noch authentisch jungen Gesichtern, in ihrer Unbeholfenheit, sich dem geliebten Gegenüber zu nähern. Darin besteht nämlich zunächst das Problem; die Angst, große Gefühle zuzugeben. Pär, der in Lederjacke und mit Kippe im Mund auf dem Moped mit seinen Freunden durch die Stadt düst, inszeniert sich lässig am Flipperautomaten, ohne viel zu sagen, als Annika sich zu ihm stellt und zuschaut. Doch als er Annika in einem Club erwartet, geniert diese sich, wendet sich demonstrativ ab. Sogar Freunde als Vermittler müssen einspringen, um zusammenzuführen, was ja eigentlich beiderseitig zusammen sein will. Und dann ist alles klar. Für einen Moment Jugendewigkeit finden Annika und Pär zusammen. Ein Moment, den Andersson so wunderbar inszeniert und so zielgerichtet ins Bild setzt, das man ihn am liebsten gerahmt an die Wand hängen möchte, sollte man das nicht eh schon getan haben.

© Europa Film / Svensk Filmindustri

Annika ist noch nicht ganz 14, Pär vielleicht ein Jahr älter. Sie haben noch nicht sonderlich viel von der Welt und vom Leben gesehen. Auf ihren ersten Metern gemeinsam imitieren sie mit Alkohol, Musik und Bettbekleidung, wahrscheinlich ohne es zu wissen, andere Erwachsene und ihre Eltern. Und über diese Elternfiguren wird aus Roy Anderssons Film über Teenagerliebe ein enorm faszinierendes Meisterwerk. Mehr und mehr rücken die Erzieher in den Fokus, zunächst gleichwertig zu Pär und Annika, später sogar über diese hinaus. Heutzutage erwarten wir förmlich elterlich Strenge und ein klares „Nein“ zu frühpubertären Beziehungen. Diese Eltern sind sicherlich nicht vollkommen entzückt, als sie von der Beziehung Wind kriegen, doch man findet das auch irgendwie recht niedlich und scheint abwartend zu beobachten, was jedoch nicht heißt, beide im selben Bett schlafen zu lassen, als es zu einer elterlich abgesegneten Übernachtung kommt. Doch wer schon einmal jung verliebt war weiß womöglich, dass sich immer ein Weg finden lässt und dass die Sache, die die Eltern zu unterbinden versuchen, nicht zwangsläufig ein Bett oder Schlafzimmer verlangt.

Der Film beginnt mit dem Großvater, noch eine Generation über den Jugendlichen und den Eltern. Er warnt vor der Einsamkeit und vor der Bitterkeit, die mit dieser einhergeht. Ohne es so direkt auszusprechen sind auch die Eltern lebende Warnungen und Mahnungen an die jungen Liebenden. Pärs Eltern haben sich ländlich niedergelassen und arrangieren sich mit ihren begrenzten Möglichkeiten. Zentraler noch Annikas Eltern, die aktuell eine handfeste Ehekrise durchmachen, nicht zuletzt ausgelöst dadurch, dass Annikas Vater berufliche und private Minderwertigkeitskomplexe mit sich schleppt und regelmäßig wütend darauf reagiert. Tante Eva leidet schier ununterbrochen und steht kurz vor dem Nervenzusammenbruch, scheinbar nur entspannt, wenn sie sich Annika öffnen oder an ihrem neuen, jungen Glück teilhaben kann. Annika und Pär interessiert diese mittelständische Problemwelt kaum. Sie wollen nur einander. Kinder wollen ihre eigenen Wege gehen und Eltern wollen ihre Kinder vor den Fehlern bewahren, die sie machten, als sie jung, unerfahren und wahnsinnig verliebt waren. Roy Anderssons wunderbar aufgebaute Dramaturgie, sein Spiel mit der Erzählperspektive, mit dieser filmisch inszenierten Natürlichkeit, macht aus diesen Ideen und diesen Emotionen ein ganz besonderes Exemplar der Teenager Filmromanze.

Fazit:
Wunderbares Jugendliebesdrama mit faszinierenden Hauptfiguren, tollen Bildern und einer geschickt erweiterten Script. Auch heute noch, mehr als vier Jahrzehnte nach der Entstehung, absolut sehenswert.

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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